Выбрать главу

Nein, sie konnte einfach nicht mehr länger daran denken. Aber woran sollte sie sonst denken? Wie lange hatte Rhys schon seine Schlingen ausgelegt, seine Pläne geschmiedet, Konzernchef zu werden? Wahrscheinlich von dem Augenblick an, als er dem fünfzehnjährigen Schulmädel begegnet war, allein und einsam in einem Schweizer Internat, leicht zu beeindrucken. Ja, damals musste ihm aufgegangen sein, wie er Sam hereinlegen konnte - auf dem Weg über seine Tochter. Und wie leicht sie es ihm gemacht hatte! Das Souper im Maxim’s, die langen, vertrauensseligen Aussprachen während der vielen Jahre, sein verdammter, überwältigender Charme! O ja, er war geduldig gewesen, hatte gewartet, bis sie zur Frau gereift war. Und die größte Ironie: Er hatte ihr nicht einmal den Hof zu machen brauchen. Nein, das hatte sie für ihn getan, sie hatte ihn umworben. Wie er sich ins Fäustchen gelacht haben musste. Sie beide, er und Helene. Ob das Pärchen zusammenarbeitete? fragte sich Elizabeth. Wo steckte Rhys jetzt? Ob die Polizei ihn tötete, wenn sie ihn erwischte? Sie fing hemmungslos zu schluchzen an.

»Signora Williams...« Campagna stand neben ihr, hielt ihr eine Tasse Kaffee hin.

»Da, trinken Sie das«, meinte er begütigend. »Dann fühlen Sie sich besser.«

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Elizabeth. »Gewöhnlich bin ich keine Heulsuse.«

»Für mein Gefühl halten Sie sich sehr gut, molto bene.«

Elizabeth nippte an dem heißen Kaffee. Er hatte dem Gebräu irgend etwas zugesetzt. Sie sah fragend zu ihm hoch, und er grinste. »Ich dachte mir, ein Schuss Scotch könnte nicht schaden.«

Er nahm ihr gegenüber Platz, und sie saßen schweigend. Sie war dankbar für seine Gegenwart. Nie und nimmer hätte sie allein in der Villa bleiben mögen. So lange nicht, bis sie wusste, was mit Rhys geschehen, ob er tot oder am Leben war. Sie trank den Kaffee aus.

Campagna sah auf die Uhr. »Der Streifenwagen müsste jeden Moment hiersein, mit zwei Mann. Sie halten die ganze Nacht Wache. Ich bleibe hier unten. Sie selbst sollten jetzt nach oben gehen und versuchen, ein wenig zu schlafen.«

Elizabeth schauderte. »Ich könnte kein Auge zubekommen.« Aber schon während sie sprach, durchströmte ihren Körper unendliche Müdigkeit. Die lange Fahrt und die gewaltige Anspannung, der sie so lange ausgesetzt war, forderten ihren Tribut.

»Vielleicht lege ich mich doch einen Moment hin.« Sie hatte Schwierigkeiten, die Worte herauszubringen.

Elizabeth lag im Bett und kämpfte gegen den Schlaf an. Irgendwie erschien es ihr unfair, wenn sie einfach einschlief, während sie irgendwo draußen Rhys jagten. Plötzlich sah sie das Bild vor sich, wie er in einer kalten, dunklen Seitenstraße niedergeschossen wurde. Wieder schauderte ihr. Krampfhaft versuchte sie, die Augen offenzuhalten, aber ihre Lider waren schwer wie Blei, und sobald sie die Augen schloss, versank sie tief und immer tiefer in absolute Leere.

Eine Ewigkeit später schreckte sie auf. Ein Schrei hatte sie geweckt.

53. Kapitel

Elizabeth fuhr im Bett hoch, ihr Herz schlug wie wild. Was war das? Was hatte sie geweckt? Dann hörte sie ihn wieder. Der gespenstisch hohe Schrei schien von draußen zu kommen, direkt vor ihrem Fenster, Agonie einer gequälten Seele im Todeskampf. Elizabeth raffte sich auf und stolperte zum Fenster. Sie sah in die Nacht hinaus. Vor ihr lag eine Landschaft wie von Daumier, erleuchtet von einem kalten Wintermond. Kahle Bäume ragten in den dunklen Himmel, die Äste gepeitscht von einem fauchenden Wind. Weit unten die kochende See.

Und wieder kam der Schrei. Wieder und immer wieder. Plötzlich ging Elizabeth auf, was es war. Die singenden Felsen! Der Schirokko war stärker geworden und blies durch das Gestein, erzeugte den qualvollen Ton, ein Kreischen ohne Unterlass. Und während sie hinhörte, verwandelte es sich in die Stimme von Rhys. Es war Rhys, der nach ihr schrie, sie in seiner Not um Hilfe anflehte. Sie presste die Hände an die Ohren, aber das Schreien wollte nicht verstummen.

Elizabeth schwankte auf die Schlafzimmertür zu und merkte zu ihrem Erstaunen, wie schlapp sie war. Ihr Kopf dröhnte vor Erschöpfung. Sie kam in den Flur und an die Treppe, schwebte auf einer Dunstwolke, als hätte man sie betäubt. Verzweifelt versuchte sie, Campagna zu rufen, aber ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen. Mit letzter Kraft stieg sie die Treppe hinab, kämpfte um ihr Gleichgewicht. Lauter hallte ihre Stimme: »Signore Campagna!«

Keine Antwort. Elizabeth stolperte ins Wohnzimmer. Dort war er nicht. Sie zwang sich, in Bewegung zu bleiben, ging von Zimmer zu Zimmer, hielt sich an den Möbeln aufrecht.

Campagna war nirgends zu finden.

Sie war allein im Haus.

Sie stand in der Halle. In ihrem Kopf lief alles durcheinander. Sie zwang sich zum Nachdenken. Campagna war nach draußen gegangen, um mit den Beamten im Streifenwagen zu sprechen.

Natürlich, das war es. Sie ging zur Haustür, öffnete sie mühsam, spähte in die Nacht.

Dort war niemand. Nur die Finsternis und der kreischende Wind. Die Angst begann sie zu würgen. Elizabeth machte kehrt und ging ins Wohnzimmer zurück. Sie bewegte sich wie durch zähe Watte. Unbedingt musste sie die Polizeistation anrufen und herausfinden, was geschehen war. Endlich am Ziel, nahm sie mit zitternder Hand den Telefonhörer ab. Die Leitung war tot.

Im selben Augenblick gingen alle Lichter aus.

54. Kapitel

London: Westminster Hospital. Vivian Nichols hatte das Bewusstsein wiedererlangt, als sie aus dem Operationssaal gebracht und durch den langen, kahlen Korridor gefahren wurde. Die Operation hatte acht Stunden gedauert. Trotz aller Bemühungen der fähigsten Ärzte würde sie nie wieder laufen können. Mit irrsinnigen Schmerzen wachte sie auf, flüsterte Alecs Namen, immer wieder seinen Namen. Sie brauchte ihn. Er sollte an ihrer Seite sein, sollte ihr geloben, dass er sie noch immer liebte, für alle Zeit lieben würde.

Das Krankenhauspersonal sah sich außerstande, Alec ausfindig zu machen.

Zürich:    Kriminalpolizei. Ein Interpol-Telex aus Australien: »Filmeinkäufer für Roffe und Söhne in Sydney ermittelt. Der Gesuchte drei Tage zuvor an Herzversagen gestorben, Asche in die Heimat überführt. Interpol konnte Verwendung und Empfänger des fraglichen Filmmaterials nicht feststellen. Erbitten weitere Instruktionen.«

Berlin: in einem ruhigen Vorort. Walther Gassner saß im diskret abgeschirmten Wartezimmer des exklusiven Privatsanatoriums. Dort hatte er fast zehn Stunden lang bewegungslos verbracht. Hin und wieder kümmerte sich eine Schwester um ihn oder ein Pfleger. Man bot ihm zu essen und zu trinken an. Walther hörte überhaupt nicht hin. Er wartete auf Anna. Vor ihm lag eine sehr lange Wartezeit.

Italien: In der Villa in Olgiata läutete das Telefon. Simonetta Palazzi hörte eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. »Mein Name ist Donatella Spolini. Wir sind uns nie begegnet, Signora Palazzi, aber wir haben vieles gemeinsam. Ich schlage vor, wir gehen zusammen essen, im Bolognese an der Piazza del Popolo. Sagen wir, morgen um eins?« Simonetta hatte zur selben Zeit einen Termin im Schönheitssalon.