Außer Atem holte der Botschafter den jungen Retief ein, der hinter einem leeren Stuhl stand, dem brokatgedeckten Tisch gegenüber, an dem F’Kau-Kau-Kau, der Herrliche, Platz genommen hatte.
„Mr. Retief, Sie werden mich freundlicherweise nach diesem Zwischenfall aufsuchen, sobald wir Zeit haben“, zischte er. „Bis dahin erwarte ich von Ihnen, daß Sie jegliche unüberlegte Handlung unterlassen. Ich muß Ihnen wohl nicht ins Gedächtnis zurückrufen, daß ich Ihr Vorgesetzter bin.“
Magnan trat zu den beiden. „Ich gratuliere Ihnen, Retief. Sie sind schlagfertig.“
„Sind Sie nicht ganz richtig im Kopf, Magnan?“ Der Botschafter kochte. „Ich bin äußerst unzufrieden mit ihm.“
„Tja“, stotterte Magnan, „ich habe es selbstverständlich ironisch gemeint, Herr Botschafter. Natürlich fühlte auch ich mich durch Mr. Retiefs Anmaßung wie vor den Kopf geschlagen.“
Die Männer von der Erde nahmen Platz, Retief am Ende des Tisches. Die Tischplatte bestand aus grünem Holz. Es war keine Decke darüber gebreitet. Vor jedem Platz stand ein flacher Zinnteller.
Die Yill an diesem Tisch — manche in schlichtes Grau, andere in Schwarz gekleidet — musterten die Besucher schweigend. Diese Gruppe war dauernd in Bewegung. Immer wieder standen einige auf, gingen, andere kamen und setzten sich.
Die Flöten und Pfeifen des Orchesters jammerten in ohrenbetäubendem Furioso, und das Stimmengewirr der schnatternden Yill an den anderen Tischen wetteiferte mit dem Gedudel.
Ein hochgewachsener Yill in Schwarz stand nun neben dem Botschafter. Sämtliche Yill in seiner Nähe verstummten, als der Diener eine weißliche Suppe in den größten der vor Spradley stehenden Blechnäpfe goß. Der Dolmetscher blieb zögernd und abwartend hinter Spradley stehen.
„Danke, das ist genug“, sagte Botschafter Spradley, als die Schüssel bis zum Rand gefüllt war. Aber der Yill-Diener goß noch mehr nach, bis die Suppe auf den Tisch floß.
„Bedienen Sie bitte die anderen Mitglieder meines Stabes!“ befahl der Botschafter. Der Dolmetscher sagte etwas zu dem Diener, und der ging zögernd zu dem nächsten Stuhl. Auch hier schöpfte er Suppe in den Blechnapf.
Retief beobachtete und lauschte dem gedämpften Flüstern der Yill, die jetzt ihre Hälse reckten, um mehr zu sehen. Der Diener schöpfte hastig weiter Suppe aus und warf ab und zu verstohlene Blicke zur Seite. Jetzt kam er zu Retief und hielt den vollen Schöpflöffel über den Napf, der vor dem Diplomaten stand.
„Nein“, sagte Retief, „nicht für mich!“
Der Diener zögerte, und der Dolmetscher kam heran. Er winkte dem Diener auffordernd zu, und wieder schwebte der überlaufende Suppenlöffel über Retiefs Teller.
„Ich will nichts davon!“ Retief hatte die Stimme gehoben, was um so mehr auffiel, als die Yill an den anderen Tischen gespannt schwiegen. Er musterte den Dolmetscher eine Zeitlang, der den starren Blick erwiderte, ohne mit der Wimper zu zucken, dann aber dem Diener winkte und sich mit ihm entfernte.
„Mr. Retief!“ rief eine wütende Stimme. Retief sah zum anderen Ende des Tisches hinüber. Der Botschafter hatte sich vorgelegt und funkelte ihn aufgebracht an. Sein Gesicht war rot angelaufen.
„Ich warne Sie, Mr. Retief’, sagte er heiser. „Ich habe Schafsaugen im Sudan gegessen, ka swe in Burma, hundert Jahre alten cug auf Mars, kurzum, alles, was mir in meiner langen diplomatischen Laufbahn vorgesetzt wurde. Und, beim heiligen Sankt Ignaz, Sie werden genauso handeln!“ Er nahm einen Gegenstand auf, der einem Löffel ähnelte, und tauchte ihn in die Suppe.
„Essen Sie das nicht, Herr Botschafter!“ rief Retief.
Der Botschafter riß in fassungslosem Staunen die Augen auf, öffnete aber gleichzeitig den Mund und hob den Löffel.
Retief sprang auf, packte die Tischplatte, hob sie mit einem Ruck in die Höhe, und augenblicklich rutschten sämtliche Näpfe zu Boden. Dem blechernen Klappern der Näpfe folgte das Poltern des Tisches, den Retief umgeworfen hatte.
Weiße Suppe schwappte auf die bunten Fliesen des Festsaales. Die Yill schrien auf, ebenso der Botschafter, aber bei ihm klang es, als schnüre ihm jemand die Kehle zu.
An den erstarrten Mitgliedern des Stabes vorbei ging Retief auf den Botschafter zu. „Herr Botschafter“, sagte er, „ich würde gern.“
„Sie würden gern! — Ich werde dafür sorgen, daß Sie hinausfliegen. Begreifen Sie denn nicht…“
„Bitte“, mischte sich der Dolmetscher ein, der neben Retief getreten war.
Der Botschafter wandte sich an den Yill. „Tut mir leid!“ Er wischte sich die Stirn. „Bitte vielmals um Entschuldigung…“
„Schweigen Sie!“ sagte Retief zu seinem Vorgesetzten.
„W-wie b-bitte?“
„Entschuldigen Sie sich nicht, Herr Botschafter“, antwortete der junge Mann, ohne sich von dem durchbohrenden Blick des Diplomaten aus der Ruhe bringen zu lassen.
P’Toi winkte. „Bitte, alle mitkommen!“
Retief folgte ihm als erster.
Der Teil des Tisches, der ihnen nun zugewiesen wurde, war mit gesticktem Leinen gedeckt, und feines Porzellan stand vor jedem Platz. Die Yill, die dort gesessen hatten, erhoben sich mitten im Gespräch und machten den Besuchern Platz. Die schwarzgekleideten Yill am letzten Tisch rückten nach, um die leeren Plätze zu füllen.
Retief setzte sich, und Magnan nahm neben ihm Platz.
„Was geht hier eigentlich vor?“ wollte der Zweite Sekretär wissen.
„Sie setzten uns Hundefutter vor“, erklärte Retief. „Ich hörte einen Yill darüber sprechen. Außerdem placierten sie uns am Tisch der Diener.“
„Soll das heißen, daß Sie die Sprache verstehen?“
„Ich habe sie auf der Herfahrt gelernt. So viel wenigstens, daß ich…“
Das Orchester spielte einen Tusch, und eine Schar von Jongleuren, Tänzern und Akrobaten kam in den Festsaal. Im freien Raum zwischen den Tischen zeigten sie dann ihre Künste.
Emsig kamen und gingen die Diener mit duftenden Speisen, die sie auf die Teller der Yill und der Terraner häuften. Andere schenkten hellrote Flüssigkeit in schlanke Gläser. Retief kostete das Essen. Er fand es vorzüglich.
Bei dem Lärm war jegliche Unterhaltung illusorisch, und so beschränkte sich der junge Diplomat darauf, ausgiebig zu essen und dem lustigen Treiben der Künstler zuzusehen.
Aufatmend lehnte sich Retief zurück, als die Musiker eine Pause einlegten. Die letzten Teller wurden eben abgeräumt, und andere Diener schenkten Getränke aus.
Erschöpft bückten sich die Künstler nach den eckigen Münzen, die von den Speisenden in die Saalmitte geworfen wurden. Retief seufzte. Es war ein vortreffliches Festessen gewesen.
„Retief“, meldete sich Magnan nun zu Wort, da es im Vergleich zu dem Lärm der Musik still war. „Sie wollten mir etwas von Hundefutter erzählen.“
Retief sah ihn an. „Haben Sie das Ganze nicht durchschaut? Diese absichtlichen Beleidigungen, eine nach der anderen.“
„Beleidigungen? Moment mal, Retief. Sie sind unhöflich, diese Yill, das stimmt. Sie vertreten einem den Weg und so weiter. Aber Beleidigungen?“ Unsicher sah er Retief an.
„Sie pferchten uns in den Lagerschuppen für Gepäck, als wir ankamen. Dann transportierten sie uns in einem Wagen der Müllabfuhr.“
„Müllabfuhr?“
Retief nickte. „Dann ließen sie uns durch die Tür für Händler und Dienstboten herein und wiesen uns Zimmer im Personalflügel an. Zum Essen setzten sie uns an den letzten Tisch zu den Dienern, die nur grobe Arbeiten verrichten.“
„Sie müssen sich irren. Schließlich sind wir die Delegation der Erde. Selbstverständlich müssen diese Yill wissen, wie mächtig wir sind.“
„Kein Zweifel, Mister Magnan. Dennoch.“
Mit einem Beckenschlag leiteten die Musiker einen erneuten Angriff auf die Ohren ihrer Zuhörer ein, und sechs Yill sprangen in die Mitte des Raumes. Sie trugen Helme auf den Köpfen und begannen einen wilden Kriegstanz.