Retief legte ein dickes Goldstück auf den dafür vorgesehenen Teller. „Das Zeug einschenken!“
„Einen Käfig bringen und die Mißgeburt reinstecken!“ rief eine dünne Stimme aus dem Hintergrund.
Retief wandte sich um und sah, wie ein hochgewachsener Croanier zornig seine Kinnbacken aufblies. Offensichtlich war er betrunken.
„Schon viele Mißgeburten wie mich gesehen?“ fragte der Diplomat freundlich.
Der Mixer flüsterte etwas, und zwei Gäste führten den Betrunkenen zur Tür. Retief folgte ihnen. Draußen ließen sie den Betrunkenen los und eilten in die Bar. Retief betrachtete den Schwankenden.
„Freunde sein“, sagte er. „Zusammen einen trinken.“
„Die Schmach nicht ertragen können“, stöhnte der Betrunkene und wollte ihn schlagen, aber Retief war zurückgesprungen. Er unterhielt sich weiter in croanischer Sprache mit dem Wütenden und lockte ihn in eine enge Querstraße. Dann packte der Diplomat den Croanier am Kragen, riß ihn kurz hoch und ließ ihn zu Boden fallen. Der Eingeborene richtete sich halb auf, aber Retief setzte ihm den Fuß auf die Brust.
„Schön hierbleiben und eine nette lange Unterhaltung führen“, sagte er.
„Da haben Sie Ihr Fett!“ Miß Meuhl musterte Retief über den Rand ihrer Brille. „Zwei Croanier möchten Sie sprechen. Was haben Sie bloß angestellt? Die Herren sind sehr aufgeregt.“
Zwei Croanier mit Scheuklappen und ausladenden Helmbüschen erhoben sich, als Retief eintrat.
„Ich bin Fith vom Außenministerium, terranische Abteilung. Darf ich Shluh von der einheimischen Polizei vorstellen?“
Jawohl, die beiden waren wütend, stellte Retief fest. „Behalten Sie Platz.“
Miß Meuhl zögerte, setzte sich dann aber auf die Kante eines Stuhles, und die Besucher ließen sich ebenfalls wieder nieder.
„Vor einer Stunde“, begann der Polizeichef, „wurde ein Croanier mit schweren Quetschungen ins Krankenhaus eingeliefert. Befragung des Verletzten ergab, daß er von einem Terraner verprügelt worden war. Nachforschungen erwiesen, daß es sich bei dem Verbrecher um einen Mann handelt, auf den die Beschreibung des terranischen Konsuls paßt.“
„Haben Sie von einem Kreuzer namens,Terrific’ gehört, der vor neun Jahren in diesem Raumsektor verschwand?“
„Nein, Herr Konsul, das können Sie nicht…“, stöhnte Miß Meuhl, aber Retief bedeutete ihr, sich wieder zu setzen.
„Bedienen Sie die Protokolliermaschine, und halten Sie den Mund!“ befahl er.
„Sie öffnen alte Wunden, Herr Konsul. Es erinnert uns an illegale Behandlung seitens der Terraner.“
„Dummes Geschwätz!“ winkte Retief ab. „Eine Untersuchungskommission Terras stellte eine Woche lang Fragen, ohne Resultate zu erzielen, und reiste wieder ab.“
„Es ist jetzt an Ihnen, Fragen zu beantworten. Dieser Verletzte im Krankenhaus.“
„… hat ein gutes Gedächtnis. Er erinnerte sich an so manches, als ich ihn davon überzeugt hatte, wie gut es ihm bekommen würde, wenn er nachdächte.“
„Ich werde Ihre Rückberufung beantragen, Herr Konsul. Besäßen Sie als Diplomat nicht Ihre Immunität…“
„Warum wurde die Regierung gestürzt, nachdem die Untersuchungskommission wieder abgereist war?“ bohrte Retief weiter.
„Das sind interne Angelegenheiten!“ schrie Fith mit dünner Croanierstimme. „Die neue Regierung hat ihr Bestes getan, um den terranischen Konsul und seinen Stab…“
„… an der Nase herumzuführen“, unterbrach ihn Retief. „Ebenso tappen die wenigen terranischen Geschäftsleute im dunkel, denen man Visa bewilligt hat.“
„Genug!“ Fiths Kinnbacken zitterten vor Erregung. „Ich kann davon nicht mehr reden.“
„Sie werden reden! Oder ich fordere ein paar Kreuzer von der Erde an, die Friedenswahrer in Massen herbringen werden, um Fragen zu stellen.“
Retief sah Shluh an. „Vor neun Jahren gab es hier einen kleinen Umzug. Einige fremdartige Wesen wurden in Käfigen durch die Stadt gefahren, damit die Bevölkerung sie sehen konnte. Sehr lehrreich, solch ein Anschauungsmaterial. Ein kulturelles Ereignis. Die Tiere trugen eigenartigerweise Kleider und schienen sich untereinander zu verständigen. Sagen Sie, Shluh, was geschah nach dem Umzug mit den sechs Terra- nern?“
Fith röchelte. Dann sprach er auf Shluh ein, der in seinem Stuhl zusammensank.
„Wie starben sie?“ fragte Retief scharf. „Wurden ihnen die Kehlen durchgeschnitten? Hat man sie erschossen oder lebendig begraben?“
„Nein“, ächzte Fith. „Ich muß dieses Mißverständnis richtigstellen.“
„Zum Teufel mit Mißverständnis! Sie waren hier, die Terra- ner. Eine Befragung unter Drogen würde das aus jedem Croanier herausholen, der sie gesehen hat.“
„Ja, es stimmt“, gab sich Fith geschlagen. „Aber sie wurden nicht getötet.“
„Also leben sie noch?“
„Nein, sie starben. Einer nach dem anderen. Wir wußten nicht, welche Nahrungsmittel…“
„Und niemand machte sich die Mühe, es herauszufinden. Doch das behandeln wir später. Was geschah mit der übrigen Mannschaft? Wurden die schon vor dem Umzug krank?“ „Es waren nur sechs. Ich weiß es genau.“ „Bei der Bruchlandung umgekommen?“ „Es gab keine Bruchlandung. Die Terraner waren unverletzt. Selbstverständlich fürchteten wir sie. Das Schiff ging östlich der Stadt nieder, und die seltsamen Wesen stiegen aus. Wir hatten nie zuvor solche Wesen gesehen.“
„Ihr fürchtetet die Strahlwaffen, die sie auf euch richteten?“ wollte Retief wissen.
„Sie trugen keine Waffen.“
„Eben! Sie hoben vielmehr die Hände und baten um Hilfe. Und ihr halft ihnen in den Tod.“ „Wir hatten doch keine Ahnung.“
„Keine Ahnung, daß wenige Monate später Untersuchungskommissionen in schweren Kreuzern kommen und nach den Vermißten fragen würden?“ „Wir hatten Angst.“ „Wo habt ihr das Schiff versteckt?“
Die beiden Croanier sahen sich lange an. Endlich sagte Fith: „Wir wollen unsere Bereitwilligkeit zeigen. Wir bringen Sie zum Schiff.“
Retief erhob sich. „Miß Meuhl, wenn ich nicht rechtzeitig zurückkomme, versiegeln Sie das Protokoll und schicken es ans Hauptquartier.“
Er musterte die beiden Croanier scharf. „Wir können gehen!“
Retief stand am Eingang der Höhle und sah auf die mattschimmernde Hülle des Raumers. „Gibt’s hier Licht?“
Ein Croanier drückte auf einen Knopf, und ein bläuliches Leuchten erfüllte den Raum.
„Wie habt ihr es hier hereingebracht?“ fragte Retief.
„Es wurde vom Landeplatz hierhergebracht“, sagte Fith mit noch dünnerer Stimme als sonst. „Dies ist eine natürliche Höhle. Das Schiff wurde hineinversenkt und eingeschalt.“
„Wie konntet ihr verhindern, daß die Metallsucher es fanden?“
„Ringsum lagern reiche Erzvorkommen. Große Adern mit nahezu reinem Metall.“
„Ich möchte hinein.“
Shluh kam mit einer Taschenlampe. Die Gruppe betrat das Schiff, und Retief kletterte in den Kontrollraum. Dicker Staub lag auf allem. Retief musterte die Streben, wo Andruckliegen gestanden hatten, die leeren Instrumententafeln, die herumliegenden Riegel und Schrauben, Drahtstücke und Papierreste. Rostschichten überzogen die Stellen des Metalls, an denen Schneidbrenner Stücke aus der massiven Wandung getrennt hatten. Es roch nach Fäulnis.
„Der Frachtraum…“, begann Shluh.
„Ich habe genug gesehen“, schnitt ihm Retief das Wort ab.
Schweigend begleiteten ihn die Croanici aus der Kohle.
„Ich hoffe, daß die leidige Angelegenheit damit beendet ist.“
„Sparen Sie sich dieses Gerede, Fith!“ sagte Retief scharf. „Die,Terrific’ war ein Zwanzigtausendtonner. Wo ist sie? Ich begnüge mich nicht mit einem Hundert-Tonnen-Rettungsboot.“