„Hoffentlich wird die junge Dame dort unten nicht allzu selbstsicher. Ich gebe zu, daß sie Nick nur das beibringt, was ich ihr immer gepredigt habe; trotzdem bleibt abzuwarten, ob sie das alles in die Tat umsetzen kann. Schließlich ist dieser Swift weder Mensch noch Drommianer!“
Raeker zuckte mit den Schultern. „Vielleicht kommt sie nie in die Verlegenheit. In der Zwischenzeit ist es bestimmt besser, wenn sie selbstsicher ist, statt ständig vor Angst zu zittern.“
„Wahrscheinlich haben Sie recht.“ Rich sah wieder auf den Bildschirm und beobachtete seine Tochter, die sich noch immer angeregt mit Nick unterhielt.
Raeker hörte einige Minuten lang amüsiert zu und schlug dann vor, Easy solle Nick lieber alles erzählen, was sie vom Bootsbau wußte, denn damit konnte der Eingeborene mehr anfangen. Das Mädchen stimmte sofort zu und begann mit seinem Vortrag.
Kurze Zeit später wurde sie von Aminadorneldo an das Bullauge gerufen und kam zurück, um zu berichten, daß der Bathyskaph die Oberfläche erreicht hatte. „Wir sind weiter von der Küste entfernt, als Sie angenommen haben, Doktor Raeker“, berichtete sie.
„Selbst die stärksten Scheinwerfer reichen kaum bis an das Ufer. Ich kann keine Einzelheiten erkennen, aber anscheinend sind der eigentlichen Küste mehrere kleine Inseln vorgelagert.“
„Sieht ›Mina‹ mehr?“
„Nein“, antwortete Easy wenige Sekunden später.
„Er sieht überhaupt etwas schlechter als ich, habe ich festgestellt.“
„Aha. Wahrscheinlich können Sie nicht feststellen, ob der Bathyskaph sich bewegt?“
„Das Meer ist völlig still, so daß wir nicht den geringsten Anhaltspunkt haben. Sonst ist hier nichts zu sehen — außer einigen seltsamen Lebewesen, die wie riesige fliegende Quallen über uns schweben. Jetzt bewegen sie sich gemeinsam auf die Küste zu, aber daraus ist keine Eigenbewegung zu erkennen.“
„Das spielt eigentlich keine große Rolle“, sagte Raeker. „Beobachten Sie von Zeit zu Zeit Ihre Umgebung und sprechen Sie weiter mit Nick, wenn Sie Lust dazu haben. Er und Betsey geben sich alle Mühe, aber bevor die anderen zurück sind, können sie nicht viel unternehmen. Wahrscheinlich kommen sie erst morgen abend wieder — also in fünf bis sechs Tagen nach Ihrer Rechnung.“
„Danke, Doktor Raeker. Wir werden uns bis dahin bestimmt nicht langweilen.“ Der Biologe ließ sich zufrieden in seinen Sessel sinken, nachdem er das Mikrophon ausgeschaltet hatte. Alles schien wie geplant zu verlaufen; vielleicht etwas langsamer, als er gehofft hatte, aber doch so rasch, wie unter diesen Verhältnissen zu erwarten war. Diese Überlegung mußte seinen Gesichtsausdruck beeinflußt haben, denn ein anderer erriet völlig zutreffend, was er eben gedacht hatte.
„So, dann sind Sie also mit sich zufrieden, Sie Mensch!“ Der Sprecher brauchte sich nicht vorzustellen. Raeker versuchte sich zu beherrschen, aber seine Anstrengung hatte nicht unbedingt den gewünschten Erfolg.
„Nicht völlig, Councillor…“
„Warum nicht völlig? “ erkundigte sich Aminadabarlee mit schriller Stimme. „Weshalb sollten Sie überhaupt Grund zur Zufriedenheit haben? Was haben Sie denn bisher erreicht?“
„Ziemlich viel, finde ich“, antwortete Raeker einigermaßen überrascht. „Wir wissen ungefähr, wo Ihr Sohn steckt, und werden die Rettungsmannschaft innerhalb der nächsten acht oder zehn Tage dorthin dirigieren…“
„In acht oder zehn Tagen! Und dann müssen Sie die Eingeborenen erst zu Elektroingenieuren ausbilden, wobei Sie nur hoffen können, daß die Kontakte in dem lächerlichen Bathyskaphen in der Zwischenzeit nicht bis zur Unkenntlichkeit korrodiert sind.
Wie lange dauert Ihrer Meinung nach die eigentliche Rettung noch?“
„Diese Frage kann ich nicht ohne weiteres beantworten“, sagte Raeker so vorsichtig wie möglich.
„Wie Sie eben so richtig gesagt haben, muß erst festgestellt werden, welches Ausmaß die Beschädigungen erreicht haben. Ich weiß, daß die Warterei nicht angenehm ist, aber schließlich haben die beiden Kinder es jetzt bereits vier Wochen dort unten ausgehalten, ohne…“
„Sind eigentlich alle Menschen völlig vertrottelt?“
erkundigte sich der Drommianer. „Sie haben doch eben gehört, daß mein Sohn nicht so gut wie Councillor Richs Tochter sieht.“
„Richtig, aber diese Feststellung erschien mir nicht bemerkenswert“, gab Raeker zu.
„Drommianer sehen im allgemeinen wesentlich besser als Menschen, und mein Sohn hat immer ein normales Sehvermögen besessen. Wenn er jetzt schlechter sieht, kann er nicht ganz auf der Höhe sein; ich vermute, daß daran der dauernde Sauerstoffmangel schuld ist. Soweit ich informiert bin, haben Ihre Ingenieure in dieser Beziehung keinerlei Vorkehrungen getroffen.“
„Wahrscheinlich nicht, weil die Besatzung immer nur aus Menschen bestehen sollte“, gab Raeker zu.
„Ich sehe ein, daß wir etwas dagegen unternehmen müssen, Councillor; ich werde die Rettungsaktion nach Möglichkeit noch mehr beschleunigen. Zum Beispiel muß es einen Weg geben, Nick die Arbeit zu erläutern, die von seiner Gruppe erwartet wird. Ich werde in einer halben Stunde abgelöst, aber der nächste Wachhabende kommt bestimmt schon jetzt, wenn ich ihn darum bitte. Haben Sie sich schon mit Dromm wegen eines Arztes in Verbindung gesetzt? Unser Schiffsarzt zerbricht sich bereits seit Tagen den Kopf darüber, wie sich die Verpflegung der beiden Kinder verbessern läßt.“
„Ich habe einen Arzt angefordert“, antwortete der Drommianer, „aber seine Ankunft wird wahrscheinlich noch einige Tage auf sich warten lassen.“
Raeker hatte das Gefühl, einen guten Schachzug gemacht zu haben, indem er Aminadabarlee zu diesem Eingeständnis veranlaßte; leider trug diese Tatsache jedoch keineswegs dazu bei, das cholerische Temperament des Drommianers zu dämpfen. Im Augenblick mußte er sich geschlagen geben, aber sein unterdrückter Zorn konnte unter Umständen unangenehmer als seine sonst übliche hochmütige Art sein. Aminadabarlee zog sich in seine Privatkabine zurück — in der die „unfähigen“ menschlichen Ingenieure eine Klimaanlage installiert hatten, die reichlich Sauerstoff lieferte — und brütete dort weiter. Innerhalb der nächsten drei Stunden setzte er sich fünfmal mit seinem Heimatplaneten in Verbindung, um dringend einen Arzt anzufordern, der bereits längst unterwegs war.
Als der Drommianer den Raum verlassen hatte, ließ Raeker sich nicht vorzeitig ablösen; aber als der nächste Wachhabende erschienen war, machte er sich auf den Weg zu der Konstruktionsabteilung und erläuterte dort den Vorschlag, den er schon Aminadabarlee gemacht hatte. Sakiiro und seine Kollegen waren der Auffassung, daß ein Versuch nicht schaden könne; sie holten die Blaupausen aus den Schränken und überlegten gemeinsam, was Nick wissen mußte, um die Arbeit durchführen zu können.
Das nahm einige Stunden in Anspruch. Anschließend ging Raeker in seine Kabine zurück, um dort kurze Zeit zu schlafen. Als er wieder in dem Kontrollraum erschien, erhob der bisherige Wachhabende sich mit einem erleichterten Lächeln.
„Miß Rich hat etwas zu berichten“, sagte er, „aber sie will es nur Ihnen persönlich erzählen.“ Raeker zog die Augen brauen in die Höhe, ließ sich in seinen Sessel fallen und drückte den Sprechknopf seines Mikrophons.
„Ich bin hier, Easy“, sagte er. „Was ist denn geschehen?“
„Ich wollte es lieber gleich Ihnen erzählen, nachdem Sie gesagt haben, wir würden auf dem Meer nicht mehr weitertreiben“, antwortete das Mädchen sofort. „Aber jetzt bewegen wir uns schon seit vier oder fünf Stunden langsam auf die Küste zu.“
Raeker lächelte leicht. „Wissen Sie ganz bestimmt, daß die Küste nicht einfach näherrückt?“ fragte er.
„In der Zwischenzeit muß doch noch wesentlich mehr Wasser verdampft sein.“