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Sie betrug fast drei Kilometer pro Stunde, was eine Art Rekord darstellte; diese Tatsache war den Wissenschaftlern bekannt, aber keiner von ihnen konnte sich erklären, wie sie zustande gekommen war, oder welche Auswirkungen sie vermutlich haben würde.

Ein Besatzungsmitglied, das zu dieser Zeit dienstfrei hatte und nun die Vorgänge auf Tenebra neugierig verfolgte, stellte schließlich die entscheidende Frage.

„Wie weit liegt das Lager vom Meer entfernt?“ fragte er.

„Tagsüber ungefähr drei Kilometer von der Küste.“

„Und nachts?“

„Nachts reicht das Meer bis in das Tal unterhalb des Hügels.“

„Ist das ein genügender Sicherheitsabstand?“

„Selbstverständlich. Die Regenmenge verändert sich von Tag zu Tag kaum meßbar. Natürlich kann es vorkommen, daß der Boden sich bewegt, aber das ist immer frühzeitig zu erkennen.“

„Trotzdem bin ich der Meinung, daß man sich überlegen müßte, wie der Wind sich in dieser Lage auswirkt. Wenn das sogenannte ›Meerwasser‹ gegen Morgen nicht viel dichter als die ›Luft‹ ist, könnte selbst dieser kümmerliche Hurrikan bewirken, daß die Küste wesentlich weiter zurückweicht.“ Raeker starrte den anderen überrascht an und sah dann zu den übrigen Wissenschaftlern hinüber. Auf ihren Gesichtern war deutlich zu erkennen, daß sie angestrengt über diese Möglichkeit nachdachten. Raeker überlegte ebenfalls und runzelte dabei sorgenvoll die Stirn. Rich, der ein ausgezeichneter Psychologe war, erriet seine Gedanken.

„Sollen sie nicht lieber den Rückzug antreten, solange sich die Gelegenheit noch bietet, Doktor?“ fragte er.

„Ich weiß nicht recht. Zu viert können sie nicht alles aus dem Lager mitnehmen, und ich möchte vermeiden, daß sie noch etwas einbüßen. Außerdem sind sie auf diesem Hügel fünfzehn Meter höher, als das Meer bisher jemals gestiegen ist.“

„Genügen fünfzehn Meter tatsächlich?“

„Das kann ich nicht beurteilen, weil die Unterlagen nicht ausreichen.“ Raekers Gesichtsausdruck war schwer zu deuten; schließlich hatte er sein ganzes Leben lang Entscheidungen getroffen, wenn die Notwendigkeit dazu bestand, obwohl er die Konsequenzen in jedem Fall verantworten mußte.

„Sie müssen trotzdem etwas unternehmen, finde ich“, sagte Rich bedächtig. „Sonst verlieren Ihre Schüler alles, wenn das Meer sie erreicht.“

„Ja, aber…“

„Zu spät! Sehen Sie nur!“ Das Besatzungsmitglied von vorhin unterbrach den Biologen und wies auf einen der Bildschirme. Raeker und Rich wußten bereits, was dort zu sehen sein würde, bevor sie den Kopf weit genug gewandt hatten. Ihre Vermutung bestätigte sich.

Um Stunden zu früh flutete das Meer über die Ausläufer der niedrigeren Hügel im Osten. Einige Sekunden lang schwiegen alle Anwesenden betroffen; dann zerstörte Raeker blitzschnell die Vorstellung, die Rich sich bereits von ihm gemacht hatte — daß er ein unbeholfener, unpraktischer, unentschlossener „Wissenschaftlertyp“ sei. Als er sah, daß seine Schüler in Gefahr waren, handelte und sprach er überraschend schnell und energisch.

„Nick! Betsey, Jim und Jane! Seht einmal kurz nach Osten und fangt dann sofort mit der Arbeit an. Seht zu, daß ihr alle Schriftstücke, besonders aber die Karten, auf dem Floß festbindet. Laßt aber genügend Seile übrig, damit ihr euch selbst auch anbinden könnt.

Ihr und die Karten seid wichtiger als alles andere, denkt immer daran! Wenn das geschafft ist, braucht ihr nur noch dafür zu sorgen, daß ihr eure Waffen nicht verliert. Los, an die Arbeit!“

Nick erkundigte sich, was aus der Herde werden sollte, aber Raeker unterbrach ihm mitten im Satz.

„Kümmert euch nicht um das Vieh! Im Augenblick ist alles andere wichtiger! Denkt nur an euch, die Karten und Waffen!“

Nicks Freunde hatten bereits mit der Arbeit begonnen; der Befehlston, in dem der Lehrer mit ihm sprach, brachte Nick dazu, daß er ebenfalls wortlos zu arbeiten begann. Die Männer an Bord der Vindemiatrix beobachteten den Wettlauf, der sich zwischen den Bemühungen der Eingeborenen und dem heranflutenden Meer ergab, mit angehaltenem Atem.

Raeker stellte einige Berechnungen an und kam zu dem Schluß, daß der Regen das Meer bereits ziemlich verwässert haben mußte. Das bedeutete selbstverständlich, daß das Floß keineswegs mehr schwimmfähig war. Das spezifische Gewicht der Luftkissen betrug fast die Hälfte der Dichte normaler Schwefelsäure; in der verdünnten Säure war ihre Tragfähigkeit jedoch gleich null.

Raeker hatte sich nicht geirrt. Das Meer flutete heran, löschte augenblicklich die Feuer aus und verdunkelte für kurze Zeit die Augen des Roboters, bis die Maschine sich auf die neuen Verhältnisse umgestellt hatte.

Dann zeigten die Bildschirme an Bord der Vindemiatrix die unbeweglichen Gestalten der vier Eingeborenen auf dem Floß, das kaum zwanzig Zentimeter über dem Meeresboden schwebte. Es bewegte sich nur sehr langsam, und Raeker schickte den Roboter hinterher.

12

Aminadabarlee litt unter den langen Nächten von Tenebra; aber die Männer, die während dieser Zeit mit ihm zu tun hatten, hatten noch mehr auszuhalten.

Der Drommianer konnte es kaum ertragen, um sich herum Menschen zu sehen, die mit den verschiedensten Arbeiten beschäftigt waren, von denen keine Einfluß auf die Rettung seines Sohnes hatte — und das zwei ganze Tage lang. Er ärgerte sich darüber, obwohl er genau wußte, daß nichts unternommen werden konnte, solange die Eingeborenen auf Tenebra zur Bewegungslosigkeit verdammt oder gar bewußtlos waren. Diese Überlegung hatte keinen Einfluß auf seine Gefühle, die ihm sagten, irgend jemand — oder eigentlich sogar jeder — müsse etwas tun.

Angesichts dieser Tatsache war es kein Wunder, daß Rich völlig damit ausgelastet war, Aminadabarlee bei einigermaßen erträglicher Laune zu halten.

Bisher war der riesige Drommianer noch nicht gewalttätig geworden, aber die meisten Wissenschaftler waren vorsichtig genug, ihm nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Die Zahl der Vorsichtigen erhöhte sich ständig, hatte Raeker festgestellt.

Raeker selbst machte sich in dieser Beziehung keine Sorgen denn er vertraute darauf, daß der Diplomat sich wie bisher beherrschen würde. Außerdem hatte er genügend zu tun und konnte sich nicht um anderer Leute Probleme kümmern. Zum Glück hatte der Roboter bisher noch nicht eingreifen müssen, um die hilflos treibenden Eingeborenen vor Meerestieren zu schützen, denn vorläufig waren noch keine aufgetaucht. In gewisser Beziehung war das eine Erleichterung, obwohl Raeker vom beruflichen Standpunkt aus enttäuscht war. Er hätte zu gern die geheimnisvollen Lebewesen gesehen, die in einer der vergangenen Nächte Nicks Herde dezimiert hatten.

Wenige Stunden später wurde die Strömung plötzlich so schwach, daß sie das Floß und die vier Passagiere nicht mehr bewegen konnte. Raeker brauchte den Roboter nicht mehr zu steuern und wäre fast in seinem Sessel vor den Bildschirmen eingeschlafen.

Als der Tag anbrach, verdampfte das überschüssige Wasser, und das Floß und seine Insassen stiegen langsam empor. Unglücklicherweise kenterte es jedoch dabei, so daß Raeker einige Stunden lang zusehen mußte, wie seine Schüler hilflos mit den Köpfen nach unten hängend im Meer trieben. Schließlich blieb das Floß in einem der zahlreichen Teiche, der nicht weiter austrocknete, so daß der Roboter eingesetzt werden mußte.

Der Teich war zum Glück so seicht, daß die Maschine das Floß ohne weiteres vor sich her bis ans Ufer schieben konnte. Als die vier Eingeborenen wieder atmen konnten, dauerte es nicht mehr lange, bis sie aus der Bewußtlosigkeit erwachten.