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Elizabeth schloss ab, aber sie wusste, das konnte Rhys nicht von ihr fernhalten. Wenigstens musste er die Tür jetzt erst einschlagen, dachte sie. Noch ein Akt der Zerstörung, den er nicht so einfach würde erklären können. Ihr Tod würde wie Mord aussehen, das konnte er jetzt kaum noch verhindern. Aber sie wollte es ihm noch schwerer machen. Mit letzter Kraft schob sie Möbel vor die Tür. Sie bewegte sich mühevoll, als hinge die Dunkelheit wie eine zähe Masse an ihr. Erst einen Tisch, dann einen Sessel, danach noch einen Tisch. Sie arbeitete wie ein Automat, kämpfte um Zeit, baute ihre kümmerliche kleine Festung gegen die Übermacht des Todes. Von unten kam ein Krachen, erst einmal, dann ein zweites und drittes Mal. Rhys schlug die Schlafzimmertüren ein, auf der Suche nach ihr. Spuren der Gewalt, das hieß: Spuren für die Polizei. Sie hatte ihn ausgetrickst, genauso, wie er sie hereingelegt hatte. Trotzdem, irgend etwas stimmte da nicht. Wenn Rhys ihren Tod als Unfall hinstellen wollte, wieso brach er dann Türen auf? Elizabeth ging zur Verandatür, sah nach draußen, lauschte dem wilden Sturm, der ihre Totenklage sang. Zwischen ihr und dem Abgrund stand nur noch der Balkon, dann kam nichts mehr, nur tief unten die aufgepeitschte See. Aus diesem Raum gab es kein Entrinnen. Sie saß in der Falle. Aber hier lag auch für Rhys der Augenblick der Wahrheit, hier musste er sie herausholen. Elizabeth tastete nach irgendeinem Gegenstand, der ihr als Waffe dienen konnte, aber sie fand nichts.

Im Dunkeln wartete sie auf ihren Mörder.

Warum zögerte Rhys so lange? Wieso schlug er die Tür nicht ein und machte allem ein Ende? Schlag die Tür ein, Rhys! Da war ein Fehler in der Rechnung. Selbst wenn Rhys ihre Leiche wegbrachte und irgendwo verbarg, konnte er die Verwüstung im Haus nicht erklären, den zerschmetterten Spiegel, die eingeschlagenen Türen. Elizabeth versuchte, sich in ihn hineinzuversetzen. Was konnte das für ein Plan sein, der alles das berücksichtigte und doch ausschloss, dass die Polizei ihn als Mörder verdächtigte? Darauf gab es nur eine Antwort.

Und als Elizabeth diese Antwort einfiel, roch sie auch schon den Qualm.

56. Kapitel

Vom Hubschrauber aus konnte Max die Küste von Sardinien nur mit Mühe ausmachen. Die Insel lag eingehüllt in eine wirbelnde Wolke aus rotem Staub. Über das Dröhnen der Rotorblätter rief ihm der Pilot zu: »Der Sturm ist noch schlimmer geworden. Ich weiß nicht, ob wir landen können.«

»Wir müssen landen!« schrie Max zurück. »Steuern Sie Porto Cervo an.«

Der Pilot drehte sich zu ihm um. »Aber das liegt doch ganz oben auf dem verdammten Berg!«

»Ich weiß. Können wir es schaffen?«

»Die Chancen stehen siebzig zu dreißig.«

»Für oder gegen uns?«

»Gegen uns natürlich.«

Der Rauch kroch unter der Tür durch, stieg aus den Parkettritzen auf, und in das Kreischen des Windes hatte sich ein neuer Ton gemischt, das Brodeln und Knistern der Flammen. Elizabeth kannte jetzt die Antwort auf das Rätsel, aber die Erkenntnis kam zu spät, um ihr Leben zu retten. Sie saß in der Todeszelle. Natürlich spielte es keine Rolle, ob Türen, Spiegel und Möbel zertrümmert waren. Denn in wenigen Minuten würde weder vom Haus noch von ihr selbst etwas übrig sein. Dann war alles in Feuer aufgegangen, wie damals das Labor und Emil Joeppli. Rhys aber, das stand fest, hatte ein Alibi parat, und niemand konnte ihm etwas beweisen. Rhys war Sieger geblieben, Sieger über sie und all die anderen.

In immer dickeren Schwaden drang der Rauch ins Zimmer - gelbe ätzende Dämpfe, die Elizabeth würgen machten. Jetzt sah sie die ersten kleinen Flammen in den Türritzen, spürte die Hitze.

Aufgeben, sich dem Tod in die Arme sinken lassen? Nein! Blinder Zorn wallte in Elizabeth auf. Aber es war eine Wut, die ihr Kraft gab sich dem Schicksal zu widersetzen.

Durch den sie fast erstickenden Rauch tastete sie sich zur Balkontür, stieß sie auf und tappte nach draußen. In dem Moment, da die Tür aufging, brachen sich die Flammen vom Flur her Bahn in das Zimmer, züngelten sofort an den Wänden hoch. Elizabeth stand auf dem Balkon. Dankbar sog sie die frische Luft ein, während der Sturm an ihren Kleidern zerrte. Sie blickte nach unten. Der Balkon hing an der Hauswand: eine winzige Insel über dem Abgrund. Nein, das war hoffnungslos, es gab keinen Ausweg.

Oder? Elizabeths gehetzter Blick fuhr nach oben, zum steilen Schieferdach empor. Wenn sie auf das Dach käme und dann auf die andere Hausseite, dann könnte ihr die Flucht vor den Flammen gelingen. Dort wütete das Feuer noch nicht. Sie streckte die Arme hoch, so weit sie konnte, aber die Dachkante lag außerhalb ihrer Reichweite. Immer näher rückten die Flammen; das Zimmer war fast schon ein Flammenmeer. Hoffnungslos? Nein, eine winzige Chance. Elizabeth zwang sich, noch einmal in das Zimmer zu gehen, in die Hölle von Rauch und Feuer. Sofort nahmen die ätzenden Dämpfe ihr den Atem. Blindlings tastete sie sich zum Schreibtisch ihres Vaters, ergriff den Schreibtischstuhl und zerrte ihn auf den Balkon. Sie stellte sich auf ihn, kämpfte um ihr Gleichgewicht. Ja: Ihre Finger konnten das Dach jetzt erreichen, aber sie fanden keinen Halt. Verzweifelt tastete sie über die Schieferfläche. Es musste doch einen winzigen Vorsprung geben!

Drinnen hatten die Flammen jetzt auf die Vorhänge übergegriffen. Sie züngelten durch das ganze Zimmer, sprangen auf die Bücher, den Teppich, die Möbel, alles fiel ihnen zum Opfer. Unaufhaltsam näherten sie sich dem Balkon. Da! Elizabeths Finger hatten einen Halt gefunden, eine hervorstehende Schindel. Ihre Arme waren aus Blei, und sie glaubte selbst nicht, dass sie sich halten könnte. Nicht aufgeben! Sie zog sich hoch, der Stuhl kippte um. Sie hing in der Luft. Mit letzter Kraft krallte sie sich fest, zog sich hinauf. Sie quälte sich über die Ghetto-Mauern, kämpfte um ihr nacktes Leben. Ziehen und zerren, ziehen und zerren: Plötzlich lag sie bäuchlings auf dem schrägen Dach, rang nach Atem. Sogar das Keuchen nahm ihr kostbare Sekunden. Sie zwang sich weiter, schob sich aufwärts, Zentimeter um Zentimeter, presste sich fest auf den Schiefer, wusste: Wenn sie nur einen Moment den Halt verlor, dann kam der Sturz in das Nichts, in den endlosen Abgrund. Aber sie kämpfte verbissen, und plötzlich war sie oben auf der Dachspitze. Jetzt, endlich, durfte sie Luft schöpfen. Sie sah sich vorsichtig um. Der Balkon, von dem sie aufgestiegen war, stand lichterloh in Flammen. Es gab keinen Weg zurück.

Ihr Blick suchte die andere Hausseite. Von hier oben konnte Elizabeth gerade den Balkon eines der Gästezimmer erkennen. Keine Flammen! Das Feuer war noch nicht bis dort vorgedrungen. Aber sie wusste nicht, ob sie es bis zu dem Balkon schaffen konnte. Das Dach fiel steil ab, die Schindeln waren locker, und der Sturm zerrte wie wild an ihr. Wenn sie ausrutschte, konnte nichts mehr ihren Sturz aufhalten. Wie angenagelt blieb sie auf ihrem Platz, wagte es nicht, den Abstieg zu versuchen. Und plötzlich, wie ein Wunder, erschien eine Gestalt auf dem Balkon des Gästezimmers. Es war Alec, und er sah zu ihr hinauf, und seine Stimme klang ganz ruhig. »Du schaffst es, altes Mädchen. Nur immer schön langsam.«

Elizabeths Herz flog ihm entgegen.

»Langsam, ganz langsam«, mahnte er. »Schritt für Schritt.«

Und Elizabeth überwand ihre Starre, ließ sich abwärts gleiten, vorsichtig, Schritt für Schritt, wie Alec gesagt hatte, hielt sich immer so lange an einer Schindel fest, bis sie weiter unten sicheren Halt gefunden hatte. Es schien ihr, als brauchte sie eine Ewigkeit. Aber Alecs Zuspruch begleitete sie, trieb sie weiter. Sie rutschte auf den Balkon zu, hatte es fast geschafft. Da löste sich eine Schindel unter ihrem Griff.

»Halt dich fest!« rief Alec.

Und im letzten Augenblick fand Elizabeth wieder einen Halt, klammerte sich fest. Der Sturz war gestoppt. Sie hing an der Dachkante, unter ihr nur der Abgrund. Sie wusste, jetzt kam der entscheidende Augenblick. Sie musste sich fallen lassen, musste auf den Balkon springen, wo Alec wartete. Wenn sie das Ziel verfehlte...

Alec sah zu ihr hinauf, die Miene voller Zuversicht, ruhig und stark. »Sieh nicht nach unten«, sagte er. »Mach einfach die Augen zu und lass los. Ich fange dich auf.«

Sie versuchte es. Holte tief Luft. Einmal, zweimal. Sie wusste, es gab keine andere Möglichkeit, aber sie brachte es nicht fertig. Ihre Finger waren wie an dem Schiefer festgewachsen.

»Jetzt!« rief Alec. Und da schaffte sie es, ließ sich in den freien Raum fallen, und plötzlich umfingen sie Alecs Arme und zogen sie in Sicherheit. Die Erleichterung war unendlich groß. Sie schloss die Augen.

»Prima gemacht«, hörte sie Alecs Stimme.

Und sie fühlte die kalte Pistolenmündung an ihrer Schläfe.