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Seit damals hatte Walther sie im Schlafzimmer eingesperrt gehalten. Er bereitete ihr alle Mahlzeiten und trug sie auf einem Tablett nach oben. Wenn er die Tür aufschloss und hineinging, saß sie fast immer in eine Ecke gekauert, versuchte, sich vor ihm in den äußersten Winkel zu verkriechen, und flüsterte: »Was hast du mit den Kindern gemacht?«

Manchmal, wenn er das Zimmer betrat, fand er sie mit dem Ohr an die Wand gepresst. Sie lauschte auf ein Lebenszeichen ihres Sohnes und der Tochter. Das Haus war jetzt still und verlassen, beherbergte nur Walther und Anna. Walther wusste, er hatte nicht mehr viel Zeit. Seine Gedanken wurden unterbrochen. Ein leises Geräusch drang an seine Ohren. Er passte genau auf. Da war es wieder! Oben im Flur bewegte sich jemand. Außer ihnen beiden konnte niemand im Haus sein. Er selbst hatte alle Türen versiegelt...

Oben staubte Frau Mendler die Möbel ab. Sie arbeitete tagsüber und war erst zum zweitenmal in diesem Haus, das ihr im übrigen auf die Nerven ging. Beim ersten Mal, am vorigen Mittwoch, war Herr Gassner ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, als ob er aufpassen wollte, dass sie nichts stahl. Als sie in den ersten Stock gehen und dort saubermachen wollte, hatte er sich ihr wütend in den Weg gestellt, ihr den Lohn ausgezahlt und sie nach Hause geschickt. Sein Gesichtsausdruck hatte ihr eine Heidenangst eingejagt.

Gott sei Dank, heute war er nirgends zu sehen. Frau Mendler hatte selbst aufgeschlossen, mit dem Schlüssel, den sie in der vergangenen Woche mitgenommen hatte. Dann war sie gleich nach oben gegangen. Im Haus herrschte eine unnatürliche Stille, und sie schloss daraus, dass niemand anwesend war. Sie hatte ein Schlafzimmer aufgeräumt und dabei etwas Kleingeld und eine goldene Pillendose gefunden. Dann ging sie über den Flur zur nächsten Tür. Die war abgeschlossen. Merkwürdig. Ob da drinnen wohl Wertsachen aufbewahrt wurden? Sie drückte noch einmal die Klinke herunter. Von drinnen flüsterte eine Frauenstimme: »Wer ist da?«

Frau Mendler riss die Hand von der Klinke, als hätte sie einen Stromschlag bekommen.

Wieder das Flüstern. »Wer ist da? Wer ist da draußen?«

»Frau Mendler, die Putzfrau. Soll ich Ihr Schlafzimmer saubermachen?«

»Das geht nicht. Ich bin eingeschlossen.« Die Stimme war jetzt lauter, voller Hysterie. »Bitte, helfen Sie mir. Rufen Sie die Polizei. Sagen Sie, mein Mann hat unsere Kinder umgebracht. Jetzt will er mich umbringen. Schnell! Laufen Sie aus dem Haus, bevor er -«

Eine Hand packte ihre Schulter und wirbelte Frau Mendler herum, und sie starrte in das Gesicht von Herrn Gassner. Er war blass wie ein Leichentuch.

»Was schnüffeln Sie hier herum?« fuhr er sie an. Er hielt ihren Arm wie in einem Schraubstock. Es tat weh.

»Ich - ich schnüffle nicht herum«, antwortete sie ängstlich. »Heute ist mein Putztag hier. Die Agentur -«

»Ich hab’ doch der Agentur ausdrücklich gesagt, ich will niemanden mehr hier haben. Ich -« Er unterbrach sich. Hatte er die Agentur wirklich angerufen? Vorgehabt hatte er es auf jeden Fall. Aber die Schmerzen waren so stark, dass er sich nicht mehr erinnern konnte. Frau Mendler sah ihm in die Augen, und es fuhr ihr eiskalt über den Rücken.

»Das haben die mir aber nicht gesagt«, antwortete sie.

Walther stand ganz still, horchte auf Geräusche hinter der verriegelten Tür. Aber es blieb alles still.

Er drehte sich zu Frau Mendler um. »Gehen Sie. Sofort. Und kommen Sie nie wieder.«

Sie konnte das Haus gar nicht schnell genug verlassen. Er hatte sie nicht entlohnt, aber in ihrer Tasche trug sie die Pillendose und das Kleingeld von der Kommode. Die arme Frau hinter der verriegelten Tür tat ihr ehrlich leid. Sie hätte ihr gern geholfen, aber mit der Polizei konnte sie sich nicht einlassen. Dort war sie keine Unbekannte.

In Zürich las Inspektor Hornung ein an ihn adressiertes Telegramm von Interpoclass="underline"

»Nummer der Rechnung über Filmmaterial Mord-Porno weist Roffe und Söhne als Bezieher aus. Einkäufer bei Firma nicht mehr beschäftigt. Fahnden nach ihm. Halten Sie auf dem laufenden. Ende.«

In Paris fischte die Polizei einen nackten Frauenkörper aus der Seine. Das Mädchen war blond, keine Zwanzig. Es trug ein rotes Band um den Hals.

In Zürich war Elizabeth Williams unter Polizeischutz gestellt worden, rund um die Uhr.

48. Kapitel

Das weiße Lämpchen flackerte: ein Anruf auf Rhys’ Geheimleitung. Kaum ein halbes Dutzend Leute kannte die Nummer. Er nahm den Hörer ab. »Ja?«

»Guten Morgen, Darling.« Kein Zweifel, wem die tiefe, rauhe Frauenstimme gehörte.

»Du solltest mich hier nicht anrufen.«

Sie lachte. »Das hat dir doch früher nichts ausgemacht. Soll das etwa heißen, Elizabeth hat dich schon gezähmt?«

»Was willst du?« fragte Rhys.

»Dich sehen. Heute nachmittag.«

»Ganz und gar unmöglich.«

»Mach mich nicht ärgerlich, Rhys. Soll ich nach Zürich kommen, oder -«

»Nein. Nicht nach Zürich.« Er zögerte. »Ich komme rüber.«

»Na, also. Am üblichen Treffpunkt, cheri.«

Helene Roffe-Martel legte auf.

Rhys saß lange still da und dachte nach. Aus seiner Sicht hatte er eine kurze, rein physische Affäre mit einer ausnehmend schönen Frau gehabt, ein Intermezzo, das längst vorbei war. Aber Helene war keine Frau, die man so leicht los wurde. Charles langweilte sie zu Tode, und sie wollte Rhys. »Du und ich, wir beide wären das perfekte Team«, hatte sie gesagt, und Helene Roffe-Martel konnte äußerst zielstrebig sein. Und höchst gefährlich. Rhys entschied, der Abstecher nach Paris war notwendig. Er musste ihr ein für allemal deutlich machen, dass sich zwischen ihnen nichts mehr abspielte.

Wenige Augenblicke später betrat er Elizabeths Büro. Ihre Augen leuchteten auf. Sie legte ihm die Arme um den Hals und flüsterte: »Eben hab’ ich an dich gedacht. Komm, lass uns nach Hause gehen. Heute nachmittag schwänzen wir.«

Er grinste. »Du entwickelst dich ja zu einer SexWütigen.«

Sie hielt ihn fest umschlungen. »Ich weiß. Ist das nicht toll?«

»Leider kann ich aber jetzt nicht zu Diensten sein. Ich muss heute nachmittag nach Paris fliegen, Liz.«

Sie versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Soll ich mitkommen?«

»Das lohnt sich nicht. Nur eine kurze geschäftliche Angelegenheit. Ich fliege heute abend noch zurück.«

Als Rhys in das wohlbekannte kleine Hotel am linken Seine-Ufer kam, saß Helene schon im Restaurant und wartete auf ihn. Sie war noch nie zu spät gekommen. Sie war pünktlich, tüchtig, ausnehmend schön, hochintelligent, eine hervorragende Liebhaberin, und trotzdem fehlte ihr etwas. Helene war eine Frau ohne Mitgefühl. Sie strahlte Skrupellosigkeit aus, hatte die Instinkte eines Killers. Rhys hatte einige ihrer Opfer gekannt und spürte keinerlei Neigung, sich in diese Sammlung einreihen zu lassen. Er setzte sich zu ihr an den Tisch.

»Du siehst großartig aus, Darling«, empfing sie ihn. »Die Ehe scheint dir zu bekommen. Sollte Elizabeth Qualitäten im Bett haben?«

Er lächelte, um der Antwort den Stachel zu nehmen. »Das geht dich nichts an.«

Helene lehnte sich vor, nahm seine Hand. »Aber ja, cheri, das geht uns beide an.«

Sie streichelte seine Hand, und er erinnerte sich an die Stunden mit ihr im Bett. Eine Tigerin, wild, perfekt und unersättlich. Er zog die Hand zurück.

Helenes Blick vereiste. »Sag mal, Rhys«, schnurrte sie, »wie fühlt man sich denn als Präsident von Roffe und Söhne?«

Im Lauf der Zeit hatte er fast ihren Ehrgeiz vergessen, ein inneres Feuer, das nie verlosch. Ehrgeiz und Habgier waren bei ihr eins. Jetzt erinnerte er sich wieder an die langen Gespräche von damals. Sie wurde verzehrt von dem Gedanken, einmal die Herrschaft über den Konzern an sich zu reißen. »Du und ich, Rhys. Wenn nur Sam aus dem Weg wäre, dann hätten wir freie Bahn.«