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Es stimmte, was man sagte: Manchmal, in besonderen Augenblicken der Krise, in Zeiten gefühlsmäßiger Widrigkeiten sind Frauen besser imstande, die Zähne zusammenzubeißen und zu tun, was getan werden muß, als Männer. Travis saß auf dem Beifahrersitz, hielt den in die Decke eingehüllten Hund in den Armen und wäre außerstande gewesen zu fahren. Er zitterte am ganzen Körper und bemerkte erst jetzt, daß er seit dem Augenblick, da er Einstein auf dem Badezimmerboden gefunden hatte, weinte. Er hatte harten Militärdienst geleistet, war nie auf gefährlichen Einsätzen der Delta Force in Panik geraten oder von Furcht gelähmt gewesen. Aber das hier war anders, dies war Einstein, sein Kind. Hätte er lenken müssen, er wäre wahrscheinlich geradewegs gegen einen Baum gefahren oder in einen Graben. Auch in Noras Augen standen Tränen, aber sie gab ihnen nicht nach. Sie biß sich auf die Unterlippe und fuhr, als wäre sie für Stunts beim Film ausgebildet worden. Am Ende des Feldwegs bog sie nach rechts in den kurvigen Pacific Coast Highway ein und strebte in nördlicher Richtung auf Carmel zu, wo es zumindest einen Tierarzt geben mußte.

Während der Fahrt redete Travis mit Einstein, versuchte ihn zu beruhigen und ihm Mut zu machen. »Alles wird gut, ganz bestimmt. Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Du kommst schon wieder in Ordnung.«

Einstein wimmerte, kämpfte schwach einen Augenb lick lang gegen Travis' Arme an, und Travis wußte, was der Hund jetzt dachte. Er hatte Angst, der Tierarzt würde die Tätowierung in seinem Ohr sehen, wissen, was sie bedeutete, und ihn zu Ba-nodyne zurückschicken.

»Mach dir deswegen keine Sorgen, Pelzgesicht. Niemand darf dich uns wegnehmen. Weiß Gott, niemand darf das. Zuerst müssen die mich niedertrampeln, und das werden sie nicht können. Das geht nicht.«

»Das geht nicht«, pflichtete Nora ihm grimmig bei.

Aber Einstein zitterte trotzdem heftig in der Decke an Travis' Brust.

Travis erinnerte sich an die Steine mit den Buchstaben auf dem Boden der Speisekammer: FIEDEL ZERBROCHEN... ANGST...

»Hab keine Angst«, redete er auf den Hund ein. »Hab keine Angst. Es gibt wirklich keinen Grund zur Angst.«

Doch trotz Travis' ehrlicher Beteuerungen zitterte Einstein und hatte Angst. Und auch Travis hatte Angst.

2

Nora machte an einer Arco-Tankstelle am Rande von Carmel Halt und fand die Adresse des Tierarztes in einem Telefonbuch. Sie rief an, um sicherzugehen, daß er zu Hause war.

Dr. James Keenes Praxis befand sich an der Dolores Avenue am südlichen Stadtrand. Ein paar Minuten vor neun hielten sie vor seinem Haus.

Nora hatte die typisch steril wirkende Tierarztpraxis erwartet und stellte mit einiger Überraschung fest, daß Dr. Keene seine Praxis in seinem Privathaus untergebracht hatte, einem originellen zweistöckigen Bau, das im Stil eines englischen Landhauses erbaut war, mit viel Stein, Verputz, freiliegenden Balken und einem leicht gewölbtem Dach.

Als sie mit Einstein auf dem mit Steinplatten belegten Weg auf das Haus zueilten, öffnete Dr. Keene die Tür, ehe sie sie erreichten, als hätte er nach ihnen Ausschau gehalten. Eine Tafel wies darauf hin, der Eingang zur Praxis befinde sich auf der anderen Hausseite, aber der Arzt ließ sie durch die Haustür ein. Er war ein großer Mann mit bekümmerter Miene, fahler Haut und traurigen braunen Augen, dafür aber einem warmen Lächeln und einer freundlichen Art.

Dr. Keene schloß die Tür hinter ihnen und sagte: »Bringen Sie ihn bitte hier herüber.«

Er führte sie rasch durch einen Korridor mit einem Eichenparkettboden, den ein langer, schmaler Orientteppich bedeckte. Auf der linken Seite konnte man durch einen Bogen ein wohnlich möbliertes Wohnzimmer sehen, das so aussah, als wäre es tatsächlich bewohnt: mit Fußhockern vor den Sesseln, Leselampen, vollen Bücherregalen und bestickten Wolldecken, die für kühle Abende auf ein paar Sessellehnen säuberlich gefaltet bereitlagen. Ein Hund stand hinter dem Bogen: ein schwarzer Labrador. Er beobachtete sie ernst, als begriffe er die Schwere von Einsteins Erkrankung, und folgte ihnen nicht. Am hinteren Ende des großen Hauses führte der Tierarzt sie auf der linken Seite des Korridors durch eine Tür in eine saubere weiße Praxis. An den Wänden standen aufgereiht weißemaillierte Schränke mit Glastüren, voll mit Medikamenten, Fläschchen, Tabletten, Kapseln und den vielen Ingredienzen in Pulverform, die man brauchte, um ausgefallene Medikamente zu mixen.

Travis ließ Einstein vorsichtig auf einen Untersuchungstisch nieder und schlug die Decke zurück.

Nora war bewußt, daß sie und Travis ebenso verzweifelt wirkten, als hätten sie ihr sterbendes Kind zum Arzt gebracht. Travis' Augen waren gerötet, und wenn er auch im Augenblick nicht weinte, schneuzte er sich doch unentwegt. Als sie den Pick-up vor dem Haus parkte und die Handbremse zog, hatte Nora ihre eigenen Tränen nicht mehr unterdrücken können. Jetzt stand sie auf der anderen Seite des Untersuchungstisches, einen Arm um Travis gelegt, und weinte leise.

Der Tierarzt war allem Anschein nach starke Gefühlsregungen gewohnt, denn er warf Nora oder Travis keinen einzigen neugierigen Blick zu und gab durch nichts zu erkennen, daß er ihre Angst und Sorge als übertrieben empfände.

Dr. Keene hörte sich die Herz- und Lungentöne des Retrievers mit einem Stethoskop an, tastete seinen Unterleib ab und untersuchte seine verklebten Augen mit einem Ophthalmoskop. Einstein blieb während der ganzen Prozedur schlaff und reglos, als wäre er gelähmt. Die einzigen Anzeichen dafür, daß der Hund sich noch am Leben festklammerte, waren sein schwaches Wimmern und sein unregelmäßiger Atem.

Es ist nicht so ernst, wie es scheint, sagte sich Nora, während sie sich die Augen mit einem Kleenex-Tuch betupfte.

Jetzt blickte Dr. Keene von dem Hund auf und sagte: »Wie heißt er denn?«

»Einstein«, sagte Travis.

»Wie lange haben Sie ihn schon?«

»Erst ein paar Monate.«

»Ist er geimpft?«

»Nein«, sagte Travis. »Verdammt, nein.«

»Warum nicht?«

»Das ist... kompliziert«, sagte Travis. »Aber es gibt gute Gründe, weshalb wir ihn nicht impfen lassen konnten.«

»Dafür ist kein Grund gut genug«, sagte Keene mißbilligend. »Er hat keine Hundemarke, ist nicht geimpft. Es ist unverantwortlich, nicht dafür zu sorgen, daß ein Hund die erforderlichen Impfungen bekommt.«

»Ich weiß«, sagte Travis gequält. »Ich weiß.«

»Was fehlt ihm denn?« fragte Nora.

Und dabei dachte - hoffte - betete sie: Es ist nicht so ernst, wie es aussieht.

Keene streichelte den Retriever am Kopf und sagte: »Er hat Staupe.«

Einstein lag jetzt in einer Ecke der Praxis auf einer dicken Schaumstoffmatratze, deren Plastiküberzug mit einem Reißverschluß versehen war. Um zu verhindern, daß er sich bewegte - falls er je die Kraft haben sollte, sich zu bewegen -, war er mit einer kurzen Leine an einem in der Wand befestigten Ring angebunden.

Dr. Keene hatte dem Retriever eine Injektion gegeben. »Antibiotika«, erklärte er. »Es gibt keine Antibiotika, die gegen die Staupe helfen, aber sie sind angezeigt, um Sekundärinfektionen zu vermeiden.«

Außerdem hatte er eine Nadel in eine der Beinvenen des Hundes eingeführt und ihn an ein Infusionsgerät angeschlossen, um dem Wasserentzug entgegenzuwirken.

Als der Tierarzt versuchte, Einstein einen Maulkorb anzulegen, widersetzten sich Nora und Travis entschieden.

»Es ist nicht deshalb, weil ich Angst habe, daß er mich beißt«, erklärte Dr. Keene. »Es ist zu seinem eigenen Schutz, um ihn davon abzuhalten, an der Nadel zu kauen. Wenn er die Kraft dazu hat, wird er tun, was Hunde an einer Wunde immer machen - er wird daran lecken und beißen.«

»Nicht dieser Hund«, sagte Travis. »Dieser Hund ist ganz anders.« Er schob sich an Keene vorbei und entfernte den Maulkorb wieder.