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Schließlich konnte der Sergeant es nicht länger ertragen. Er unterbrach den Inspektor. »Was wollen Sie eigentlich sagen?«

»Wieso, was heißt das?« fragte Max zurück. »Sie werden doch wohl noch Ihre Muttersprache verstehen. Ich spreche Französisch.«

Der Sergeant lehnte sich vor und erkundigte sich aus echtem Interesse: »Meinen Sie, Sie sprechen jetzt im Moment Französisch?«

Der Kerl versteht wirklich die eigene Sprache nicht, dachte Max. Er zog seinen Dienstausweis heraus und reichte ihn dem Sergeanten. Der las die Angaben zweimal von vorn bis hinten, sah Max dann aufmerksam ins Gesicht und las ein drittes Mal. Er konnte es einfach nicht fassen, dass der komische Kerl vor ihm ein Polizeibeamter sein sollte.

Zögernd gab er Max schließlich den Ausweis zurück. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich untersuche ein Bergunglück, das hier vor zwei Monaten passierte. Der Name des Opfers war Sam Roffe.«

Der Sergeant nickte. »Daran kann ich mich erinnern.«

»Ich würde gern mit jemandem reden, der mir Genaueres über den Vorfall sagen kann.«

»Am ehesten käme da wohl die Bergwacht in Frage. Der korrekte Name dafür ist Societe Chamoniarde de Secours en Montagne. Das Büro liegt am Place du Mont Blanc, und die Telefonnummer ist fünf-drei-eins-sechs-acht-neun. Vielleicht kann Ihnen auch die Klinik mit Informationen weiterhelfen. Die liegt in der Route du Valais und hat die Telefonnummer fünf-drei-null-eins-acht-zwei. Warten Sie. Ich schreib’ sie Ihnen auf.« Er langte nach einem Kugelschreiber.

»Nicht nötig«, erwiderte Max. »Societe Chamoniarde de Secours en Montagne, Place du Mont Blanc, fünf-drei-eins-sechs-acht-neun. Oder die Klinik in der Route du Valais, fünf-drei-null-eins-acht-zwei.«

Der Sergeant starrte Max noch nach, als der schon lange durch die Tür verschwunden war.

Bei der Societe Chamoniarde de Secours traf er auf einen dunkelhaarigen, athletisch gebauten jungen Mann, der hinter einem alten, abgenutzten Schreibtisch aus Fichtenholz saß. Als Max hereinkam, sah er auf und schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, dass diese merkwürdige Gestalt kein Amateur-Alpinist sein möge, der eine Klettertour plante.

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich bin Inspektor Max Hornung aus Zürich.« Er zeigte seinen Dienstausweis.

»Und womit kann ich Ihnen dienen?«

»Ich untersuche den Unfalltod eines gewissen Sam Roffe.« Der junge Mann hinter dem Schreibtisch ließ ein Seufzen vernehmen. »Ach ja, Mr. Roffe. Ich hab’ ihn sehr gemocht. Das war wirklich ein tragischer Unglücksfall.«

»Waren Sie Zeuge, als es passierte?« fragte Max.

Kopf schütteln. »Nein. Ich habe die Rettungsmannschaft angeführt, sobald wir den Notruf von da oben bekamen. Aber wir konnten nichts mehr tun. Mr. Roffe war in eine abgrundtiefe Spalte gestürzt. Die Leiche wird man nie finden.«

»Wie ist es passiert?«

»Die Seilmannschaft bestand aus vier Bergsteigern. Der Führer und Mr. Roffe stiegen als letzte auf. Soviel ich erfuhr, überquerten sie gerade eine Eismoräne. Mr. Roffe rutschte aus und stürzte ab.«

»War er nicht angeseilt?«

»Doch, natürlich. Aber sein Seil riss.«

»Passiert das öfter?«

»Gewöhnlich nur einmal.« Der junge Mann lächelte über seinen Scherz, dann sah er die Miene des Polizeibeamten und fügte schnell hinzu: »Erfahrene Bergsteiger überprüfen ihre Ausrüstung sehr gründlich. Trotzdem ereignen sich Unfälle.«

Max stand da und überlegte. »Ich würde gern mit dem Führer reden.«

»Mr. Roffes üblicher Führer war an dem Tag nicht mit von der Partie.«

Max zwinkerte erstaunt. »So? Und warum nicht?«

»Wenn ich mich recht erinnere, war er krank. Jemand anders sprang für ihn ein.«

»Wissen Sie, wer es war?«

»Wenn Sie sich einen Moment gedulden, kann ich nachsehen.«

Der junge Mann verschwand in einem Hinterzimmer. Wenige Minuten später kam er mit einem Blatt Papier zurück. »Es war Hans Bergmann.«

»Wo finde ich ihn?«

»Der ist nicht von hier.« Der Mann sah auf den Zettel. »Er stammt aus dem Dorf Lesgets. Das liegt ungefähr sechzig Kilometer von hier.«

Bevor Max Chamonix den Rücken kehrte, machte er einen Besuch im Hotel Kleine Scheidegg. Er sprach mit dem für die Zimmer-Reservierungen zuständigen Empfangschef. »Hatten Sie Dienst, als Mr. Roffe hier war?«

»Ja.« Die Miene des Mannes verdüsterte sich. »Ein schrecklicher Unfall, wirklich furchtbar.«

»Und Mr. Roffe hat allein hier gewohnt?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, er kam mit einem Freund.«

Max starrte ihn an. »Mit einem Freund?«

»Aber ja. Mr. Roffe hatte für sie beide die Zimmer gebucht.«

»Könnten Sie mir den Namen dieses Freundes geben?«

»Selbstverständlich.« Der Hotelangestellte zog ein großes Anmeldebuch unter dem Pult hervor und fing zu blättern an. Er hielt inne und fuhr mit dem Finger die Eintragungen entlang. »Ja, hier haben wir’s...«

Für die Fahrt nach Lesgets brauchte Max in seinem Volkswagen, dem billigsten Mietauto, das er in Chamonix hatte auftreiben können, fast drei Stunden. Zum Schluss wäre er beinahe noch vorbeigefahren, denn das Dorf verdiente die Bezeichnung nicht. Es gab nur ein paar Häuser, meist Geschäfte, einen Berggasthof und einen Kramladen mit einer eigenen Tanksäule.

Max hielt vor dem Berggasthof und ging hinein. Sechs oder sieben Leute saßen vor dem offenen Kaminfeuer und unterhielten sich. Sie verstummten, als Max eintrat.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. »Ich suche Herrn Hans Bergmann.«

»Wen?«

»Hans Bergmann, den Bergführer. Er stammt aus diesem Dorf.«

Ein älterer Mann mit verwittertem Gesicht spuckte ins Feuer, sah dann zu Max hoch. »Da hat Sie wohl jemand auf’n Arm genommen. Ich bin hier in Lesgets geboren. Und von einem Hans Bergmann ist mir nichts bekannt.«

34. Kapitel

Eine Woche nach Kate Erlings Tod ging Elizabeth zum ersten Mal wieder ins Büro. Ängstlich, fast zitternd, betrat sie die große Halle, antwortete wie ein Automat auf die Willkommensgrüße des Portiers und der Sicherheitsbeamten. An der rückwärtigen Wand sah sie Arbeiter am Werk. Sie waren mit dem Einbau des neuen Fahrkorbs für den Direktionslift beschäftigt. Sofort fiel ihr wieder Kate Erling ein. Sie konnte nur ahnen, welch grauenvolle Sekunden Kate durchlebt haben musste während ihres zwölf Stockwerke langen Todessturzes. Elizabeth wusste, den Direktionsexpreß würde sie nie im Leben wieder benutzen.

Als sie in ihr Büro kam, hatte Henriette, ihre zweite Sekretärin, die Post schon geöffnet und ordentlich auf dem Schreibtisch sortiert. Schnell ging Elizabeth die Stapel durch, versah Memoranden mit ihren Initialen, adressierte Berichte und Anfragen an die zuständigen Abteilungsleiter um oder schrieb Bemerkungen und Order an den Rand. Ganz zuunterst lag ein großer versiegelter Umschlag mit der Aufschrift: Elizabeth Roffe persönlich. Elizabeth nahm den Brieföffner und schlitzte den Umschlag auf. Sie zog eine Fotografie heraus, Größe acht mal zehn. Es handelte sich um die Porträtaufnahme eines mongoloiden Kindes: Hervorquellende riesige Augen starrten sie aus einem deformierten Schädel an. An das Foto war ein Zettel geheftet. Darauf stand mit Bleistift: »DAS IST MEIN GELIEBTER SOHN JOHN. IHR PRÄPARAT HAT IHM DAS ANGETAN! DAFÜR BRINGE ICH SIE UM.«