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Und Elizabeth überwand ihre Starre, ließ sich abwärts gleiten, vorsichtig, Schritt für Schritt, wie Alec gesagt hatte, hielt sich immer so lange an einer Schindel fest, bis sie weiter unten sicheren Halt gefunden hatte. Es schien ihr, als brauchte sie eine Ewigkeit. Aber Alecs Zuspruch begleitete sie, trieb sie weiter. Sie rutschte auf den Balkon zu, hatte es fast geschafft. Da löste sich eine Schindel unter ihrem Griff.

»Halt dich fest!« rief Alec.

Und im letzten Augenblick fand Elizabeth wieder einen Halt, klammerte sich fest. Der Sturz war gestoppt. Sie hing an der Dachkante, unter ihr nur der Abgrund. Sie wusste, jetzt kam der entscheidende Augenblick. Sie musste sich fallen lassen, musste auf den Balkon springen, wo Alec wartete. Wenn sie das Ziel verfehlte...

Alec sah zu ihr hinauf, die Miene voller Zuversicht, ruhig und stark. »Sieh nicht nach unten«, sagte er. »Mach einfach die Augen zu und lass los. Ich fange dich auf.«

Sie versuchte es. Holte tief Luft. Einmal, zweimal. Sie wusste, es gab keine andere Möglichkeit, aber sie brachte es nicht fertig. Ihre Finger waren wie an dem Schiefer festgewachsen.

»Jetzt!« rief Alec. Und da schaffte sie es, ließ sich in den freien Raum fallen, und plötzlich umfingen sie Alecs Arme und zogen sie in Sicherheit. Die Erleichterung war unendlich groß. Sie schloss die Augen.

»Prima gemacht«, hörte sie Alecs Stimme.

Und sie fühlte die kalte Pistolenmündung an ihrer Schläfe.

57. Kapitel

Der Pilot steuerte den Hubschrauber so niedrig wie irgend möglich über die Insel. Damit versuchte er, die gefährlichen Windstöße zu vermeiden. Sie streiften fast die Baumwipfel, aber sogar hier unten gerieten sie von einer Turbulenz in die andere. Ein gutes Stück voraus entdeckte der Pilot den Gipfel von Porto Cervo. Im selben Augenblick sah Max den Berg. »Da ist er!« rief er. »Ich kann die Villa ausmachen.« Und dann erkannte er noch etwas, das ihn vor Schreck erstarren ließ. »Sie brennt!« schrie Max. »Sie brennt lichterloh!«

Auf dem Balkon hörte Elizabeth den herannahenden Hubschrauber. Das Dröhnen der Rotorblätter übertönte sogar den kreischenden Wind. Sie blickte nach oben. Alec schenkte dem Phänomen keinerlei Beachtung. Unverwandt sah er Elizabeth an. Trauer und Schmerz standen ihm in den Augen. »Ich tat es für Vivian. Ich musste es einfach tun. Das verstehst du doch, nicht wahr? Man muss dich im niedergebrannten Haus finden.«

Elizabeth hörte seine Worte gar nicht. Sie konnte nur immer wieder denken: Es war nicht Rhys. Rhys ist unschuldig. Es war Alec. Die ganze Zeit Alec. Der Mörder. Alec hatte ihren Vater umgebracht, hatte alles darangesetzt, auch sie zu töten. Er und kein anderer hatte den Geheimbericht gestohlen und ihn Rhys untergeschmuggelt, um ihn zu belasten. Und damit hatte er Elizabeth dazu getrieben, in Angst und Schrecken vor Rhys zu fliehen. Weil er nämlich genau wusste, dass sie hierherkommen, auf der Insel Schutz suchen würde.

Der Hubschrauber war hinter einer Baumreihe aus dem Blickfeld verschwunden.

Alecs Stimme drang zu ihr durch. »Schließ die Augen, Elizabeth.«

»Nein!« Sie schrie ihre Weigerung in den Wind.

Und von unten rief plötzlich Rhys: »Werfen Sie die Waffe weg, Alec!«

Beide sahen hinab. Auf dem Rasen, im flackernden Schein der Flammen erkannten sie Rhys und den Polizeichef Ferraro und ein halbes Dutzend Polizisten mit entsicherten Gewehren.

»Es ist vorbei, Alec«, rief Rhys. »Lassen Sie Elizabeth gehen!«

Der Scharfschütze spähte durch das Zielfernrohr. »So kann ich nicht schießen. Erst muss sie zur Seite treten.«

Beweg dich! betete Rhys stumm. Nur einen Schritt!

Aus den Bäumen hervor kam Max Hornung angerannt. Er lief auf Rhys zu und blieb wie angewurzelt stehen, als er die Personen auf dem Balkon erkannte. Rhys sagte: »Ich habe Ihre Nachricht erhalten. Aber ich konnte es nicht mehr rechtzeitig schaffen.«

Beide starrten nach oben. Die zwei Gestalten auf dem Balkon wirkten wie Marionetten. Das Feuer, das hinter ihnen in der Villa tobte, gab die gespenstische Bühnenbeleuchtung ab. Der Wind peitschte die Flammen, und das Haus war zu einer gigantischen Fackel geworden. Der Schein reichte bis zu den Bergen, verwandelte die Nacht in ein glühendes Inferno.

Elizabeth drehte sich um und sah Alec an. Das war kein Gesicht: eine Totenmaske, mit Augen, die nichts mehr wahrnahmen. Er trat einen Schritt zurück in die Balkontür.

Der Scharfschütze unten stieß einen Seufzer aus: »Ich hab’ ihn!« Er drückte ab. Nur einmal. Alec stolperte, fiel durch die Tür und verschwand im Haus.

Jetzt stand nur noch eine Puppe auf der Gespensterbühne.

»Rhys!« schrie Elizabeth.

Aber er rannte schon auf sie zu.

Danach passierte alles wie in einem wirbelnden Kaleidoskop. Rhys war bei ihr, hob sie auf, trug sie nach unten in Sicherheit. Sie klammerte sich an ihn, konnte ihn nicht fest genug halten.

Dann lag sie auf dem Gras, durfte endlich die Augen schließen. Rhys hielt sie in den Armen. Sie hörte seine Stimme. »Ich liebe dich, Liz. Ich liebe dich!«

Seine Worte umfingen sie wie ein wärmender Mantel. Sie wollte sprechen und konnte es nicht. Dann schlug sie die Augen auf und begegnete seinem Blick. Sie sah seine Liebe und die große Angst. Es gab so vieles, das sie ihm sagen wollte. Ein übermächtiges Schuldgefühl lahmte ihr die Zunge. Ihr ganzes Leben lang würde sie nicht aufhören können, ihn und sich selbst vergessen zu machen, welches Unrecht sie ihm angetan hatte.

Aber das kam später. Jetzt war sie viel zu müde, um daran zu denken. Sie konnte an nichts mehr denken. Das entsetzliche Geschehen, der Alptraum der letzten Monate, das alles war so weit weg, als hätte jemand anders ihn geträumt.

Auf der ganzen Welt zählte nur noch eins: Rhys und sie waren vereint, die Mauern endgültig eingerissen, nichts konnte sie mehr trennen. Sie spürte die Kraft in seinen Armen. Er hielt sie fest, würde sie immer festhalten, und mehr verlangte sie nicht vom Leben.

58. Kapitel

Er stolperte in den Feuersturm, trat durch das Tor zur glühenden Hölle. Der Qualm wurde immer dichter und füllte den Raum mit tanzenden Schimären. Wie eine Katze sprang das Feuer Alec an. Die Flammen streichelten sein Haar, und ihr Knistern verwandelte sich in Vivians Stimme. Sie rief ihn, lockte ihn mit dem uralten, unwiderstehlichen Gesang der Sirenen.

Der Feuerschein explodierte zu gleißender Helle, und da sah er Vivian. Sie lag nackt auf dem Bett, nackt ihr herrlicher Körper, nur das scharlachrote Band um den Hals. Dasselbe Band, das sie in jener Nacht getragen hatte, als er sie das erste Mal lieben durfte. Wieder rief sie seinen Namen. Noch nie hatte er solches Sehnen in ihrer Stimme vernommen. Und diesmal verlangte sie nach ihm, nicht nach den anderen. Er trat näher; sie flüsterte: »Ich habe immer nur dich geliebt.«

Und Alec glaubte ihr. Jetzt durfte er ihr glauben. Sie hatte schlimme Dinge getan, und dafür hatte er sie bestrafen müssen. Aber er war schlau gewesen, sehr schlau, hatte all die anderen Frauen für ihre Sünden zahlen lassen, hatte seine furchtbaren Taten allein für Vivian verübt. Als er auf sie zuging, flüsterte sie noch einmaclass="underline" »Mein ganzes Leben habe ich nur dich geliebt, Alec.« Er wusste, sie sagte die Wahrheit.

Sie lockte ihn mit ihren weißen weichen Armen. Er sank neben ihr nieder. Er umfing sie, sie verschmolzen miteinander. Er war in ihr, er war sie. Und diesmal konnte er ihr Verlangen stillen. Und er fühlte eine solche Freude, dass es ihn schmerzte, ein exquisiter, unerträglicher Schmerz. Er spürte, wie die Hitze ihres Körpers ihn verzehrte, und während er sie noch ansah in all seinem Glück, schmolz das Band um Vivians Hals in kleine lebhafte Feuerzungen, die ihn streichelten, liebkosten, an seinem Gesicht leckten. Im fauchenden Flammenmeer stürzte die Decke ein und begrub ihn: ein lodernder Scheiterhaufen.