Über ein Dutzend Petreacaner, offensichtlich Angehörige einer niederen Kaste, standen um einen Tisch in der Mitte des Raumes und sahen erschrocken auf. Ein Stapel von Messern lag auf diesem Tisch, und einige der Petreacaner trugen schon Messer in den Gürteln, andere hielten sie noch in den Händen.
Mit einem Blick erfaßte Retief die Situation, wandte sich dann einem Regal zu, nahm eine grüne Flasche herunter und pfiff arglos vor sich hin, als er den Rückweg antrat. In der Tür prallte er auf Magnan.
„Das dachte ich mir. Jetzt will ich Ihnen mal was sagen.“ Magnan sah die blitzenden Klingen und verstummte. „Was — was geht hier vor?“ stammelte er endlich verstört.
„Kommen Sie!“ Retief drehte ihn an der Schulter um und wollte ihn hinausführen.
„Schließen Sie die Tür und verhalten Sie sich ruhig!“ befahl ein dicker Koch, der ein langes Brotmesser in der Hand hielt.
„L-los, wir r-rennen!“ stotterte Magnan.
Aber Retief hielt ihn fest, schloß die Tür und hob die Hände, Handflächen nach außen. „Ich renne nicht gut mit einem Messer im Rücken. Stehen Sie ganz still, Mr. Magnan, und gehorchen Sie ihm.“
„Bringt sie zum Hinterausgang!“ sagte der Dicke.
Retief und Magnan wurden aus dem Palast geführt und standen im Schimmer des Sternenlichtes. Eine leichte Brise bewegte die Wipfel jenseits des Gartens.
„Du gehst mit, Uly“, sagte der Koch.
„Tut es hier“, mischte sich ein anderer ein.
„Wollt ihr sie runtertragen? In den Fluß, habe ich gesagt!
Drei von euch sind ’ne Menge für zwei Nenni-Schwächlinge.“
„Sie sind Ausländer, keine Nenni.“
„Nenni-Ausländer. — Beeilt euch! Ich brauche hier jeden Mann.“
Retief spürte, daß ihm jemand eine Messerspitze gegen den Rücken drückte, und ging. Magnan drängte sich enger an ihn. „Der Bursche da vorn — ist das nicht der, dem Sie vorhin aus der Klemme geholfen haben?“
„Genau! Und jetzt scheint er überhaupt nicht nervös.“
Der Mann, von dem sie sprachen, wartete, bis sie herankamen, und blieb dann neben ihnen.
„Die zwei da hinten haben Angst vor euch.“ Er deutete mit dem Messer auf die Nachfolgenden. „Sie haben nicht lange genug für Nenni gearbeitet wie ich.“
„Worum geht’s eigentlich?“ fragte Retief.
„Wir schneiden allen Nenni die Kehlen durch. Und den Ausländern auch.“
„Wir?“
„Der Volksbefreiungsbund.“
„Und wann soll das stattfinden?“
„Im Morgengrauen. Zu dieser Jahreszeit dämmert es sehr früh. Bei Tagesanbruch herrscht der VBB.“
„Dieses Blutbad bringt euch gar nichts“, tadelte Magnan. „Ich werde dafür sorgen, daß die unterdrückten Arbeiter Erleichterungen erhalten. Gleiches Recht für alle.“
„Mit Drohungen kommen Sie nicht weiter.“
„Drohungen? Ich verspreche bessere Lebensbedingungen für die ausgebeuteten Klassen.“
„Sie sind verrückt! Warum sollten wir auf Petreac herrschen, wenn es keine Beute gibt?“
„Ihr wollt das Volk unterdrücken? Aber das ist doch eure eigene Gruppe!“
„Gruppe, schnuppe! Wir tragen das Risiko, und wir werden absahnen.“
„Wer ist der Anführer?“
„Zorn. — Vorsicht, die Böschung ist glitschig.“
„Hören Sie!“ Magnan wurde eindringlich. „Dieser Mann hat Ihnen geholfen. Wollen Sie sich nicht dankbar erweisen?“
„Klar, gib mir dein Messer, Vug.“
Es roch nach Schlamm und Seetang, und kleine Wellen klatschten gegen die Mauer, auf der Magnan, Retief und ihre Wächter jetzt standen.
„Ich mache es Ihnen so gut wie schmerzlos. Ich kenne da einen ausgezeichneten Trick. Wer kommt zuerst dran?“
„Was soll das heißen? Sie sind diesem Herrn zu Dank verpflichtet!“ Magnan heulte fast.
„Eben, deshalb mache ich es ja selbst. Ich bin Fachmann. Das da sind Amateure.“ Er deutete auf die beiden anderen.
Retief schob Magnan zur Seite. „Ich bin zuerst dran“, sagte er, fuhr dann herum und landete eine rechte Gerade auf Ulys Mund.
Die lange Klinge streifte Retiefs Schulter, als Uly fiel, richtete aber keinen Schaden an. Retief packte den jetzt unbewaffneten Vug an der Kehle und am Gürtel und schlug ihn gegen den dritten. Beide schrien auf, als sie von der Mauer ins Wasser stürzten. Retief nahm Uly den Gürtel ab und fesselte ihm damit die Hände.
Magnan fand wieder Worte: „Wir — Sie — die…“
„Ich weiß!“
„Zurück! Wir müssen die anderen warnen!“
„Wir kämen nicht durch. Und wenn, würde das Blutbad nur früher beginnen.“
„Aber wir müssen doch.“
„… zum Haupt dieser Revolte vordringen — zu Zorn.“
Uly stöhnte und richtete sich auf. „Mir ist schlecht.“
„Das macht die feuchte Luft. Wo wohnt Zorn, wenn er in der Stadt ist?“
„Wo ist Vug…?“
„Im Wasser. Nimmt ein Bad.“
Uly starrte hinunter auf die wogende dunkle Fläche. „Ich habe euch Nenni falsch eingeschätzt.“
„Gehen wir, ehe Vug und Slug an Land kommen.“
„Kein Grund zur Eile.“ Uly spuckte aus. „Sie können nicht schwimmen.“ Er winkte zum Wasser hinunter. „Mach’s gut, Slug, mach’s gut, Toscin.“
Dann wandte er sich um. „Ich bringe euch zu Zorn. Ich kann auch nicht schwimmen.“
„Das Kasino ist bestimmt nur eine Fassade für seine politische Wühlarbeit.“ Retief deutete auf einen dunklen Schuppen, dessen Tür offenstand. „Wir nehmen da drin das Lametta ab.“
Uly stand da, die Hände auf dem Rücken gefesselt, und sah zu, wie die beiden Diplomaten Orden, Ehrenzeichen, Bänder und Rangabzeichen vom „großen Abendanzug“ nahmen — wie er für den Empfang Vorschrift gewesen war.
„Der Weg zum Kasino?“ fragte Retief, und Uly erklärte es ihm.
„Hinlegen!“ befahl der Diplomat dann. „Bitte, Ihren Gürtel, Magnan!“
„Vug und Toscin werden sich freuen, mich zu sehen. Aber meine Geschichte werden sie nicht glauben.“
Retief band Ulys Füße zusammen und steckte ihm einen Knebel in den Mund.
„Sie sollten ihm die Kehle durchschneiden“, sagte Magnan.
„Das ist aber gar nicht nennihaft“, tadelte Retief. „Sollten wir jedoch das Kasino nicht finden, weil Uly gelogen hat, dann komme ich zurück.“
Als Uly sich hierauf nicht rührte, ging Retief voraus, und Magnan folgte ihm.
Vor dem Kasino hielt er den Jüngeren am Ärmel zurück. „Sollten wir uns nicht erst umsehen?“
Retief schüttelte den Kopf. „Wenn man wo ist, wo man nichts zu suchen hat, muß man energisch auftreten. Drücken wir uns hier herum, dann schnappt man uns.“
Der niedrige Spielsaal war überfüllt, und Stimmengewirr übertönte die Ansagen der Croupiers.
„Was nun?“ fragte Magnan.
„Wir spielen. Haben Sie Geld mit?“
„Nicht viel.“ Magnan reichte Retief alles, was er bei sich trug.
Ein kugelköpfiger Mann kam auf die beiden zu. „Sie wollen sich sicher am Zoop-Turm versuchen, meine Herren. Etwas für Männer mit Muskeln.“
„Ahm — was ist ein Zoop-Turm?“ fragte Magnan.
„Ah, Sie sind nicht von hier? Kommen Sie bitte mit!“
Er führte die beiden zu einem Turm, der auf einem der Spieltische stand. Ein weißer Ball lag auf der Spitze des Turmes, darunter waren zwei Netze ausgebreitet.
„Zwei Gruppen spielen gegeneinander. Sie ziehen diese Hebel“, der Kugelköpfige deutete auf je zwei Hebel an dem Spieltisch, „und versuchen, den Turm ins Wanken zu bringen. Dem Stärkeren fällt der Ball ins Netz, sobald sich der Turm zu seiner Seite neigt. Damit ist das Spiel entschieden.“
„Wieviel wird gesetzt?“
„Hundert Einheiten sind geboten.“
Retief zahlte dem Kugelkopf zwei Fünfziger und setzte sich mit Magnan an den Tisch. Ihnen gegenüber hatten zwei Arbeiter in Pullovern Platz genommen.