»Dürfte ich Ihre Identifikation sehen?« fragte der Polizeichef höflich.
»Aber selbstverständlich.« Max zeigte seinen Dienstausweis. Ferraro studierte ihn gründlich, gab ihn schließlich zurück. Die Schweiz musste an Polizisten ganz schön arm sein, schloss er. Er nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz und fragte: »Was kann ich für Sie tun?«
Max fing an, es ihm auseinanderzusetzen: in fließendem Italienisch. Das Problem war nur, dass Ferraro eine ganze Weile brauchte, um herauszufinden, welcher Sprache sein Besucher sich bediente. Als ihm klar war, welche es sein sollte, hob er entsetzt die Hand. »Basta! Sprechen Sie Englisch?«
»Selbstverständlich«, lautete die Antwort.
»Dann flehe ich Sie an, lassen Sie uns auf englisch reden.«
Als Max geendet hatte, räusperte sich Ferraro. »Sie irren sich, Signore. Ich kann Ihnen nur sagen, hier verschwenden Sie Ihre Zeit. Meine Mechaniker haben den Jeep auf das gründlichste untersucht, und alle sind sich darin einig: Es war ein Unfall.«
Max nickte völlig unbeeindruckt. »Aber ich habe mir das Auto noch nicht angesehen.«
Ferraro zuckte die Schultern. »Na schön. Es steht jetzt in einer öffentlichen Garage zum Verkauf. Ich werde einen meiner Männer anweisen, Sie hinzuführen. Wollen Sie auch den Unfallort besichtigen?«
Max sah ihn erstaunt an. »Wozu?«
Bruno Campagna wurde als Begleiter für Max auserkoren. »Wir haben schon alles überprüft«, sagte er. »Es war ein Unfall.«
»Nein«, gab Max zurück.
Der Jeep stand in einer Garagenecke, der Kühler und die ganze Seite noch vollständig demoliert und von klebrigem Harz beschmiert.
»Hatte noch keine Zeit zum Reparieren«, erklärte der Mechaniker.
Max spazierte um den Jeep herum, prüfte alles genau. »Was ist an den Bremsen gemacht worden?« erkundigte er sich schließlich.
Der Mechaniker fuhr zusammen. »Gesu! Doch nicht auch Sie?« Seine Stimme klang zunehmend gereizt. »Ich bin seit dreißig Jahren Mechaniker, mir is’ nie ‘n Fehler passiert. Und ich hab’ den Jeep auf Herz und Nieren geprüft. Bei dem hat das letztemal jemand die Bremsen angefasst, als er aus der Fabrik kam.«
»Jemand war an den Bremsen«, beharrte Max.
»Und wie?« Vor Erregung brachte der Mechaniker die Worte kaum heraus.
»Das weiß ich jetzt noch nicht«, erklärte Max. »Aber ich werde es herausfinden.« Und nach einem letzten Blick auf den Jeep drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand.
Polizeichef Luigi Ferraro sah Bruno Campagna fragend an. »Was hast du mit ihm angestellt?«
»Angestellt? Gar nichts hab’ ich angestellt. Ich hab’ ihn in die Garage gebracht, und da hat er sich mit dem Mechaniker angelegt, und dann hat er gesagt, jetzt wolle er auf eigene Faust recherchieren.«
»Unglaublich!«
Max stand an der Küste und starrte auf das smaragdgrüne Wasser des Tyrrhenischen Meeres. Aber er sah nichts. Alle Kraft verwandte er auf die innere Konzentration. Sein Verstand war damit beschäftigt, die Stücke aneinanderzufügen. Es war wie ein riesiges Puzzle-Spiel. Alles passte wunderschön zusammen, wenn man nur erst wusste, wohin die Steinchen gehörten. Der Jeep bedeutete ein kleines, aber wichtiges Teil des Ganzen. Seine Bremsen waren von kompetenten Mechanikern genau überprüft worden. Max hatte keinen Grund, an ihrer Fähigkeit oder auch Ehrlichkeit zu zweifeln. Deshalb akzeptierte er als Tatsache, dass sich niemand an den Bremsen des Jeeps zu schaffen gemacht hatte. Aber Elizabeth hatte das Auto gefahren, und irgend jemand wollte sie ins Jenseits befördern. Deshalb musste er die Tatsache akzeptieren, dass dennoch jemand an den Bremsen manipuliert hatte.
Aber wie? Es gab keine Möglichkeit, wie dieser Jemand das hätte bewerkstelligen können. Trotzdem hatte er es getan. Kein Zweifel, Max hatte es mit einem ungewöhnlich gerissenen Gegner zu tun. Das machte die Sache nur noch interessanter.
Er ging näher zum Strand und setzte sich auf einen großen Felsbrocken. Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich wieder mit aller Kraft. Er schob die Steinchen hierhin und dorthin, besah sich einige ganz genau, legte andere beiseite, ordnete das ganze Puzzle neu.
Zwanzig Minuten später fügte sich das letzte Steinchen in das Bild ein. Max riss die Augen auf. Bravo, dachte er. Den möchte ich kennenlernen, der sich das ausgedacht hat.
Danach musste Inspektor Hornung noch zwei Zwischenstationen einlegen, die erste am Stadtrand von Olbia und die zweite an einer bestimmten Stelle in den Bergen. Deshalb bekam er nur mit knapper Not das Nachmittagsflugzeug zurück nach Zürich. Er flog Touristenklasse.
37. Kapitel
Der Sicherheitschef von Roffe und Söhne war völlig entnervt. »Alles ging viel zu schnell, Miss Roffe. Wir konnten überhaupt nichts tun. Als die Löschzüge eintrafen, lag das ganze Labor schon in Schutt und Asche.«
Die Rettungsmannschaften hatten Emil Joepplis verkohlte Leiche gefunden. Ob seine Formel vor der Explosion aus dem Laboratorium gestohlen worden war, ließ sich nicht feststellen.
»Der Forschungstrakt stand doch rund um die Uhr unter Bewachung?« erkundigte sich Elizabeth.
»Jawohl, Miss Roffe. Wir -«
»Wie lange leiten Sie schon unseren Werkschutz?«
»Fünf Jahre. Ich -«
»Sie sind entlassen.«
Der Mann wollte protestieren, besann sich aber. »Jawohl, Miss Roffe.«
»Wie viele Mitarbeiter haben Sie?«
»Fünfundsechzig.«
Fünfundsechzig! Und sie alle hatten Emil Joeppli nicht schützen können. »Ich gebe Ihrem Stab eine Kündigungsfrist von vierundzwanzig Stunden«, erklärte Elizabeth. »Danach will ich keinen mehr hier sehen.«
Er blickte sie entgeistert an. »Miss Roffe, finden Sie Ihr Verhalten fair?«
Sie dachte an Joeppli, an die unersetzlichen Formeln, die jetzt gestohlen waren, dachte an die Wanze, die man ihr ins Büro plaziert und die sie mit dem Absatz zertreten hatte.
»Verschwinden Sie!« befahl Elizabeth.
Sie arbeitete den Vormittag über ganz verbissen, füllte jede Minute mit einer Beschäftigung aus, wollte die Bilder verdrängen, die auf sie einstürmten. Emil Joeppli, bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, die qualmenden Trümmer des Labors mit den verbrannten Tieren. Sie durfte auch gar nicht daran denken, was der Verlust der Forschungen für das Unternehmen bedeutete. Wenn eine rivalisierende Firma sich des Mittels bemächtigt hatte, konnte Elizabeth nicht das geringste dagegen tun. Das Geschäft war wirklich ein Dschungel. Sobald die Konkurrenten eine Schwäche witterten, schwärmten sie aus, um einen aufzufressen. Dies aber war nicht einmal das Werk eines Konkurrenten. Der Täter war ein Freund. Ein tödlicher Freund.
Auf der Stelle beauftragte Elizabeth ein professionelles Bewachungsunternehmen mit dem Werkschutz. Inzwischen war sie soweit, dass sie lieber fremde Gesichter um sich sah; das gab ihr ein sichereres Gefühl.
Als nächstes rief sie das Hospital International in Brüssel an und erkundigte sich nach dem Befinden von Madame van den Logh, der belgischen Ministergattin. Sie lag immer noch im Koma, hieß es, und ihre Überlebenschancen waren gering.
Alle Bilder stürmten auf Elizabeth ein: das mongoloide Kind, Emil Joeppli, die Frau des Ministers. Rhys kam zu ihr ins Büro. Er sah ihren Gesichtsausdruck. Seine Stimme klang besorgt. »So schlimm?«
Ihr Kopfnicken verriet, wie miserabel sie sich fühlte.
Rhys trat an den Schreibtisch und blickte ihr lange forschend in die Augen. Sie sah müde aus, völlig ausgelaugt. Wieviel könnte sie wohl noch aushaken, fragte er sich. Er nahm ihre Hand: »Gibt es irgend etwas, wobei ich Ihnen helfen kann?«
Irgend etwas? dachte Elizabeth. Alles! Er konnte ja gar nicht ahnen, wie verzweifelt sie ihn brauchte. Sie brauchte seine Stärke, seine Hilfe, seine Liebe. Ihre Blicke trafen sich. Sie war bereit, sich ihm in die Arme zu werfen, ihm ihr Herz auszuschütten. Er sollte wissen, was geschehen war und was noch geschah.