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Erbstück, fragte ich laut und legte meine Finger auf das Portemonnaie. Aber Christoph grabschte nicht etwa ängstlich nach seinem Eigentum, sondern antwortete grinsend, als hätte ich ihn von Üblerem als Geld befreien wollen:»Nein, noch nicht, noch bin ich ja am Leben.«

Er setzte sich wieder, winkte, kaum daß die Toilettentür hinter ihr zugeschlagen war, die Serviererin herbei, fragte, ob er mich einladen dürfe, zu was auch immer, orderte für sich die nächste Karaffe Rosé und sprach:»Angenehm, ich bin der Bayer Christoph Meier.«

Ich sagte ihm, wer ich sei und wo ich herkäme, und dann wunderten wir uns ein wenig und ganz so, wie unsere Rollen es verlangten, er sich, weil ich keinen Wodka mochte, ich mich darüber, daß er sich an diesen komischen hellroten Wein hielt, obwohl sie hier ein berühmtes Münchner Bier zapften. Christoph outete sich als Augsburger, der» in der Nähe von Brechts Elternhaus «aufgewachsen und vor sechs Jahren nach Berlin gekommen sei, um Pädagogik zu studieren. Doch das habe ihn bald» angeödet«, auch weil er» nicht ernsthaft «daran denke,»einmal Kinder zu dressieren«. Jetzt bringe er sich ein bißchen ein in ein Jugendprojekt namens Pumpe und mache am Wochenende einen Job, der ihm wiederum ein bißchen was einbringe.

«Und du? Welcher Teufel hat dich geritten, der DDR den Rücken zu kehren?«Christoph war so taktlos nicht, mich, wie es schon mancher getan hatte, des» Verrats an der Sache des Sozialismus «zu bezichtigen. (Was mich nur mäßig kränkte; denn so, wie wir von einer Alternative geträumt hatten, gestand ich euch die umgekehrte Illusion zu.) Statt dessen bot er mir an, ihn gelegentlich, wenn er Wichtigeres erledigen oder mal wieder seine Mutter besuchen müsse, bei dem Wochenendjob zu vertreten, und sehr viel später, als wir das Malibu schwankend verließen, auch seine Badewanne.»Hier«, lallte Christoph,»hier is a Schlüssel zu unsrer WG. Den hatte ich für Adrienne dabei, doch die scheint ihn ja nicht mehr zu wollen. Kannst kommen, wann du magst. Wir verlassen meist früh das Haus und sind viel unterwegs oder bei unseren Freundinnen.«

Christophs Faust knuffte lasch meine Schulter; seinem Mund entwich noch ein» Tschau«, das wie Miau klang, dann drehte er sich weg und schritt davon, etwas steif- und breitbeinig, wie ein trauriger, aber stolzer Mann eben so geht, kurz vor dem Ende der Nacht.

Als die ihn verschluckt hatte, lief auch ich los, Richtung Tiergarten, den Schlüssel in meiner Hand wärmend.

Lieber hätte ich Christoph mitgenommen und viel lieber ihn zu sich begleitet, schon wegen der Badewanne. Doch seit ich unter ihnen lebte, war es mir nicht mehr gelungen, einen dieser Westmänner aus halbwegs sortierten Verhältnissen für mich zu gewinnen. Sicher, ich war nichts Besonderes, aber ich konnte lange Beine vorzeigen, reine Haut, einen vollen Busen und Mund. Früher im Osten, als ich noch den Exotenbonus hatte und der Gast die Freiheit, zu bestimmen über das Maß von Nähe und Distanz, waren einige dieser Gäste jedenfalls weniger wählerisch gewesen. Zwei Studenten der politischen Wissenschaften, aus Marburg der eine, der andere aus Bremen, hatten nacheinander,»mit Hilfe «meiner» Zuneigung«, wie der Bremer es ausgedrückt hatte, die» erotischen Unterschiede «zwischen ihren» Bräuten «und denen im Osten» empirisch überprüft«. Auch an einen Heidelberger Zahnmediziner kann ich mich ziemlich gut erinnern — und an den vasektomierten amerikanischen Germanistikstudenten, der beim Anblick meines Ofens derart in freudige Erregung geriet, daß er, während seine Zehen die heißen Kacheln betasteten, wieder und wieder» oh, it’s crazy «rief. Dabei hatte mancher Mann, der neben mir oder in den übrigen Regionen unseres Ländchens aufgewachsen war, meine unkomplizierte, nicht nach fester Bindung strebende Art durchaus geschätzt; zumal sich Ostmänner bei den wirklich Schönen eher unsicher fühlten, denn die wollten, wie es hieß,»erobert und so oder so unterhalten werden«.

Und nun? Ich gab mir alle Mühe, meine nicht eben zahlreichen Reize hervorzuheben, mit Lippenstift, Netzstrümpfen, schicken BHs unter dünnen Blusen. Aber es lief, obschon ich mich manchen Abend an der gelangweilten Herumhockerei in den Kneipen beteiligte, nichts; nichts als gelegentlich gönnerhaftes oder kritisch belehrendes Interesse an den — auch noch reichlich unspektakulären — Umständen meiner» weichen Landung «auf dem» Planeten des real existierenden Kapitalismus im Sonnensystem Deuropa«, zu der mir Christoph bei unserem ersten Gelage im Malibu gratuliert hatte. Und trotz des beifälligen Lächelns, mit dem ich die fade polemische Replik quittiert hatte, wußte ich über solche wie Christoph doch schon so viel, daß ich mich fragte, ob dieser Wortwitz tatsächlich auf seinem Mist gewachsen war oder auf dem eines Titanic-Redakteurs.

Es war, als seien diese freundlichen, für das ungeübte Auge sehr lässig wirkenden jungen Männer, deren erlesene» Dresscodes «ich entschlüsseln lernte, noch ehe ich wußte, was genau damit gemeint ist, in Klarsichtfolie gewickelt. Ich konnte ihren Blicken folgen, zu ihnen sprechen, sie antworten und atmen hören, aber wirklich berühren konnte ich sie nicht. Das spürte ich, sobald ich meine Hand auf eine dieser Männerhände legte und versuchte, sie eine Weile dort zu lassen. Es fühlte sich an, als seien ihre gepflegten, sehnigen Hände, aus denen sich markant die Adern hervorwölbten, wiewohl sie Wärme abgaben, taub. Oder waren es meine Fingerkuppen? Auch die Männer schienen diese Blockaden zu bemerken, denn sie zogen, meist beiläufig, ja, behutsam, ihre jeweilige Hand weg, während meine noch Kontakt wollte, mein Nervensystem noch darauf wartete, daß etwas geschah, daß es womöglich meinen Pulsschlag beschleunigen, meine Betriebstemperatur erhöhen und meinen Geruchssinn schärfen müßte.

Wie ferngesteuert erreichte ich die Pallas-Athene-Straße 12, öffnete die Tür zu der Fünfzimmerwohnung im vierten Stock des zweiten Hinterhofs, die sich Christoph mit drei Freunden teilte, und dann, bis zum Anschlag, den breitmäuligen Messinghahn, aus dem das Wasser in disproportional dünnem, unregelmäßigem Strahl hinunterrann auf den Grund der tiefen, sanft gerundeten Badewanne, die mich jedesmal an die Krankenhaus-Nachttöpfe aus meiner Zeit als Hilfspflegerin erinnerte, nicht nur der Form und des Geräusches wegen, sondern auch, weil sie bestenfalls zu einem Drittel gefüllt war, wenn sich der — zum Glück über dem Fußende hängende — schrottreife Dreißig-Liter-Gasboiler nach einer knappen Stunde endlich entleert hatte. Meistens nutzte ich diese Stunde, um mich für das Privileg zu revanchieren, spülte Geschirr, bügelte Hemden oder bereitete die Suppe vor, die ich nach dem Baden gerne kochte, schön langsam; es konnte ja sein, daß Christoph ausnahmsweise mal vor Mitternacht heimkehrte oder wenigstens einer seiner Wohngenossen Anton, Sven und Bruce.

Doch an jenem Freitag legte ich unverzüglich meine Sachen ab und mich fröstelnd auf den rostfleckigen Wannenboden. Aber nicht so, daß der feine, dafür aus beträchtlicher Höhe hinabstürzende Wasserstrahl die leicht manipulierbare Stelle zwischen meinen Beinen traf, denn beinahe mehr als den mechanisch herbeigeführten Orgasmus, den ich mir sonst immer gönnte, genoß ich es, in Eile zu sein.

Kaum richtig trockengerubbelt, setzte ich mich nackt an den Küchentisch, frisierte und schminkte mich vor einem Klappspiegel, den ich im Bad entdeckt hatte — und dorthin zurückzubringen vergaß, weil ich nervös war, so sehr, daß mir der Lidstrich mißriet und mein flüchtig gefönter, toupierter, hochgesteckter, von zuviel Haarspray klebrig-steifer Schopf aussah wie ein aufgeplatzter Polsterstuhl, ein gefrorener Ameisenhaufen, ein verlassenes Krähennest … Ich schlüpfte wieder in den kleinkarierten Sommerhänger, der mir nun lächerlich verfrüht vorkam, fand noch eine blaue Herrenstrickjacke, die Helmut Kohl gepaßt und gestanden hätte, entschuldigte die Leihnahme auf einem Zettel, warf die Tür hinter mir zu — und hatte Zeit, noch fast eine Stunde, in der ich hin und her überlegte, ob ich meine Verabredung mit dir einhalten sollte oder besser nicht.