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»Kann das nicht warten? Miss Roffe ist großen seelischen -«

Elizabeth berührte seine Hand. »Schon gut, Rhys. Wenn ich irgendwie helfen -« Sie wandte sich an Max. »Was möchten Sie wissen, Herr Inspektor?«

Max starrte sie an und war zum ersten Mal in seinem Leben um Worte verlegen. Frauen waren ihm so fremd wie Wesen von einem anderen Stern. Sie waren unlogische und unberechenbare Geschöpfe, die emotional reagierten und nicht dem Verstand gehorchten. Man konnte sie nicht programmieren. Max verspürte nur selten sexuelle Regungen, denn er war ein Verstandesmensch, doch die präzise Logik sexueller Vorgänge imponierte ihm. Der sexuelle Akt war der mechanische Ablauf verschiedener Bewegungen, die zueinander passten und ein koordiniertes, funktionelles Ganzes ergaben, das ihn erregte. Darin drückte sich für Max die Poesie der Liebe aus, in der reinen Dynamik des Ablaufs. Seiner Ansicht nach hatten die Dichter diesen Punkt bisher übersehen. Gefühle waren unpräzise und unordentlich, eine Energieverschwendung, die nicht einmal ein Sandkorn verschieben konnte. Logik dagegen bewegte die ganze Welt. Jetzt aber staunte Max über sich selbst. Elizabeths Nähe bereitete ihm kein Unbehagen, ganz im Gegenteil. Das wiederum raubte ihm die Worte. Keine Frau hatte jemals derart auf ihn gewirkt. Offensichtlich hielt sie ihn nicht, wie andere Frauen, für einen hässlichen und lächerlichen Zwerg. Er zwang sich, den Blick von ihr abzuwenden. Was er brauchte, war Konzentration.

»War es üblich, Miss Roffe, dass Sie abends spät noch arbeiteten?«

»Sehr oft, ja«, erwiderte Elizabeth.

»Wie spät?«

»Das war verschieden. Manchmal bis zehn, manchmal bis Mitternacht oder länger.«

»Also eine Art Gewohnheit? Das heißt, den Leuten in Ihrer Umgebung war das bekannt?«

Sie sah ihn erstaunt an. »Ich denke schon.«

»Am Abend, als der Aufzug abstürzte, da haben Sie, Mr. Williams und Kate Erling noch spät gearbeitet?«

»Ja.«

»Aber Sie gingen nicht gemeinsam weg?«

»Ich musste früher gehen«, warf Rhys ein. »Hatte eine Verabredung.«

Max musterte ihn einen Moment, wandte sich dann wieder Elizabeth zu. »Wann sind Sie gegangen, ich meine, wie lange nach Mr. Williams?«

»Etwa eine Stunde später, nehme ich an.«

»Sind Sie zusammen mit Kate Erling weggegangen?«

»Ja. Wir holten unsere Mäntel und traten auf den Flur.« Elizabeths Stimme schwankte. »Der Aufzug war bereits da, die Tür stand offen.«

Der Direktionsexpreß.

»Was geschah dann?« fragte Max.

»Wir stiegen beide ein. Im Büro klingelte das Telefon. Kate - Miss Erling sagte: >Ich gehe ran< und wollte aus dem Aufzug aussteigen. Aber ich erwartete ein ÜberseeGespräch, das ich zuvor angemeldet hatte, und darum sagte ich, ich würde selbst ans Telefon gehen.« Elizabeth unterbrach sich. In ihren Augen stiegen Tränen auf. »Ich verließ den Aufzug. Sie fragte, ob sie auf mich warten sollte, und ich sagte: >Nein, fahren Sie schon los.< Sie drückte auf den Knopf für das Erdgeschoß. Ich ging zum Büro, und als ich gerade die Tür aufmachte, hörte ich - da kam das furchtbare Schreien, und dann...« Sie konnte nicht weitersprechen.

Rhys wandte sich zornig an den Inspektor. »Jetzt reicht’s aber. Würden Sie uns bitte verraten, was das alles soll? Worum geht es eigentlich?«

Es geht um Mord, dachte Hornung. Jemand hatte versucht, Elizabeth Roffe umzubringen. Er saß da, in tiefer Konzentration versunken. Er ließ alles an sich vorbeiziehen, was er in den vergangenen achtundvierzig Stunden über Roffe und Söhne in Erfahrung gebracht hatte. Ein Unternehmen, das offenbar unter dem Zorn der Götter stand. Da mussten astronomische Summen aufgrund von Schadensersatzklagen gezahlt werden, die Öffentlichkeit reagierte entsprechend: Kunden sprangen ab, und der Konzern schuldete seinen Gläubigern enorme Summen. Und die Gläubiger, die Banken, wurden immer ungeduldiger. Kurz, das Unternehmen schien für eine Veränderung reif. Sein Präsident, Sam Roffe, im Besitz der Anteilsmehrheit, starb plötzlich. Ein hervorragender Bergsteiger erlitt einen tödlichen Unfall in den Bergen. Die Anteilsmehrheit ging an seine Tochter Elizabeth über, die wiederum ums Haar in einem Jeep auf Sardinien umgekommen wäre und kurz danach nur ebenso knapp dem Tod in einem außer Kontrolle geratenen Aufzug entging, einem Lift noch dazu, der kurz zuvor eine Inspektion gehabt hatte. Irgend jemand spielte tödliche Spiele.

Inspektor Hornung hätte eigentlich zufrieden sein müssen. Er hatte ein loses Ende gefunden. Aber jetzt, da er Elizabeth Roffe begegnet und sie für ihn nicht nur ein Name war, reagierte er ganz anders. Diese Frau war keine Gleichung in einem mathematischen Puzzle. Sie war etwas ganz Besonderes. Max spürte den Drang, sie zu beschützen, die Gefahr von ihr abzuwenden.

»Ich habe gefragt, was das alles soll«, wiederholte Rhys.

Max sah ihn an. Seine Antwort war vage. »Äh - na ja, Sie wissen schon, Mr. Williams. Die üblichen Routinenachforschungen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«

Max Hornung hatte Dringendes zu erledigen.

33. Kapitel

An diesem Vormittag konnte sich Chefinspektor Schmied über Mangel an Arbeit nicht beklagen. Vor dem Gebäude der Luftverkehrsgesellschaft Iberia war eine Demonstration gemeldet worden:    drei vorläufige Festnahmen. Großfeuer in einer Papierfabrik in Brunau: Brandursache unbekannt. Die Untersuchungen liefen an. Im Belvoir-Park war ein Mädchen vergewaltigt worden. Ein Einbruchsdiebstahl bei Guebelin, ein zweiter bei Grima, gleich beim Baur-au-Lac. Und als ob das noch nicht genügte, tauchte auch Max Hornung auf, erfüllt von einer monströsen Theorie. Chefinspektor Schmieds Atemrhythmus schlug wieder Kapriolen.

»Die Kabeltrommel vom Aufzug war angeknackt«, versuchte Hornung ihm zu erläutern. »Damit wurden alle Sicherheitsvorkehrungen wirkungslos. Irgend jemand -«

»Ich hab’ die Berichte auch gelesen, Hornung. Normale Abnutzung.«

»Nein, Chefinspektor. Ich habe mir das Material der Kabeltrommel genau angesehen. Das hätte mindestens noch fünf oder sechs Jahre halten müssen.«

Schmied fühlte ein Zucken in der rechten Wange. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Jemand hat sich an der Kabeltrommel zu schaffen gemacht.«

Mein Gott, stöhnte Schmied innerlich. Typisch Hornung. Jeder andere hätte gesagt: Ich bin der Ansicht, jemand hat sich an der Kabeltrommel zu schaffen gemacht, oder: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass... Nein, nein! Bei Hornung hieß es schlicht und ergreifend: Jemand hat.

»Warum sollte jemand das tun?« fragte er.

»Genau das würde ich gerne herausfinden. «

»Demnach wollen Sie noch mal zu Roffe und Söhne gehen?«

Max Hornung sah ihn mit echtem Erstaunen an, »Aber nein, Chefinspektor. Ich möchte nach Chamonix fahren.«

Chamonix liegt fünfundsechzig Kilometer südöstlich von Genf im französischen Departement Haute-Savoie, eintausendeinhundert-zehn Meter über dem Meeresspiegel. Seine Lage zwischen dem MontblancMassiv und der Aiguille-Rouge-Bergkette garantiert ihm eine der phantastischsten Aussichten der Welt.

An Inspektor Max Hornung war die Szenerie jedoch verschwendet. Er nahm die Landschaft nicht einmal wahr, als er mit seinem zerbeulten Pappkoffer im Bahnhof Chamonix aus dem Zug stieg. Ungehalten scheuchte er einen diensteifrigen Taxifahrer fort und unternahm den Weg zur örtlichen Polizeistation zu Fuß. Sein Ziel war ein kleines Gebäude am Hauptplatz im Stadtzentrum. Max trat ein und fühlte sich sofort zu Hause, genoss die kumpelhafte Kameraderie, die ihn in die Bruderschaft der Polizisten in aller Welt einbezog. Er gehörte dazu, war einer von ihnen.

Hinter dem Empfangspult sah der französische Sergeant auf. »Est-ce que je peux vous aider?«

»Oui.« Max strahlte. Und er fing zu reden an. Max meisterte alle Fremdsprachen nach demselben Muster: Er schlug sich einen Weg durch das Dickicht der irregulären Verben, Zeiten und Partizipien, gebrauchte seine Zunge wie eine Machete. Als er sprach, wechselte der Gesichtsausdruck des Sergeanten von Erstaunen über Ratlosigkeit in schiere Konsternation. Hatte das französische Volk nicht Hunderte von Jahren gebraucht, um durch die Übung von Zunge, Gaumen und Kehlkopf die wunderbare Musik heranreifen zu lassen, die heute seine Sprache war? Und jetzt stand da vor ihm dieser komische Mann und brachte es fertig, das geheiligte Französisch in ein Gemisch schrecklicher, unverständlicher Laute zu verwandeln.