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»Wie lange bleiben Sie noch, Doktor?« erkundigte sich Nolan.

Joeppli sah hoch, bemerkte den Wächter zum ersten Mal. »Wie bitte?«

»Dachte nur, wenn Sie hier noch länger zu tun haben, kann ich Ihnen ein Sandwich und was zu trinken bringen. Bin auf dem Weg zur Kantine, will ‘nen Happen essen.«

»Ich hätte nur gern Kaffee, wenn’s keine Umstände macht.« Joeppli war sofort wieder in seine Arbeit versunken.

Nolan sagte noch: »Wenn ich rausgehe, schließe ich die Tür hinter mir ab. Bin aber gleich zurück.«

Joeppli hörte ihn gar nicht mehr.

Zehn Minuten später ging die Labortür abermals auf. Eine Stimme drang an sein Ohr. »Sie arbeiten aber lange, Emil.«

Joeppli fuhr erschrocken hoch. Als er seinen Besucher erkannte, stand er schnell auf. Er war verwirrt und zugleich stolz, dass er von einem so hochgestellten Mann besucht wurde.

»Die Quelle ewiger Jugend. Top secret, was?«

Emil zögerte. Er hatte strengste Anweisung von Miss Roffe, mit niemandem darüber zu reden. Kein Mensch sollte davon wissen. Aber das galt natürlich nicht für seinen Besucher. Er hatte ihm einst zu der Position verholfen. Also lächelte Emil Joeppli. »Ganz recht, top secret.«

»Ausgezeichnet. Das soll es auch bleiben. Wie geht’s denn voran?«

»Großartig.«

Der Besucher wanderte in dem kleinen Labor umher, trat an einen Kaninchenkäfig. Emil Joeppli war ihm gefolgt. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Der Mann lächelte. »Nein, Emil. Ich kenne mich ganz gut aus.«

Er wandte sich ab. Mit dem Ärmel streifte er eine leere Futterschüssel, die polternd zu Boden fiel. »Oh! Tut mir leid.«

»Aber das macht doch nichts. Ich heb’s auf.« Emil Joeppli bückte sich und langte nach der Schüssel. Sein Hinterkopf schien in einem feuerroten Funkenregen zu explodieren, und als letztes sah er, wie der Fußboden ihm entgegenkam.

Das Telefon hörte nicht auf zu läuten. Elizabeth öffnete die Augen. Schlaftrunken sah sie auf die Digitaluhr. Fünf Uhr früh. Sie langte nach dem Hörer, bekam ihn mühsam von der Gabel. Eine hysterische Männerstimme schlug an ihr Ohr. »Miss Roffe? Hier spricht der Sicherheitschef vom Werk. Wir haben eine Explosion gehabt, in einem von den Labors. Es wurde vollständig zerstört.« Sofort war sie hellwach. »Ist jemand verletzt worden?« »Ja, Madame. Ein Wissenschaftler ist tot. Verbrannt.« Er brauchte Elizabeth den Namen gar nicht mehr zu nennen.

35. Kapitel

Inspektor Max Hornung saß tief in Gedanken versunken an seinem Platz. Das Großraumbüro der Abteilung war erfüllt von Geräuschen, Stimmen, bimmelnden Telefonen, klappernden Schreibmaschinen, doch Hornung sah und hörte nichts von alledem. Er besaß die Konzentrationskraft eines Computers. Gegenstand seiner Grübelei war der Konzern Roffe und Söhne, genauer, seine Satzung, wie sie seinerzeit von dem alten Samuel bestimmt worden war:    das Unternehmen nie aus dem Familienbesitz zu entlassen. Geradezu genial, dachte Hornung. Und gefährlich. Er fühlte sich an den italienischen Versicherungsplan des Bankiers Lorenzo Tonti Anno 1695 erinnert. Jedes Mitglied der sogenannten Tontine hatte eine gleich große Geldsumme beizubringen, und immer, wenn ein Mitglied starb, erbten die Hinterbliebenen den Anteil. Damit war ein starkes Motiv unter den Mitgliedern geschaffen, sich gegenseitig umzubringen. Wie bei Roffe und Söhne. War es nicht eine zu große Versuchung, jemanden Aktien im Werte von Abermillionen erben zu lassen, um ihm dann zu sagen, er dürfe sie nur mit allgemeiner Zustimmung verkaufen?

Max wusste, Sam Roffe hatte nicht zugestimmt. Und Sam Roffe war tot. Elizabeth Roffe hatte ebenfalls ihre Einwilligung verweigert. Zweimal war sie mit knapper Not dem Tod entgangen. Zu viele Unfälle, dachte Max. Er glaubte nicht an derartige Zufälle. Darum ließ er sich bei Chefinspektor Schmied melden.

Der war wenig beeindruckt. Nachdem er den Bericht über Sam Roffes Bergunfall angehört hatte, brummte er: »Na schön, da hat man eben den Namen des Bergführers verwechselt. Daraus kann man kaum auf Mord schließen, Hornung. Solche Hirngespinste reichen für meine Abteilung nicht aus, verstanden?«

Der Inspektor ließ sich nicht einschüchtern. »Ich glaube, es steckt mehr dahinter. Roffe und Söhne hat enorme Schwierigkeiten, intern, meine ich. Möglich, dass jemand die Lösung darin sah, Sam Roffe ins Jenseits zu befördern.«

Der Chefinspektor lehnte sich zurück und beäugte seinen Mitarbeiter. Natürlich steckte hinter dessen Theorien auch nicht ein Körnchen Wahrheit. Auf der anderen Seite lockte die Aussicht ungemein, Max Hornung für eine Weile loszuwerden. Seine Abwesenheit würde die Laune der ganzen Abteilung beträchtlich heben. Und dann gab es noch etwas anderes zu bedenken:    die Leute, denen Max Hornung nachschnüffeln wollte. Niemand anders als ausgerechnet die mächtige Roffe-Dynastie. Normalerweise hätte Schmied seinen Untergebenen angewiesen, sich von denen so fern wie möglich zu halten. Wenn Hornung sie auch nur im geringsten reizte - und wie konnte der jemanden nicht reizen? -, hatten sie jederzeit genügend Machtmittel, um ihn aus dem Polizeidienst zu werfen. Und zwar schneller, als er Amen sagen konnte. In diesem Fall aber konnte niemand ihm, dem Chefinspektor Schmied, einen Vorwurf machen. War ihm Max Hornung nicht ohnehin aufgezwungen worden? Also eröffnete er ihm: »Das ist Ihr Fall. Nehmen Sie sich nur Zeit.« »Danke, Chefinspektor.« Max war im siebten Himmel.

Beim Rückweg in sein Büro stieß Hornung im Korridor auf den Leichenbeschauer. »Hornung!« rief der. »Sagen Sie, kann ich mir mal für einen Moment Ihr phänomenales Gedächtnis ausleihen?«

Max zwinkerte. »Wie bitte?«

»Die Wasserpolizei hat gerade ein Mädchen aus der Limmat gefischt. Würden Sie sich die Leiche mal ansehen?«

Max schluckte. »Wenn Sie Wert darauf legen.«

Das war ein Aspekt seines Berufs, den er nicht besonders schätzte, aber das Pflichtgefühl obsiegte.

Das Mädchen lag in dem üblichen unpersönlichen Stahlfach in der Leichenhalle. Sie hatte blondes Haar, war offenbar Anfang Zwanzig. Der Körper, vom Wasser aufgedunsen, war nackt. Nur um den Hals trug sie ein rotes Band.

»Allen Anzeichen nach hatte sie unmittelbar vor dem Tod Geschlechtsverkehr«, sagte der Leichenbeschauer. »Sie wurde erwürgt, dann in den Fluss geworfen. In den Lungen war kein Wasser. Ihre Fingerabdrücke sind nicht registriert. Haben Sie das Opfer schon einmal irgendwo gesehen?«

Max betrachtete lange das Gesicht der Toten. »Nein.«

Und er machte sich aus dem Staub. Er wollte den Bus zum Flughafen erreichen.

36. Kapitel

Inspektor Max Hornung landete auf Sardinien, auf dem Flugplatz der Costa Smeralda. Er nahm sich den billigsten Leihwagen, den er auftreiben konnte, und fuhr nach Olbia. Im Gegensatz zu der übrigen Landschaft war Olbia ein Schandfleck, eine Industriestadt, eingebettet in hässliche Vororte mit Werksanlagen und Fabriken, einem Müllberg und einem gigantischen Autofriedhof, auf dem die ehemals schneidigen Flitzer rostig und verbeult dahindämmerten. Jede Stadt der Welt hat ihren Schrottplatz, dachte Max. Monumente der Zivilisation.

Im Stadtzentrum angelangt, hielt er vor einem Haus mit der Inschrift: questura Di sassari commissariato Di polizia olbia. Sobald er eintrat, umgab ihn wieder das wohlige Gefühl der Zugehörigkeit, der Identität mit einer vieltausendköpfigen Berufsgemeinde. Er zeigte dem Beamten vom Dienst seinen Ausweis und wurde wenig später in das Büro des Polizeichefs gebeten. Luigi Ferraro erhob sich, ein Willkommenslächeln auf den Lippen. Es erstarb ihm, sobald er des Besuchers ansichtig wurde. Max’ Statur und der Begriff Polizei passten einfach nicht zusammen.