„Sind Sie sicher, daß noch nichts passiert ist?“ fragte Ma- gnan.
„Absolut. Noch zehn Minuten. Viel Zeit.“
„Ich werde in den Salon gehen, um mich selbst davon zu überzeugen.“
„Von mir aus“, gab Zorn zurück. „Aber bleiben Sie aus der Küche, sonst wird Ihnen die Kehle durchgeschnitten.“ Zorn schnupperte an seinem Rauschgiftstäbchen. „Möchte bloß wissen, wo Shoke bleibt. Ich habe doch nach ihm geschickt.“
Magnan trat zu einer hohen Glastür, drückte sie auf und steckte seinen Kopf durch die dicken Vorhänge. Als er sich eben zurückziehen wollte, hörte er eine ferne Stimme. Magnan blieb wie angewurzelt stehen, den Kopf noch immer zwischen den Portieren.
„Was ist denn da los?“ krächzte Zorn. Er und Retief traten hinter Magnan.
„. Luft geschnappt“, sagte Magnan gerade.
„Gut, nun kommen Sie aber!“ Retief erkannte die Stimme von Botschafter Crodfoller.
Magnan trat von einem Fuß auf den anderen und schob sich dann durch die Vorhänge.
„Wo waren Sie, Mr. Magnan?“ fragte der Botschafter scharf.
„Oh — äh — ein kleiner Unfall, Herr Botschafter.“
„Wie sehen denn Ihre Schuhe aus? Wo sind Ihre Orden, Bänder und Rangabzeichen?“
„Ich habe Wein darübergegossen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich auf mein Zimmer ginge und neue Medaillen anlegte.“
„Ein Berufsdiplomat läßt sich nie anmerken, daß er etwas getrunken hat. Das gehört zu den ersten Anfangsgründen diplomatischer Kunst. Wir sprechen später darüber. Eigentlich wollte ich Sie an der Unterzeichnung teilnehmen lassen, aber ich verzichte darauf. Ziehen Sie sich bitte unauffällig durch die Küche zurück.“
„Durch die Küche? Die ist doch überfüllt. Das heißt — äh — ich meine.“
„In diesem Falle ist es mir lieber, Sie büßen ein wenig Ansehen ein, als daß Sie in diesem unwürdigen Zustand gesehen werden. Entfernen Sie sich freundlicherweise. Das Abkommen ist noch nicht unterzeichnet.“
„Das Abkommen…“ Magnan wollte offensichtlich Zeit gewinnen und redete drauflos. „Sehr klug, Herr Botschafter. Eine ausgezeichnete Lösung.“
Das Orchester spielte einen Tusch.
Zorn drehte seinen Kopf und legte das andere Ohr an den Türspalt, „Was für ’n Ding will Ihr Freund drehen? Das gefällt mir gar nicht.“
„Regen Sie sich nicht auf, Zorn! Mr. Magnan möchte seine Karriere retten.“
Die Musik brach ab.
„… mein Gott!“ Die Stimme des Botschafters drang nur schwach zu den beiden Lauschern herüber. „Dafür werden Sie zum Ritter der Ehrenschwadron ernannt. Gott sei Dank, daß Sie mich noch erreichen konnten. Zum Glück ist es noch nicht zu spät. Ich werde eine Entschuldigung finden. Ich werde sofort eine Depesche absenden.“
„Aber Sie…“
„Schon gut, Magnan! Sie kamen rechtzeitig. In zehn Minuten wäre das Abkommen unterschrieben gewesen, Die Dinge hätten ihren Lauf genommen, meine Karriere wäre ruiniert gewesen.“
Retief spürte einen Stoß im Rücken und drehte sich um.
„Verrat“, sagte Zorn leise. „Soviel gilt also das Wort eines Diplomaten.“
Retief betrachtete den kurzläufigen Strahler in Zorns Hand.
„Ich sehe, Sie haben auf zwei Pferde gesetzt, Zorn.“
„Wir warten hier, bis sich die Wogen geglättet haben. Ich möchte jetzt keine Aufmerksamkeit erregen.“
„In Politik sind Sie eine Null, Zorn. Die Lage hat sich nicht geändert. Ihr Aufstand würde nie gelingen.“
„Mund halten! Ich erledige eine Aufgabe nach der anderen.“
„Magnans Klappe öffnet sich immer im falschen Augenblick.“
„Mein Glück, daß ich es hörte. Also gibt es kein Handelsabkommen, keine Waffen und keinen dicken Posten für Tammany Zorn, he? Von mir aus! Spielen wir es anders herum. Was habe ich zu verlieren?“
Mit einer Bewegung, die so rasch war, daß Zorn nicht rechtzeitig reagieren konnte, schlug Retief auf das Handgelenk des Rebellenführers. Der Strahler fiel klirrend zu Boden, Retief packte Zorn und wirbelte ihn zu sich herum.
„Auf Ihre letzte Frage kann ich nur antworten: Ihr Genick.“
„Du hast nicht die geringste Chance, Verräter!“ zischte Zorn.
„Shoke kann jeden Augenblick hiersein“, erwiderte Retief. „Sagen Sie ihm, daß der Aufstand abgeblasen ist.“
„Drücken Sie nur fester zu, Mister. Kugeln Sie mir doch den Arm aus. Nichts werde ich ihm sagen.“
„Spaß beiseite, Zorn. Blasen Sie den Aufstand ab, oder ich bringe Sie um!“
„Glaube ich Ihnen. Aber Sie werden sich nicht lange in der Erinnerung an meinen Tod sonnen.“
„Diese Morde sind sinnlos. Sie werden tot sein, und dann kommen die Rotuner und nehmen Ihren Platz ein.“
„Na und? Wenn ich tot bin, hören die Welten auf zu existieren.“
„Wie wär’s mit einem anderen Vorschlag, Zorn?“
„Wie sollte der besser sein als der erste?“
Retief ließ Zorns Arm los, schob ihn von sich und hob den Strahler auf.
„Ich könnte Sie töten, Zorn, das wissen Sie.“
„Tun Sie es doch!“
Retief drehte den Strahler um und reichte ihn Zorn. „Ich bin auch Spieler. Ich lasse es darauf ankommen, daß Sie mir zuhören.“
Zorn riß ihm den Strahler aus der Hand und trat zurück. „Das war nicht Ihr schlauester Schachzug. Aber reden Sie! Sie haben ungefähr zehn Sekunden.“
„Niemand hat Sie verraten, Zorn. Magnan konnte seinen Mund nicht halten. Aber ist das ein Grund dafür, daß Sie sich, und Ihre Leute umbringen lassen?“
„Zur Sache!“
Retief sprach anderthalb Minuten. Zorn stand mit vorgehaltenem Strahler da und hörte zu. Dann hörten beide Männer Schritte, die näher kamen. Der dicke Koch im gelben Sarong watschelte auf Zorn zu.
Zorn schob seinen Strahler in den Gürtel. „Der Aufstand — findet nicht statt.“
„Ich möchte Ihnen mein Lob aussprechen, Retief’, sagte Botschafter Crodfoller leutselig. „Sie haben gestern ganz gut mitgemischt. Obgleich ich mir Ihrer Anwesenheit gar nicht so recht bewußt wurde.“
„Ich bewunderte Mr. Magnan bei der Arbeit.“
„Ein guter Mann, dieser Magnan. Versteht es, sich unsichtbar zu machen.“
„Jawohl. Er verschwindet immer im richtigen Augenblick.“
„Dies war in mancher Hinsicht ein Modellfall, Retief.“ Der Botschafter strich sich zufrieden den Bauch. „Ich habe die Etikette der Eingeborenen befolgt und bin dadurch zu einem guten Einverständnis mit dem Herrscher gekommen.“
„Das Abkommen wurde verschoben, hörte ich.“
Der Botschafter lachte in sich hinein. „Dieser Herrscher ist ein schlauer Fuchs. Er wollte — um es einmal vulgär auszudrük- ken — das Corps übers Ohr hauen.“
„Das brachte mich natürlich in eine schwierige Lage. Ich mußte seinen Plan vereiteln, ohne offiziell etwas davon zu wissen.“
„Eine haarige Angelegenheit!“
„Ich ließ einfließen, verschiedene Punkte des Abkommens seien gestrichen, andere dafür eingefügt worden. In diesem Augenblick bewunderte ich ihn. Er nahm es hin, als sei nichts geschehen, und verbarg seine große Enttäuschung meisterhaft. Natürlich mußte er das tun, wenn er sich nicht verraten wollte.“
„Ich sah ihn mit drei Mädchen tanzen, die mit Weintrauben bekleidet waren“, grinste Retief. „Für einen Mann von diesem Umfang ist er recht behende.“
„Sie dürfen den Herrscher nicht falsch einschätzen. Bedenken Sie, daß er unter der Maske des Frohsinns den schweren Schlag verbarg, den er hatte einstecken müssen.“
„Hätte ich wirklich nicht gemerkt“, sagte Retief.
„Machen Sie sich nichts draus, junger Mann! Ich gestehe, daß auch ich zunächst seine List nicht durchschaute.“ Der Botschafter nickte Retief zu und ging den Korridor hinunter.