Выбрать главу

Er tippte sich an einen imaginären Hut, zwinkerte ihr zu und ging die Einfahrt zur Straße hinunter, wo sein weißer Lieferwagen am Bordstein parkte,

Sie schloß die Tür und beobachtete ihn durch ein durchsichtiges Segment im ovalen Farbglasfenster, das in der Türfüllung angebracht war, Er blickte zurück, sah sie und winkte, Sie trat vom Fenster zurück in die düstere Halle hinein und beobachtete ihn von einem Punkt aus, wo sie nicht gesehen werden konnte,

Klar hatte er ihr nicht geglaubt, Er wußte, der Ehemann war gelogen. Sie hätte um Himmels willen nicht sagen dürfen, daß sie mit einem Bullen verheiratet war; es war ein zu deutlicher Versuch gewesen, ihn loszuwerden. Sie hätte sagen sollen, ihr Mann sei Installateur oder Arzt - alles, bloß kein Bulle. Immerhin, Art Streck fuhr weg. Obwohl er wußte, daß sie log, fuhr er weg.

Sie fühlte sich erst sicher, als sein Lieferwagen außer Sicht war. Und selbst dann eigentlich nicht richtig sicher.

2

Nachdem er Dr. Davis Weatherby ermordet hatte, war Vince Nasco zu einer Tankstelle an der Pacific Coast Highwaygefahren. Von der Telefonzelle aus rief er eine Nummer in Los Angeles an, die er sich schon vor langem fest eingeprägt hatte.

Ein Mann meldete sich, indem er die gewählte Nummer wiederholte. E5 war eine von den drei Stimmen, die sich gewöhnlich meldeten: die weiche mit dem dunklen Timbre. Häufig meldete sich ein anderer mit einer unfreundlichen, scharfen Stimme, die einem in den Ohren weh tat. Seltener meldete sich eine Frau; ihre Stimme war sexy, kehlig, und doch irgendwie mädchenhaft. Vince hatte sie nie zu Gesicht bekommen, aber oft versucht, sich auszumalen, wie sie aussehen mochte,

Als jetzt der Mann mit der weichen Stimme die Nummer genannt hatte, sagte Vince: »Erledigt. Ich weiß es wirklich zu schätzen, daß Sie mich gerufen haben, und stehe stets zur Verfügung, wenn Sie wieder was haben.« Er war überzeugt, der Mann am anderen Ende der Leitung würde seine Stimme ebenfalls erkennen.

»Ich bin entzückt zu hören, daß alles gut gelaufen ist. Wir wissen Ihre fachmännische Arbeit sehr zu würdigen. Und jetzt geben Sie gut acht«, sagte die Kontaktperson. Der Mann nannte eine siebenstellige Telefonnummer.

Überrascht wiederholte Vince die Nummer.

Der Kontaktmann sagte; »Das ist eine Telefonzelle im Fashion Island Shopping Center. Sie befindet sich auf der Ladenstraße draußen im Freien, in der Nähe von Robinson's Department Store, Können Sie in einer Viertelstunde dort sein?« »Sicher«, sagte Vince. »In zehn Minuten.«

»Ich rufe dort in fünfzehn Minuten an und sage Ihnen die Einzelheiten.«

Vince legte auf und ging pfeifend zu seinem Lieferwagen zurück. Wenn sie ihn zu einem anderen öffentlichen Telefon dirigierten, um ihm >Einzelheiten< bekanntzugeben, dann konnte das nur eines bedeuten: Sie hatten sicher wieder einen Auftrag für ihn - zwei an einem Tag!

3

Später, nachdem der Kuchen gebacken und glasiert war, zog sich Nora in ihr Schlafzimmer in der Südwestecke des Obergeschosses zurück.

Zu Lebzeiten von Violet Devon war das hier Noras Zufluchtsort gewesen, obwohl die Tür kein Schloß hatte. Wie alle Zimmer in dem großen Haus war auch dieses vollgestopft mit schwerem Mobiliar, so als befände sich hier keine Wohnstätte, sondern ein Lager. Der Raum war auch in jeder anderen Beziehung trostlos. Dennoch war Nora, wenn sie ihre Pflichten getan oder von der Tante nach einem von deren endlosen Vorträgen entlassen worden war, in ihr Schlafzimmer geflohen, um sich in Bücher oder lebhafte Tagträume zu flüchten.

Einem unwiderstehlichen Drang nachgebend, kam Violet ohne Vorwarnung, um nach ihrer Nichte zu sehen, indem sie sich lautlos über den Korridor schlich, plötzlich die nicht versperrbare Tür aufriß und ins Zimmer trat, in der Hoffnung,

Nora bei irgend etwas Verbotenem zu ertappen. Diese unan-gekündigten Inspektionen waren in Noras Kindheit und Jungmädchenzeit häufig gewesen, dann seltener geworden, hatten aber auch noch in den letzten Wochen von Violets Leben, als Nora eine erwachsene Frau von neunundzwanzig gewesen war, stattgefunden. Violet bevorzugte dunkle Kleidung, trug ihr Haar in einem straffen Knoten und ging stets ohne eine Spur von Make-up auf dem blassen, kantigen Gesicht aus dem Haus. Oft hatte sie deshalb eher wie ein Mann gewirkt - ein strenger Mönch im groben Büßergewand, der durch die Gänge eines düsteren mittelalterlichen Klosters streift, um seine Klosterbrüder zu beaufsichtigen.

Wurde Nora bei Tagträumen oder einem Schläfchen erwischt, führte das zu strengem Tadel und zu Hausarbeit als Bestrafung. Die Tante duldete Faulheit nicht.

Bücher waren erlaubt - sofern Violet sie vorher gebilligt hatte -, weil Bücher zum einen der Bildung dienten. Außerdem hatte Violet oft geäußert: »Schlichte, unansehnliche Frauen wie du und ich führen kein strahlendes Leben, kommen an keine exotischen Orte. Also haben Bücher eine besondere Bedeutung für uns. So gut wie alle Dinge des Lebens können wir ersatzweise bekommen, durch Bücher. Das ist nicht Schlecht. Durch Bücher leben ist sogar besser, als wenn man Freunde hat und,,, Männer kennt.«

Mit der Unterstützung eines gefügigen Hausarztes hatte Violet es fertiggebracht, Nora ihrer angeblich angegriffenen Gesundheit wegen von den öffentlichen Schulen fernzuhalten, Sie war zu Hause erzogen worden, also waren Bücher auch ihre einzige Schule gewesen.

Davon abgesehen, daß sie mit dreißig Jahren bereits Tausende von Büchern kannte, hatte Nora sich daneben autodidaktisch als Künstlerin in den Techniken Öl, Acryl, Aquarell und Bleistiftzeichnung ausgebildet. Zeichnen und Malen waren ebenfalls Aktivitäten, die Tante Violet billigte, Kunst war etwas, das Nora allein für sich betreiben konnte, und das ihre Gedanken von der Welt draußen ablenkte und ihr half, den Kontakt zu Menschen zu vermeiden, die sie unweigerlich zurückstoßen, verletzen und enttäuschen würden.

In die eine Ecke von Noras Zimmer waren ein Zeichenbrett, eine Staffelei und ein Schränkchen für die nötigen Utensilien gestellt worden. Den Platz für ihr Miniaturatelier hatte sie sich geschaffen, indem sie die anderen Möbelstücke zusammenschob, und nicht etwa dadurch, daß sie irgend etwas entfernte. Die Folge war ein Gefühl der Beengtheit gewesen.

Oftmals im Laufe der Jahre, besonders nachts, aber auch mitten am Tag, war Nora von dem Gefühl befallen worden, der Schlafzimmerboden bräche unter dem Gewicht all der Möbel ein, und sie stürze in den Raum darunter, wo ihr schweres Himmelbett sie erdrücken werde, Wenn diese Furcht übermächtig wurde, floh sie auf den Rasen hinter dem Haus, wo sie dann im Freien saß, die Arme fest um den Körper gelegt, zitternd. Erst mit fünfundzwanzig wurde ihr klar, daß diese Anfälle von Angst nicht nur von zuviel Möbeln und zu düsterem Dekor herrührten, sondern auch von der erdrückenden Gegenwart ihrer Tante.

Eines Samstagmorgens vor vier Monaten, acht Monate nach Violet Devons Tod, hatte Nora plötzlich den Drang verspürt, etwas zu verändern, und sie hatte in fast hektischer Hast in ihrem Schlafzimmer-Atelier umgestellt. Sie trug und zerrte alle kleineren Möbelstücke hinaus und verteilte sie gleichmäßig auf die fünf anderen möblierten Räume des Obergeschosses. Einige der schwereren Stücke mußten zerlegt und in Teilen weggebracht werden. Aber schließlich schaffte sie es, alles hinauszubefördern, ausgenommen das mächtige Himmelbett, ein Nachttischchen, einen Lehnsessel, ihr Zeichenbrett, den Hok-ker, das Schränkchen und die Staffelei, genau die Dinge, die sie brauchte. Zuletzt riß sie noch die Tapete von der Wand. Während jenes überwältigenden Wochenendes hatte sie das Gefühl, es hätte eine Revolution gegeben und ihr Leben würde nie wieder werden wie früher. Aber sobald sie mit ihrem Schlafzimmer fertig war, hatte sich auch der Geist des Aufruhrs verflüchtigt, und der Rest des Hauses blieb unangetastet. Jetzt war wenigstens dieser eine Raum hell, ja fröhlich. Die Wände waren in einem ganz hellen Gelb getüncht; die schweren Vorhänge waren weg, an ihrer Stelle hatte sie Läden angebracht, die zur Farbe der Wände paßten. Den häßlichen Teppich hatte sie aufgerollt und den wunderschönen Eichenboden auf Hochglanz poliert.