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„Ein Glück, daß Sie kein guter Schütze sind! Einige der Raketengeschosse kamen mir so verflixt nahe, daß mir heiß wurde.“

„Raketen? Das müssen die Jaqs gewesen sein. Wir haben so was nicht.“

„Ich habe gehört, daß hier ein Kampf auf Leben und Tod tobt“, entgegnete Retief. „Ich hatte nicht erwartet.“

„Gut so!“ Potter nickte zufrieden. „Wir hofften, daß ihr Jungs von Ivory mitmachen würdet, sobald ihr es spitz hättet. Sie sind doch von Ivory?“

„Ja, ich bin…“

„Dann müssen Sie Lemuels Vetter sein. Mahlzeit! Da hätte ich beinahe einen bösen Fehler gemacht. Lemuel schießt erst, und dann hört er Erklärungen an.“

„Ich bin…“

„Kopf runter! Diese verdammten Eierfladen haben teuflische Handwaffen. Kommen Sie!“ Er kroch voran durch das Unterholz, und Retief folgte ihm. Erst ein paar hundert Meter weiter stand Potter auf, zog ein feuchtes Taschentuch mit bunten Tupfen hervor und wischte sich die Stirn.

„Für einen Städter sind Sie ganz wendig. Ich dachte, auf Ivory sitzt man nur unter Plastikglocken und studiert Skalen. Aber als Lemuels Vetter.“

„Wissen Sie, das ist so.“

„Aber ’n paar anständige Kleider müssen wir Ihnen beschaffen. Diese dünnen Lumpen taugen nichts auf Adobe.“

Retief sah an sich hinunter. Sein dunkelblauer Sakko und die tadellos geschnittene Hose — die Ausgehuniform eines Dritten Sekretärs und Vizekonsuls im Diplomatischen Corps Terras — waren verschwitzt, beschmutzt und zerrissen.

„Zu Hause schien das Zeug unverwüstlich. Aber ich sehe an Ihnen, Leder hat seine Vorzüge.“

„Gehen wir zum Lager. Bis zum Sonnenuntergang müßten wir’s schaffen. Und sagen Sie bitte Ihrem Vetter Lemuel nichts darüber, daß ich Sie für einen Fladen gehalten habe.“

„Fladen?“

„So nennen wir die Jaqs.“

„Nein, das nicht. Aber.“

Potter war schon auf dem Weg. Retief zog seinen Sakko aus, hängte ihn über einen Busch, nahm den Binder ab und ließ ihn an einem Zweig baumeln. Dann folgte er Potter.

* * *

„Wir sind verdammt froh, daß Sie kommen, Mister“, sagte ein Dicker, in dessen Revolvergurt zwei Waffen steckten. „Wir können jeden Mann brauchen. Vor drei Monaten hatten wir ein Treffen mit den Fladen, und seitdem ist uns nichts Gescheites eingefallen. Einer von uns erschoß einen von ihnen. Damit fing der Krawall an.“ Er stocherte im Feuer.

„Und dann überfielen sie Swazeys Farm. Sie töteten zwei Rinder und zogen wieder ab.“

„Bestimmt hielten sie die Kühe für Menschen“, mischte Swazey sich ein. „Sie wollten sich rächen.“

„Wie kann jemand ’ne Kuh für ’nen Menschen halten?“ sagte ein anderer. „Die sehen doch wirklich nicht.“

„Sei nicht so dusslig, Bert!“ Swazey schüttelte den Kopf. „Damals hatten sie noch keinen Terraner gesehen. Heute wissen sie’s besser.“

Bert kicherte. „Das will ich meinen! Wir haben’s ihnen gezeigt. Stimmt’s, Potter? Haben vier erwischt…“

„Ein paar Tage nach dem ersten Überfall kamen sie zu meiner Farm“, unterbrach ihn Swazey. „Aber wir hatten sie erwartet und gaben ihnen Zunder. Sie gingen auf und davon.“

„Du meinst, sie hüpften. Die häßlichsten Dinger, die ich je gesehen habe! Sehen aus wie ein Stück dreckiger Wolldecke, das durch die Gegend saust.“

„Seitdem bekämpfen wir einander. Erst greifen sie an, dann wir. Aber neuerdings fahren sie gröbere Geschütze auf. Sie kommen mit Flugmaschinen an und schießen mit Automatics. Wir haben vier Männer verloren, und ein Dutzend Verletzte warten auf das Sanitäts-Schiff. Das können wir uns nicht leisten. In der Kolonie gibt es nur knapp dreihundert gesunde, kräftige Männer.“

„Aber wir verteidigen unsere Ländereien“, sagte Potter. „Diese Oasen sind fruchtbar, und es gibt noch ein paar hundert davon. Aber kein Fladen wird sie sich aneignen, solange noch ein Mann lebt.“

Bert nickte. „Und das Zeug, das wir anbauen, wird gebraucht. Es wird nicht ausreichen, aber es wird dem ganzen System helfen.“

„Wir haben beim DCT um Hilfe gebettelt. Aber Sie kennen ja diese geschniegelten Affen von Diplomaten.“

„Wir haben gehört, daß sie uns irgend so einen Bürohengst auf den Hals hetzen wollen, der uns ausweisen soll, damit die Fladen sich die Oasen unter den Nagel reißen können“, sagte Swazey. Er biß sich auf die Lippen. „Der soll nur kommen!“

„Wir kriegen nämlich Verstärkung. Wir alle haben nämlich Verwandte auf Ivory und Verde.“

„Halt den Mund, du Narr!“ schnarrte eine tiefe Stimme.

„Lemuel!“ rief Potter aus. „Kein anderer kann sich so anschleichen.“

„Wenn ich ein Fladen gewesen wäre, könntet ihr jetzt eure großen Klappen nicht mehr aufreißen.“

Der Neuankömmling trat ans Feuer. Er war hoch gewachsen, hatte ein breites Gesicht und trug einen schmierigen Lederanzug. Mißtrauisch musterte er Retief. „Wer ist das?“

„Was soll denn das heißen?“ fragte Potter verblüfft. „Ich denke, das ist dein Vetter?“

„Vetter? — So’n Quatsch!“ Er trat an Retief heran. „Für wen spionierst du, Bursche?“

Retief stand auf. „Sie werden gleich verstehen.“

Lemuel zog eine kurzläufige Automatic. „Mund halten! Ich sehe dir den Spitzel an der Nase an.“

„Jetzt möchte ich endlich mal ausreden“, sagte Retief. „Stekken Sie Ihre Feuerspritze nur wieder ein, sonst geht sie noch los.“

„Du nimmst den Mund verdammt voll.“

„Irrtum! Ich bin die Bescheidenheit in Person. — Meine letzte Aufforderung: weg mit dem Ding!“

Lemuel sah Retief von oben bis unten an. „Du willst mir befehlen?“

Retiefs Linke schoß vor und traf Lemuels Kinnspitze. Der Siedler taumelte zurück, seine Pistole ging los und feuerte in den Sand, als sie ihm entfiel. Er fing sich und sprang auf Retief zu.

Lemuel lief genau in die für ihn bereitgehaltene Rechte. Wie ein gefällter Baum schlug er zu Boden und blieb bewußtlos liegen.

„Mensch“, staunte Potter, „der Fremde hat Lemuel mit zwei Schlägen geschafft.“

„Mit einem“, widersprach Swazey. „Der erste war bloß ’ne Liebkosung.“

„Ruhe!“ zischte Bert und saß dann regungslos da. Der Ruf einer Singechse drang durch die plötzlich eingetretene Stille. Retief lauschte, hörte aber nichts. Er spähte aus schmalen Augenschlitzen am Feuer vorbei.

Mit einem raschen Griff packte er den Wassereimer, leerte ihn ins Feuer und warf sich auf den Bauch. Den Bruchteil einer Sekunde später hörte er die anderen neben sich landen.

„Für einen Städter sind Sie ziemlich gewandt“, flüsterte Swazey nahe an seinem Ohr. „Sie sehen auch verdammt gut. Wir teilen uns und greifen sie von zwei Seiten an. Sie und Bert von links, ich und Potter von rechts.“

„Nein“, gab Retief ebenso leise zurück. „Ich gehe allein.“

„Weshalb wollen Sie…?“

„Später! Ruhe halten und Augen auf.“ Retief orientierte sich an einem Baumwipfel, der sich gegen den Himmel abhob, und kroch vorwärts.

Fünf Minuten später lag er auf einer Anhöhe und spähte vorsichtig um einen Felsvorsprung. Die verkümmerten Bäume wuchsen hier nur noch spärlich. Drüben begann die Wüste — Jaq-Land.

Retief stand auf und kletterte über die noch warmen Felsen, die die Hitze des Tages ausstrahlten. Vor ihm dehnte sich endlos der Sand, hinter ihm im Dschungel war es still. Er setzte sich auf den Boden und wartete.

Es dauerte zehn Minuten, ehe sich etwas vor ihm bewegte. Ein Schatten löste sich von einem Steinhaufen, glitt einige Meter heran und verschmolz wieder mit den dunklen Konturen eines anderen Felsens. Minutenlang geschah nichts. Dann kam der Schatten wieder näher und verharrte in einer Vertiefung. Mit dem Ellbogen befühlte Retief den Knauf seiner Waffe. Hoffentlich irrte er sich nicht.