»Und trotzdem wollen Sie uns die Fristverlängerung aufkündigen.«
Der Bankier sah sie längere Zeit forschend an. Dann räusperte er sich. »Die Bank ist der Ansicht, Ihre Probleme wären durchaus zu lösen, Miss Roffe. Hingegen.« Er zögerte.
»Hingegen«, setzte Elizabeth seinen Satz fort, »fehlt Ihrer Meinung nach die geeignete Persönlichkeit dafür?«
»Ich fürchte, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.« Er machte Anstalten, sich zu erheben.
»Was nun, wenn jemand anderes Präsident von Roffe und Söhne würde?« fragte Elizabeth.
Doch Badrutt schüttelte den Kopf. »Wir haben diese Möglichkeit erwogen. Aber keiner der gegenwärtigen Direktoriumsmitglieder besitzt unserer Meinung nach die Qualifikationen für diese enorme -«
Sie unterbrach ihn. »Ich dachte dabei an Rhys Williams.«
38. Kapitel
Constable Thomas Hiller von der Wasserpolizei fühlte sich in miserabler Verfassung. Er war müde, scharf auf Weiber, hungrig und pudelnass, und er konnte sich nicht entscheiden, welche der vier Heimsuchungen ihm am meisten zu schaffen machte.
Müde war er, weil seine Verlobte, Flo, ihm die ganze Nacht lang die Hölle heiß gemacht hatte, eine einzige Keiferei. Und als ihr endlich die Luft ausgegangen war, hatte er keine Zeit mehr gehabt, vorm Dienst auch nur einen Bissen zwischen die Zähne zu bekommen. Flo hatte auch Schuld an seiner Begierde; denn in einer derartigen Verfassung war sie nicht gewillt, ihn an sich heranzulassen. Nur für die Nässe konnte sie nichts. Die kam daher, dass die Erbauer des zehn Meter langen Polizeibootes, mit dem er die Themse abklapperte, mehr an Zweckmäßigkeit denn an Komfort gedacht hatten. Jedenfalls trieb der Wind den Regen in das kleine Ruderhaus, wo Hiller Ausguck hielt. Doch an solchen Tagen gab es verdammt wenig zu sehen und noch weniger zu tun. Hillers Abteilung bestrich rund neunzig Flusskilometer, vom Dartford Creek bis zur Staines Bridge. Gewöhnlich mochte der Constable die Tour, Patrouillefahrten lagen ihm - aber keinesfalls in dieser Verfassung. Der Teufel sollte alle Weiber holen! Er dachte an Flo, im Bett, nackt wie eine Kropftaube. Ihr Busen wogte, als sie ihn anfauchte und sich bis zur Raserei steigerte. Er sah auf die Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde, und die miese Streife war vorbei. Das Boot hatte gewendet und tuckerte zurück zum Waterloo-Pier. Für Hiller gab es jetzt nur noch ein Problem. Er musste sich entscheiden, was Vorrang hatte: schlafen, essen oder mit Flo ins Bett gehen. Am besten alles auf einmal, überlegte er. Er versuchte, sich die Müdigkeit aus den Augen zu reiben, und richtete den Blick tapfer auf die schlammigen Fluten, auf die der Regen trommelte und Blasen schlug.
Das Ding kam aus dem Nichts, ragt’, plötzlich aus dem trüben Wasser, wie ein großer Fisch, der mit dem weißen Bauch nach oben trieb. Constable Hillers erster Gedanke war: Wenn wir den an Bord hieven, stinkt der ganze Kahn. Der Fisch, oder was immer es wir, lag ungefähr zehn Meter entfernt, steuerbord, und das Boot ließ ihn achtern liegen. Wenn er jetzt den Mund aufmachte, dachte Hiller, würde der verdammte Fisch ihm den pünktlichen Dienstschluss vermasseln. Dann mussten sie anhalten und die Haken ausbringen, das Biest entweder an Bord holen oder ins Schlepptau nehmen. Wie auch immer, sein Wiedersehen mit Flo musste verschoben werden. Quatsch, er brauchte es ja nicht zu melden. Wer wollte ihm beweisen, dass er etwas gesehen hatte? Wenn er -. Sie entfernten sich immer mehr.
Constable Hiller rief mit Tenorstimme: »Sergeant, da treibt ein großer Fisch, zwanzig Meter steuerbord, achteraus. Sieht wie ein Hai aus.«
Die Hundert-PS-Dieselmaschine wechselte plötzlich den Rhythmus; das Boot verlor an Fahrt.
Sergeant Gaskins erschien. »Wo denn?« fragte er.
Der verschwommene Umriss war hinter den Regenschleiern nicht mehr zu sehen. »Da drüben war er eben noch.«
Sergeant Gaskins zögerte. Auch er wollte nach Hause. Musste das mit dem blöden Fisch jetzt noch sein?
»War er groß genug, um die Schiff-Fahrt zu gefährden?« erkundigte er sich.
Constable Hiller lag im Kampf mit sich selbst. Er verlor.
»Ja«, raunzte er.
Also wendete das Patrouillenboot und pirschte sich langsam zurück in die Gegend, wo das Objekt gesichtet worden war. Und ganz unerwartet trieb das Ding plötzlich wieder vor ihnen, fast unter dem Bug. Die beiden Männer standen an Deck und starrten nach unten. Im Themsewasser schwamm die Leiche einer jungen Blondine.
Sie war nackt. Nur um den unnatürlich geschwollenen Hals trug sie ein rotes Band.
39. Kapitel
Zur selben Zeit, da Constable Hiller und Sergeant Gaskins die Leiche des ermordeten Mädchens aus der Themse fischten, betrat Max Hornung am anderen Ende von London, zehn Meilen entfernt, die grauweiße Marmorhalle von New Scotland Yard. Allein der Gang durch das sagenumwobene Portal erfüllte ihn mit unsäglichem Stolz. Nie zuvor war das Gefühl der großen Bruderschaft so stark in ihm gewesen. Der Yard bedeutete die Krone! Allein die Telegrammadresse dieser legendären Polizeiburg: Handcuffs, Handschellen - gab es Größeres auf Erden? Max liebte das Englische und die Engländer ungemein. Der Haken war nur, dass sie sich ihm so schwer verständlich machen konnten. Er würde nie begreifen, warum die Engländer ihre Muttersprache so komisch handhabten.
Der Beamte am Empfang sprach ihn an. »Can I help you, Sir?«
Max drehte sich um. »Ich werde von Inspektor Davidson erwartet.«
»Name, Sir?«
Max intonierte ganz langsam und überdeutlich: »Inspektor Davidson.«
Der Beamte betrachtete ihn mit erhöhtem Interesse. »Ihr Name ist Inspektor Davidson?«
»Mein Name ist nicht Inspektor Davidson. Ich heiße Max Hornung.«
Der Polizist hinter dem Pult hüstelte. »Entschuldigen Sie, Sir, aber könnten Sie das vielleicht auf englisch sagen?«
Fünf Minuten später saß Max im Büro von Inspektor Davidson, einem breitschultrigen Mann mittleren Alters mit gesunder Gesichtsfarbe und schiefen gelben Zähnen. Typischer Engländer, dachte Max und fühlte sich am Ziel seiner Träume.
»Am Telefon sagten Sie, es ginge um Sir Alec Nichols, und zwar im Zusammenhang mit Mordverdacht.«
»Er ist einer von einem halben Dutzend Verdächtigen.«
Inspektor Davidson starrte ihn an. »Was meinten Sie?«
Max seufzte. Wieder das alte Leiden. Ganz langsam und deutlich wiederholte er seinen Satz.
»Ach so.« Inspektor Davidson überlegte eine Weile. »Wissen Sie was? Ich bringe Sie in die Abteilung C-4, Vorstrafenregister. Wenn die nichts über ihn haben, versuchen wir’s bei C-ll und C-13: Erkennungsdienst.«
In keinem der Archive war etwas über Sir Alec Nichols vorhanden. Max war jedoch keineswegs entmutigt. Er wusste, wo er bekommen konnte, was er suchte.
Früh am Morgen schon hatte er ein paar Telefonate mit Leuten geführt, deren Arbeitsplatz in der City lag, im Finanzzentrum von London.
Alle, die er anrief, reagierten sofort. Sobald Max seinen Namen nannte, gerieten sie in Panik. Denn jeder Geschäftsmann in der City hatte irgend etwas zu verbergen, und Max Hornungs Ruf war international verbreitet. Sobald sie seinen Worten entnahmen, dass er hinter jemand anderem her war, stolperten sie vor Hilfsbereitschaft über die eigenen Füße.
Und London bescherte Max zwei herrliche Tage. Er suchte Banken auf, Finanzierungsgesellschaften, Kreditinstitute und Registraturen. Die Leute dort interessierten ihn als Gesprächspartner nicht im geringsten. Er wollte nur ihre Computer befragen.
Max war ein Genie im Umgang mit Computern. Wenn er vor den Programmtastaturen saß, wirkte er wie ein Virtuose am Konzertflügel. Es spielte überhaupt keine Rolle, in welcher Sprache die Wundermaschinen gefüttert worden waren: Max konnte sie alle lesen. Er verstand es, mit Digital-Elektronengehirnen umzugehen, mit allen Arten von Sprachcomputern. Ihm waren die Modelle FORTRAN und FORTRAN IV geläufig, auch die riesigen IBM 370, FDP 10 und 11 und ALGOL 68.