Magnan zupfte Retief am Ärmel, und seine Lippen bewegten sich. Aber Retief schüttelte den Kopf. Niemand konnte ein YillOrchester übertönen, das so richtig im Zuge war wie die Musiker jetzt. Der junge Diplomat kostete einen hellroten Wein und sah den Tanzenden zu.
Auf der Tanzfläche gab es ein Handgemenge. Zwei der Tänzer stolperten und fielen hin. Die anderen stoben davon, teilten sich wieder in Zweiergruppen, reizten einander und rasselten mit ihren stumpfen Säbeln. Schon fielen zwei weitere Yill verletzt zu Boden. Es war ein Tanz voller Gewalttätigkeit. Retief sah zu, sein Wein war vergessen.
Zwei Yill blieben übrig. Jetzt tanzten sie aufeinander zu, zogen sich zurück, wirbelten umeinander, drehten sich um die eigene Achse, hüpften hoch in die Luft und machten Finten und Scheinangriffe.
Und dann stolperte der eine, ging zu Boden, und der andere, ein Hüne, wandte sich ab, wirbelte zu den aufpeitschenden Klängen des Orchesters durch den Raum, und die Zuschauer bombardierten ihn mit Münzen.
Vor einem der Tische blieb er stehen und hob seinen Säbel. Dann schmetterte er seine Waffe auf die Tischplatte, daß die Gläser tanzten. Die Musik verstummte augenblicklich.
Der mit Spitzen und Schleifen gezierte Yill, vor dessen Platz der Tänzer stehengeblieben war, sprang mit einem Schrei auf und hob die geballte Faust. Sofort beugte der Tänzer den Kopf, spreizte die Hände über seinen Helm und tanzte weiter, sobald die Musik wieder lautstark einsetzte.
Der reichgeschmückte Yill winkte lässig mit der Hand, warf einige Münzen auf die Tanzfläche und setzte sich wieder.
Jetzt stand der Tänzer aufrecht vor dem brokatbedeckten Tisch, und die Musik brach abrupt ab, als der Säbel vor einem vierschrötigen Yill auf den Tisch dröhnte. Der herausgeforderte Yill erhob sich, ballte die Faust, und der Tänzer duckte sich, beide Hände schützend über den Helm gebreitet. Münzen fielen zu Boden, und der Tänzer zog sich auf die Tanzfläche zurück.
Er wirbelte an den Tischen vorbei, hieb mit dem Säbel durch die Luft, daß es schwirrte, und stach ein paarmal in symbolischer Geste zu. Dann plötzlich blieb er vor Retief stehen, den Säbel hoch über seinen Kopf erhoben.
Jäh verstummte die Musik, und in der plötzlich eingetretenen Stille peitschte der Säbel durch die Luft und donnerte mit solch wuchtigem Schlag auf die Tischplatte, daß die Teller hochhüpften und Gläser zersprangen.
Die Augen des Yill waren starr auf Retief gerichtet. Außer einem betrunkenen Kichern Magnans war kein Geräusch zu hören.
Retief stieß seinen Stuhl zurück.
„Ruhe bewahren!“ rief Botschafter Spradley, aber Retief stand schon. Der Yill-Tänzer überragte den einsneunzig großen Diplomaten um zwei Zentimeter. So rasch, daß der Yill sich nicht wehren konnte, entwand ihm Retief den Säbel und ließ ihn über seinem Kopf kreisen, daß es pfiff. Der Yill duckte sich, sprang auf die Tanzfläche und hob einen Säbel auf, den ein anderer Tänzer hatte fallen lassen.
„Haltet den Verrückten fest!“ heulte Spradley.
Mit einem Satz sprang Retief über den Tisch und auf die Tanzfläche.
Der Tänzer zog sich weiter zurück, und in diesem Augenblick setzte das Orchester wieder ein — lauter und aufpeitschender noch als zuvor, mit einem Trommelwirbel, der ins Blut ging.
Retief gab sich nicht die geringste Mühe, den Tanzschritten seines Gegners zu folgen. Er bedrängte ihn vielmehr auf seine Weise, gerade und direkt, wehrte jeden Streich geschickt ab, hieb unerbittlich auf seinen Herausforderer ein und trieb ihn, die linke Hand an der Hüfte, vor sich her.
Jetzt legte auch der Yill die Doppelrolle ab. Er tanzte nicht mehr, sondern konzentrierte sich auf den Kampf, parierte Retiefs Schläge, hieb und stach auf ihn ein. Jetzt standen sie einander gegenüber und lieferten sich einen Gang, daß die Funken stoben. Der Yill wich einen Schritt zurück, dann zwei, faßte sich aber wieder und trieb Retief vor sich her.
Retief täuschte und landete einen deftigen Treffer auf dem grauen Schädel.
Der Yill stolperte, und sein Säbel klirrte zu Boden. Retief trat zur Seite, als der Yill an ihm vorbeitaumelte und krachend auf die Tanzfläche fiel.
Das Orchester verstummte mit kläglichem Flötengewimmer, und Retief wischte sich, erleichtert aufatmend, die Stirn.
„Kommen Sie wieder her, Sie jugendlicher Unverstand in Person!“ rief Spradley heiser.
Retief packte den Säbel fester, wandte sich um und sah zu dem brokatgedeckten Tisch hinüber. Dann ging er langsam darauf zu. Die Yill saßen da wie vom Schlag getroffen.
„Nicht, Retief!“ brüllte Spradley.
Aber der junge Mann reagierte nicht. Er ging direkt auf F’Kau-Kau-Kau, den Herrlichen, zu, blieb vor ihm stehen und hob den Säbel.
„Nein, nicht den Staatschef!“ stöhnte ein Mitglied der terra- nischen Delegation.
Retief ließ den Säbel niedersausen. Die stumpfe Klinge zerschnitt den schweren Brokat und spaltete den Hartholztisch. Stille herrschte im Saal.
F’Kau-Kau-Kau, der Herrliche, erhob sich, zwei Meter vierzehn lang, fettleibig und grau wie alle Yill. Sein breites Gesicht wirkte für terranische Beobachter ausdruckslos. Er hob eine Faust, die einem mit Juwelen gespickten Schinken ähnelte.
Retief blieb eine Zeitlang aufrecht stehen. Dann neigte er würdevoll den Kopf und legte die Fingerspitzen an die Schläfen. Hinter Retief polterte Botschafter Spradley bewußtlos zu Boden.
Dann brüllte F’Kau-Kau-Kau etwas in den Saal, langte über die Tafel und umarmte den Mann von der Erde. Das Orchester begleitete dieses Ereignis mit einem wahnwitzigen Furioso. Graue Hände halfen Retief über den Tisch, Stühle wurden zur Seite gerückt, um an der Seite des Staatsoberhauptes Platz zu machen, und dann setzte sich Retief. Der junge Diplomat ergriff die bauchige Flasche mit schwarzem Brandy, die ihm sein Nachbar aufdrängte, stieß mit „dem Herrlichen“ an und trank.
„Das Fest geht zu Ende“, sagte F’Kau-Kau-Kau. „Nun müssen wir beide den Ratssessel besteigen, Retief.“
„Es wird mir eine Ehre sein, Euer Herrlichkeit“, antwortete Retief. „Ich muß jedoch meine Kollegen informieren.“
„Kollegen?“ F’Kau-Kau-Kau wunderte sich. „Häuptlinge palavern, niemand sonst. Wer sollte für einen König sprechen, solange der noch eine Zunge zum Reden hat?“
„Wie weise die Sitten der Yill sind!“ lobte Retief.
F’Kau-Kau-Kau leerte einen Bierkrug. „Ich werde mit dir verhandeln, Retief, als Vizekönig, da du sagst, daß dein König alt ist und es lange dauert, ehe man von eurem Planeten zu unserem gelangt. Aber ich dulde nicht, daß Ränkeschmiede und Duckmäuser unseren Verhandlungen beiwohnen.“ Er lächelte auf die für Yill so typische Art. „Danach werden wir zechen, Retief. Der Ratssessel ist hart, und die Dienerinnen, die auf uns warten, sind ergötzlich. Möge das dazu beitragen, daß wir uns schnell einigen.“
Retief lächelte. „Euer Herrlichkeit sind weise.“
„Natürlich zieht jedes Wesen Frauenzimmer seiner Rasse allen anderen vor“, grinste F’Kau-Kau-Kau. „Das Kultusministerium hat einige Tänzerinnen von der Erde importiert, von denen man behauptet, sie seien Spitzenklasse.“
„Euer Herrlichkeit sind sehr rücksichtsvoll.“
„Dann frisch ans Werk, Retief!“
Als Retief an F’Kau-Kau-Kaus Seite zur Tür schritt, lief Botschafter Spradley rot an.
„Entschuldigen Sie sich bei dem Staatschef und kommen Sie her! Ich habe mit Ihnen zu reden.“ Seine Worte klangen eisig. Magnan stand hinter ihm und rollte die Augen.
„Es tut mir leid, wenn ich unhöflich erscheine, Herr Botschafter“, antwortete Retief. „Aber im Augenblick habe ich keine Zeit zu Erklärungen.“
„Unhöflich!“ jaulte Spradley wie ein Hund, dem jemand auf den Schwanz getreten hatte. „Keine Zeit, he? Das eine kann ich Ihnen sagen…“