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Nur ihr Leben stand noch zwischen ihm und der Herrschaft über Roffe und Söhne. Wie konnte sie ihm jetzt gegenübertreten, ihm vorspielen, dass alles in Ordnung sei? Sobald er sie sah, musste er begreifen, was die Stunde geschlagen hatte. Ihr blieb nur die Flucht. In blinder Panik ergriff Elizabeth Handtasche und Mantel und stürzte aus dem Büro. Halt! Sie hatte etwas vergessen. Ihren Pass! Sie musste weit weg, irgendwohin, wo Rhys sie nicht aufspüren konnte. Hastig lief sie zum Schreibtisch zurück, fand den Pass, jagte zurück auf den Flur. Ihr Herz klopfte wild. Der Leuchtzeiger über dem Direktionslift bewegte sich aufwärts.

Acht... neun... zehn...

Elizabeth hastete zum Treppenhaus. Unter ihr zogen sich die Stufen endlos in die Tiefe. Sie lief um ihr Leben.

52. Kapitel

Zwischen Civitavecchia und Sardinien verkehrte eine Autofähre. Elizabeth fuhr mit ihrem Leihwagen an Bord und kam sich inmitten einem Dutzend anderer Autos wohltuend anonym vor. Auf Flughäfen wurden Passagierlisten geführt, aber auf dem Schiff interessierte sich niemand für ihren Namen. Elizabeth war nur einer von hundert Passagieren, die nach Sardinien übersetzten, um Ferien zu machen. Niemand hatte sie verfolgt, da war sie sicher. Trotzdem verlor sie die irrationale Angst nicht. Rhys hatte zu viel riskiert, um sich jetzt noch aufhalten zu lassen. Und sie als einzige konnte ihn entlarven. Er musste sie sich vom Hals schaffen.

Als Elizabeth aus dem Konzerngebäude entkommen war, hatte sie keine Ahnung, wohin sie sich wenden sollte. Sie wusste nur, dass sie Zürich verlassen, sich irgendwo verstecken musste. Erst wenn Rhys gefasst war, konnte sie sich sicher fühlen. Sardinien! Die Insel kam ihr als erstes in den Sinn. Sie hatte einen kleinen Wagen gemietet und an der Autobahn nach Italien an einer Telefonzelle haltgemacht. Von dort aus versuchte sie, Alec zu erreichen, aber der war nicht aufzufinden. Sie hinterließ eine Nachricht, er sollte sie auf Sardinien anrufen. Dasselbe ließ sie Inspektor Hornung ausrichten, der ebenfalls nicht ans Telefon zu bekommen war.

Die Villa auf Sardinien sollte ihr als Unterschlupf dienen. Aber diesmal würde sie nichts riskieren. Die Polizei musste sie beschützen.

Als die Fähre in Olbia landete, merkte Elizabeth, dass sie gar nicht erst zur Polizei zu laufen brauchte. Die erwartete sie bereits in Gestalt von Bruno Campagna. Das war der Beamte, den sie beim Polizeichef Ferraro kennengelernt hatte. Campagna hatte sie auch nach dem Unfall in die Garage begleitet, wo der Jeep stand. Sobald er sie entdeckte, trat er zu ihr ans Auto. »Wir haben uns schon große Sorgen um Sie gemacht, Signora Williams.«

Elizabeth sah ihn überrascht an.

»Von der Schweizer Polizei kam ein Anruf«, erläuterte Campagna.

»Die haben uns gebeten, auf Sie achtzugeben. Seitdem haben wir alle Schiffe und Flughäfen abgeklappert.«

Dankbarkeit und grenzenlose Erleichterung überfluteten Elizabeth. Max Hornung! Also hatte ihre Nachricht ihn erreicht. Campagna sah ihr müdes und abgespanntes Gesicht. »Soll ich fahren?«

»Ach, bitte.« Nur zu gern rutschte Elizabeth auf den Beifahrersitz, und der dicke Polizist setzte sich hinter das Lenkrad. »Wo wollen Sie warten? In der Polizeistation oder in Ihrer Villa?«

»Die Villa wäre mir lieber, das heißt, wenn jemand dableiben würde. Ich - ich möchte nicht so gern allein sein.«

Campagna nickte ihr beruhigend zu. »Nur keine Sorge. Wir haben Anweisung, Sie zu beschützen. Heute nacht werde ich bei Ihnen bleiben, und wir stationieren eine Funkstreife an der Einfahrt zum Haus. Niemand kann Ihnen zu nahe kommen.«

Sein Selbstvertrauen beruhigte Elizabeth ungemein. Ihre Spannung ließ nach. Campagna fuhr schnell und sicher über die kurvenreichen Straßen von Olbia, dann auf die Bergstraße zur Costa Smeralda. So vieles erinnerte Elizabeth an Rhys.

»Gibt es - hat man etwas von meinem Mann gehört?« fragte sie schließlich.

Campagna sah sie von der Seite an, Mitleid lag in seinem Blick. Dann widmete er sich wieder der Straße. »Er ist noch flüchtig, wird aber nicht weit kommen. Man rechnet damit, ihn morgen hinter Schloss und Riegel zu haben.«

Eigentlich müsste sie Erleichterung spüren, dachte Elizabeth. Statt dessen brachten ihr die Worte eine blutende Wunde bei, wie ein gut gezielter Dolchstoß. Sie sprachen über Rhys, ihren Mann Rhys, der gehetzt wurde, als wäre er ein wildes Tier. Er hatte sie in diesen Alptraum versetzt, und nun irrte er durch das von ihm gelegte Todeslabyrinth, kämpfte um sein Leben, so wie sie um ihres gekämpft hatte. Und wie sie ihm vertraut und an seine Liebe geglaubt hatte, an seine Zärtlichkeit und Fürsorge! Ihr schauderte. Campagna fragte: »Frieren Sie?«

»Nein, mir geht es gut.« Aber sie fühlte sich fiebrig. Ein warmer Wind schien durch das Auto zu streichen und ließ ihre Nerven vibrieren. Erst dachte sie, es wäre Einbildung, bis sie Campagnas Stimme hörte. »Ich fürchte, wir bekommen es heute noch mit dem Schirokko zu tun. Das wird eine lebhafte Nacht.«

Elizabeth wusste nur zu gut, was er meinte. Der Schirokko konnte Menschen wie Tiere zum Wahnsinn treiben. Er kam von der Sahara herüber, heiß, trocken und voller kleiner Sandkörner, fegte mit einem schaurigen Gespensterton über die Insel, einem Ton, der an den Nerven sägte. Beim Schirokko stieg die Verbrechensquote steil an, und die Richter gaben mildernde Umstände.

Eine Stunde später ragte aus dem Dunkel die Villa vor ihnen auf. Campagna bog in die Auffahrt ein, steuerte den Wagen in die leere Garage und stellte den Motor ab. Er ging um das Auto herum und machte Elizabeth die Tür auf. »Jetzt möchte ich, dass Sie sich dicht hinter mir halten, Signora Williams«, bedeutete er ihr. »Nur für den Fall der Fälle.«

»Ja, natürlich«, willigte sie ein.

Sie gingen zum Vordereingang der völlig abgedunkelten Villa. Campagna sagte: »Ich bin sicher, er ist nicht hier, aber wir wollen kein Risiko eingehen. Geben Sie mir bitte Ihren Schlüssel.«

Elizabeth tat, wie ihr geheißen, und er schob sie sachte neben die Tür, schloss auf und öffnete, in der freien Hand die entsicherte Pistole. Er tastete nach innen, fand den Schalter, und plötzlich lag die Halle in gleißendem Licht.

»Führen Sie mich bitte zuerst durch das ganze Haus und passen Sie auf, dass wir keinen Raum auslassen, einverstanden?«

»Ja.«

Sie machten sich auf den Weg durch die Villa, und der Polizist schaltete überall das Licht ein. Er guckte in alle Schränke und Ecken, prüfte, ob Fenster und Türen verriegelt waren. Außer ihnen befand sich niemand im Haus. Als sie wieder unten im Wohnzimmer angelangt waren, sagte er: »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern das Kommissariat anrufen.«

»Natürlich, machen Sie nur.« Sie führte ihn ins Arbeitszimmer.

Er nahm den Hörer ab und wählte. Gleich darauf hörte sie ihn sagen: »Campagna hier. Wir sind jetzt in der Villa. Ich bleibe die Nacht über hier. Ihr könnt den Streifenwagen schicken, der soll unten an der Auffahrt parken.« Er hörte einen Augenblick zu, dann: »Jawohl, es geht ihr gut. Nur etwas müde. Ich melde mich später wieder.« Er legte den Hörer auf.

Elizabeth ließ sich in einen Sessel sinken. Sie war nervös und sehr angespannt, aber sie wusste, am nächsten Tag stand ihr das Schlimmste erst noch bevor. Zwar war sie dann endgültig in Sicherheit, aber Rhys wäre entweder tot oder im Gefängnis. Und der Gedanke war ihr unerträglich, trotz allem, was sie durch ihn erlitten hatte.

Campagna beobachtete sie besorgt. »Ich könnte eine Tasse Kaffee vertragen«, meinte er. »Und wie steht’s mit Ihnen?«

Sie nickte. »Ich werde welchen kochen.« Sie machte Anstalten aufzustehen.

»Bleiben Sie nur, wo Sie sind, Signora Williams. Meine Frau sagt, ich mache den besten Kaffee der Welt.«

Elizabeth brachte ein Lächeln zuwege. »Das ist nett von Ihnen.« Dankbar ließ sie sich wieder zurücksinken. Bis dahin war ihr gar nicht aufgegangen, wie ausgetrocknet sie sich innerlich fühlte. Sie hatte den Drang, sich über das Vorgefallene und ihre Reaktionen darauf Rechenschaft abzulegen. Sogar während ihres Telefonats mit Alec, das musste sie sich nun eingestehen, hatte sie tief innerlich immer noch gehofft, das Ganze sei ein gewaltiger Irrtum und jeden Moment müsste sich Rhys’ Unschuld erweisen. Und auch auf ihrer Flucht hatte sie sich an den Gedanken geklammert, dass Rhys in Wahrheit nicht zu solchem Tun fähig sei: ihren Vater umzubringen, sie zu lieben und ihr dann nach dem Leben zu trachten. Solche Dinge brachte nur ein Ungeheuer fertig. Und so hatte sie den winzigen Hoffnungsfunken wachgehalten. Doch er war erloschen, als Campagna sagte: Er ist noch flüchtig, wird aber nicht weit kommen. Man rechnet damit, ihn morgen hinter Schloss und Riegel zu haben.