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«Das ist Maria«, sagtest du,»die ist sauber wie ein Wassertropfen, hat nur irgendwann nicht mehr zurückgeschrieben. «Und weiter erzähltest du von dieser Maria, der» Tochter echter Christen«, die in einem» Dorf bei Münster lebt «und ein» Herz für Langstrafler hat«, was für ein sanftes Wesen die sei und wie ergreifend schlicht gerade ihr letzter Brief auf gelbem Papier. Dreimal habe sie dich auch im Knast besucht, dir Bibelstellen vorgelesen, deine Hand gehalten, dich angesehen aus ihren» riesigen blauen Kulleraugen«, doch nie wärst du auf die Idee gekommen, sie» anzubaggern «oder eine der Fotografien, um die du sie eigens gebeten hättest, als» Wichsvorlage zu mißbrauchen«.

Münster, sagte ich trocken, ist das nicht ein bißchen weit weg? Ich hatte Mühe, dir zu verbergen, daß ich eifersüchtig war — und neidisch, vor allem das. An sich neige ich nicht zur Eifersucht, seit ich älter bin, schon gar nicht mehr. Aber wenn mich dies unwürdige, nichts als ein mieses Bedürfnis nach Besitz verratende Gefühl dereinst doch mal packte, bestand es überwiegend aus Neid — auf die Reize jenes anderen, schöneren Menschen. Im Falle dieser Unschuld vom Lande, die auch noch Maria hieß, gab mir deine scheinheilige Schwärmerei für deren angeblich so kostbare Reinheit den bösesten Stich. Gestern hattest du dich von mir nur vögeln, dir aber keinen blasen lassen wollen, und heute?! Während ich dabei war, deine Haut zu retten, gestandest du mir ohne Rücksicht auf Verluste deine Liebe zu einer womöglich noch minderjährigen, fadendünnen, semmelblonden Pferdenärrin, die sich nicht einmal Fertigzigaretten leistete, sondern ihre — übrigens so gar nicht zu einer Maria passende — Rauchlust mit Tütenknaster befriedigte, wahrscheinlich, weil ihr knapp bemessenes Taschengeld sonst nicht reichen würde, für Hafer, Striegelfett, falsche Perlen und gelbes Blümchenbriefpapier.

Nein, Harry, ich fragte nichts mehr, auch nicht nach Marias Nummer und Adresse. Und daß ich die nicht kennenlernen, also nicht bei der Gruppe haben, sondern für immer in der Kirche ihres zum Glück mindestens acht Zugstunden von uns entfernten Dorfes oder auf ihrem Scheißgaul durch die dunkelsten Wälder irren lassen wollte, das wenigstens konntest du wohl begreifen; denn ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stecktest du die beiden Bildchen zurück in deine Arschtasche — und nie wieder kamen sie zum Vorschein.

Eine Weile standest du noch bei mir am Tisch, ließest schweigend mein beleidigtes Schweigen über dich ergehen, dann knurrtest du» bin müde «und zogst, samt Bettzeug und Matratze, in die Küche. Es sah nicht so aus, als wünschtest du, daß ich dir folge.

Meine ob der Maria-Episode gesunkene Stimmung bewirkte wohl, daß ich die nächsten Telefonate in einer nicht allzu flehentlich klingenden Tonlage führte und dies wiederum, daß ich — drei Stunden und siebzehn Anrufe später — nicht nur die nötigen acht Männer und Frauen beisammen, sondern sogar noch einen Reservisten gewonnen hatte.

Stolz eilte ich zu dir in die Küche, baute mich mit verschränken Armen vor deiner ruhenden, möglicherweise auch wirklich schon wieder schlafenden Gestalt auf und sagte sehr laut: Hey, Harry, die Sache ist geritzt. Ich hab uns neun Schutzengel eingefangen. — Weil es von Anfang an so war, frage ich mich, ob du es überhaupt hättest bemerken können, doch jedesmal, wenn ich mich zu dir sprechen hörte, wurde ich mir ein wenig fremd, denn die Worte, die ich gebrauchte und von denen ich annahm, daß sie deinen Geschmack trafen, waren immer andere als jene, die ich kurz vorher gedacht hatte. Ich übte eine Rolle, die mir gefiel, aber nicht lag; ob du das durchschautest, mein falsches Spiel trotzdem mochtest, das, Harry, wüßte ich gern — und nicht nur aus Eitelkeit.

VIII

«Da habe ich mir vielleicht ein paar putzige Pappnasen angelacht. Am komischsten ist Clara, eine nach Nuttenparfüm stinkende, Liebeslyrik schreibende, ultralinke Qualle, die früher mal beim Ballett gewesen sein will. Die hat garantiert was übrig für so knackige Knackis wie mich. Ich werde sie Clärchen nennen und mir um den kleinen Finger wickeln. Auch Marlene, das reife Schwarzwaldmädel, dürfte kaum Streß machen. Sieht aus wie ein Schluck Essig mit Pudelfrisur, singt aber in einer Band und schwärmt für die Doors. Sagt, sie hätte alle Platten. Da kommen doch schöne Stunden auf mich zu! Dann gibt es noch Julia, eine womöglich schon vor der Pubertät vertrocknete, in jeder Hinsicht brettflache Tante, die aus grünen Stofftieraugen traurig in die Runde glotzte und meinte, es sei ihr lieber, wenn wir Juli zu ihr sagen, denn sie hätte sich gerade von einem Romeo getrennt. Juli bedient nachts das Bereitschaftstelefon der Bestattungsfirma Grieneisen, obwohl sie gelernte Goldschmiedin ist. Die letzten drei Jahre hat sie den Sommer über auf Formentera selbstgebastelten Modeschmuck verkauft. Aber das läßt sie dieses Jahr ausfallen, zum einen meinetwegen und dann, weil sie die sauer verdienten Flöhe sowieso gleich wieder springen lassen müßte, für Hotelzimmer, Strandliege, Sangria. Einer heißt Frank, ist Maler und aus dem Osten, ein vollbärtiger, alter Zausel, der meinte, daß ich meine Zeit mit ihm ja als Modell absitzen könnte. Geht klar, habe ich gesagt, Porträt oder Akt? Seine Frau Hanna, die auch zu unserem Club gehört, hat Beine bis zum Hals, Pfoten wie ein Maurer, den Mund von Klaus Kinski und den gleichen Beruf wie der. Die wollte bloß wissen, ob ich spülen, putzen, bügeln kann. Werde ich alles einmal machen, und zwar so, daß sie mir solchen Scheiß nie mehr zumutet. Thomas, ein blonder Niederrheiner, und sein Kumpel Christoph, ein knubbliger Bayer in Lederjeans, halten sich für echte Draufgänger. Aber wovon sollten die draufgehen? Weiß der Geier, was die sich vorstellen. Kontakte? Tips, wie man wo drankommt? Bißchen Karate lernen bei Harry, dem Grizzly? Der Ersatzmann heißt Marc, ist Amerikaner, Bildhauer, die Ruhe selbst und der einzige von denen, der mir irgendwie imponiert.«

Über mich, Harry, kein Sterbenswort, nicht einmal hier, in dieser vergleichsweise ausführlichen Passage deiner Aufzeichnungen — oder wie du das nennst. Warum bin ich abwesend, als wären wir einander nie begegnet? Mein einer, der freundlichere, Verdacht ist, daß du befürchtet hast, dein Heft könnte bei einer Hausdurchsuchung, einer neuerlichen Festnahme, einem überraschenden Besuch von alten Bekannten … in fremde, also falsche Hände geraten; und um diesem Fall vorzubeugen, jede auch nur vage in meine Richtung deutende, eventuelle Textinterpretation von vornherein auszuschließen, hieltest du es für notwendig, mich komplett zu unterschlagen. Meine andere, dir kein edles Motiv zubilligende und für mich selbstredend schmerzhaftere, aber mit der ersten durchaus kompatible Vermutung ist die, daß ich dir so gleichgültig war wie alles auf der großen weiten Welt, außer deinem Lebenselixier und der Angst davor, wieder im Knast zu landen.

Anyway, wie du sagen würdest; darüber, was du wirklich von mir hieltest, ob und in welchem Maße du mich mochtest, kann ich mich um den Verstand spekulieren, denn ich war dir, entschuldige, wenn ich mich wiederhole, ja keine geschriebene Silbe wert — oder eben so viel, daß du dir jede nachlesbare verkniffen hast. Ohne mein Elefantengedächtnis, in dem unsere meist ziemlich einseitigen Gespräche bewahrt sind wie in einem Buch, müßte ich glauben, ich hätte nur geträumt, träumte noch immer — und nicht bloß die Worte, die wir wechselten, auch all das, was du mit mir, für und gegen mich getan oder eben unterlassen hast.