„Na also! Dann darf ich mir doch die Pläne ansehen. Vielleicht möchte ich später mal mitreisen.“
Der Fustianer trabte davon. Retief wandte sich an den Alten. „Ich glaube, der holt seinen großen Bruder. Man läßt mich die Zeichnungen nicht in Ruhe ansehen. Darf ich Kopien anfertigen?“
„Gern, Leichtfüßiger. Und ich schäme mich wegen der Unhöflichkeit der Jugend.“
Retief nahm eine winzige Kamera aus der Tasche, wechselte die Optik aus und fotografierte die Pläne.
„Möge die Pest über die Jungen kommen!“ sagte der Alte. „Sie werden immer aufsässiger.“
„Warum wehrt ihr Alten euch nicht gegen sie?“
„Sie sind flink und wendig, wir sind langsam und träge. Und neu ist diese Unrast. Unbekannt in meiner Jugend war derartige Frechheit.“
„Die Polizei…“
„Pah! Es gibt hier nichts, was dieser Bezeichnung würdig wäre. Und niemals brauchten wir sie in früheren Tagen.“
„Was steckt dahinter?“
„Sie haben Führer, die sie aufhetzen, und sie planen Unheil.“ Er deutete nach draußen. „Sie kommen, und ein Weicher ist bei ihnen.“
Retief steckte die Kamera ein und sah aus dem Fenster. Ein blasser Croanier mit verziertem Helmbusch stand bei den Jugendlichen und sah zur Hütte herüber. Jetzt setzte sich die Gruppe in Bewegung.
„Das ist der Militärattache der croanischen Gesandtschaft“, erklärte Retief. „Möchte wissen, was die zusammen aushecken.“
„Nichts, was Fust zum Ruhme gereichen könnte“, seufzte der Alte „Fliehe, Leichtfuß, während ich ihre Aufmerksamkeit ablenke.“
„Ich wollte gerade gehen. Und vielen Dank! Wo soll ich hin?“
„Durch die Hintertür. Möge es dir wohlergehen an diesen Gestaden, Fremder!“ Er ging auf die Vordertür zu. „Danke, gleichfalls, Alterchen!“ Retief wartete hinter der Hütte, bis erregte Stimmen im Innern laut wurden, dann schlenderte er zum Tor.
Zur ersten Stunde des zweiten Dunkels in der dritten Periode verließ Retief die technische Abteilung der Bibliothek und ging in sein Büro. Er fand eine Notiz unter dem Briefbeschwerer.
„Retief, ich erwarte Sie zum LAK-Dinner im zweiten Dunkel der vierten Periode. Eine kurze, aber wie ich hoffe eindrucksvolle Feier des Jugendhilfswerkes wird der Presse Gelegenheit geben, sich über unser Wirken zu informieren. Ich konnte diesen Empfang veranlassen, obgleich ich nicht die mindeste Unterstützung von Ihnen hatte.“
Retief schaute auf die Uhr. Nur noch drei Stunden. Wenn er sich beeilte, konnte er im fustianischen Schneckentempo nach Hause fahren, sich in Schale werfen und zurückkriechen.
Draußen bestieg er einen Bus und sah der gelben Sonne Beta beim Aufgehen zu. Die Flut hatte jetzt ihren Höhepunkt erreicht, und eine steife, salzhaltige Brise wehte vom nahen Strand her. Retief schlug seinen Kragen gegen die Feuchtigkeit hoch. In einer halben Stunde würde er in den senkrechten Strahlen der ersten Sonne schwitzen, aber dieser Gedanke hielt ihn nicht wärmer.
Zwei Jugendliche bestiegen die Plattform und gingen auf Retief zu. Er zog sich zum Geländer zurück und beobachtete sie.
„Jetzt seid ihr nahe genug! Es ist genügend Platz für alle hier — kein Grund, zu drängeln.“
„Wir interessieren uns für gewisse Filme“, sagte der eine Junge, dessen Stimme erstaunlich tief klang. Retief schloß daraus, daß er im Stimmbruch war.
„Ich habe euch schon mal gesagt, drängelt nicht!“ Retiefs Stimme klang energisch.
Die beiden traten näher; ihre Mundschlitze waren vor Zorn verzerrt. Retief stellte dem mit der tiefen Stimme ein Bein und warf sich gegen die plumpe Brust, als sein Gegner schwer auf den Boden des Fahrzeuges schlug. Dann sprang der Diplomat ab, noch ehe der zweite ihn hatte angreifen können. Er war mit einem Satz auf einem anderen Fahrzeug und beobachtete, wie ihm die beiden Fustianer mit verdrehten Köpfen nachsahen, nachdem auch sie das Fahrzeug verlassen hatten.
Den Film wollten sie also. Nun, sie kamen zu spät, denn er hatte ihn bereits kopiert und sowohl im Tresor des DCT als auch in der technischen Bibliothek hinterlegt. Seine Vergleiche hatten deutlich gemacht, daß dieses „Passagierschiff“ dem zweihundert Jahre alten Schlachtkreuzer Mark XXXV nachgebildet war.
Wie hatten die Jugendlichen aber von dem Film erfahren? Der Alte hatte ihnen bestimmt nichts davon gesagt. Jedenfalls nicht freiwillig.
Nach dieser Überlegung sprang Retief ab und wandte sich der Werft zu.
Die Tür war aus den Angeln gerissen und dann an den Rahmen gelehnt worden. Retief schaute durch den Spalt auf das Durcheinander im Innern der Hütte. Der Alte hatte sich gewehrt.
Hinter dem Gebäude sah er tiefe Schleifspuren. Sie führten zu der Stahltür eines Lagerschuppens.
Retief blickte sich um. Jetzt, zur mittleren Stunde der vierten Periode, drängten sich die Arbeiter am Rande des Erfrischungsteiches und machten Siesta. Der Diplomat nahm ein Werkzeug mit zahlreichen Klingen aus seiner Tasche und versuchte sich an dem Schloß. Ein Klicken, und es öffnete sich. Er drückte die Tür nur einen Spalt auf, so daß er gerade hineinschlüpfen konnte.
Vor einem Stapel von Säcken war der Staub weggefegt. Retief kletterte hinauf und sah den Alten in einem Loch des Stapels liegen. Sein Kopf war mit einem dicken Sack umwunden.
Als Retief den Alten befreit und auf die Füße gestellt hatte, entschuldigte er sich: „Tut mir leid, daß ich dich in Schwierigkeiten gebracht habe.“
„Ich fluche der Wiege, die ihren Schlummer schützte, verdammte Brut!“ knurrte der Alte.
„Jetzt muß ich zusehen, wie ich dich hier rausbringe.“
„Das wäre dein Tod.“
„Sie würden doch nicht so weit gehen?“
„Schau dir das an!“ Der Alte beugte seinen Nacken, und Retief sah eine breite Wunde, an der verkrustetes Blut klebte.
„Wäre mein Fell nicht so dick, sie hätten mich umgebracht. Jetzt sind sie fort und holen Waffen.“
„Ich dachte, Waffen seien verboten!“
„Der Weiche besorgt sie ihnen.“
„Schon wieder der Croanier!“ Retief wollte sich zum Gehen wenden, aber plötzlich stieg ihm ein eigenartiger Geruch in die Nase. Er beugte sich zu einem eingetrockneten Fleck auf dem Boden nieder und roch daran. „Was hat hier gelagert?“ fragte er den Alten.
„Kübel — vier kleine Kübel, bemalt mit teuflischem Grün. Eigentum des Weichen, des Croaniers. Sie lagen hier einen Tag und eine Nacht. In der Dunkelheit der ersten Periode kamen sie mit Stauern und verluden sie auf den Leichter,Moosfels’.“
„Das Vergnügungsboot für einflußreiche Persönlichkeiten. Wer benutzt es?“
„Ich weiß nicht. — Mich interessieren die Jugendlichen mehr.“
„Diese Sache ist wichtiger. Ich kenne nur einen Stoff, der in Kübeln transportiert wird und so riecht wie der Fleck hier. Und das ist Titanit, ein Explosivstoff, der gefährlicher ist als ein Uranbrenner.“
Beta ging bereits unter, als Retief und der alte Whonk am Schilderhaus neben der Laufplanke ankamen, die zu der Raumjacht „Moosfels“ führte.
„Ein Zeichen der heutigen Zeit“, sagte Whonk und schaute in das Schilderhaus. „Ein Posten sollte hier stehen, ist aber nicht da. Wahrscheinlich verkroch er sich, um zu schlafen.“
Sie betraten das Raumschiff.
Eine Holzkiste stand auf dem Boden, daneben lagen der Deckel und ein Brecheisen. Dieser Anblick störte die gepflegte Atmosphäre der Jacht.
Whonk durchsuchte die Kiste und brachte einen fleckigen Fustianer-Mantel in Orange und Grün, ein Metallarmband und ein Bündel Papiere zum Vorschein.
„Wer trägt diese Farben?“ fragte Retief.
„Ich weiß es nicht. Aber das Armband ist graviert.“
„LAK“, entzifferte Retief. „Schnell zur Botschaft!“ sagte er und stürmte hinunter zur Luftschleuse.