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Der Tierarzt wollte protestieren, ließ es dann aber bleiben. »Also schön. Für den Augenblick wenigstens. Jetzt ist er ohnehin zu schwach.«

Nora, die immer noch bemüht war, die schreckliche Wahrheit von sich zu schieben, sagte: »Aber wieso kann es denn so ernst sein? Er hatte doch nur ganz schwache Symptome, und selbst die waren nach ein paar Tagen wieder weg.«

»Die Hälfte der Hunde, die die Staupe bekommen, zeigt überhaupt keine Symptome«, sagte der Tierarzt, stellte eine Flasche Antibiotika in einen der Glasschränke zurück und warf die Plastikspritze in den Abfalleimer. »Andere zeigen nur schwache Übelkeit, Symptome treten auf und verschwinden von einem Tag auf den anderen. Wieder andere, wie Einstein, werden sehr krank. Das kann eine sich langsam verschlimmernde Krankheit sein, oder sie kann plötzlich von ganz schwachen Symptomen in ... das hier umschlagen. Aber einen Lichtblick haben wir.«

Travis kauerte sich so neben Einstein nieder, daß der Hund ihn sehen konnte, ohne den Kopf heben oder die Augen verdrehen zu müssen. Das sollte ihm das Gefühl vermitteln, daß man sich um ihn kümmerte, über ihn wachte, ihn liebte. Als er hörte, wie Keene von einem Lichtblick redete, blickte er hoffnungsvoll auf. »Was für ein Lichtblick? Was meinen Sie?« »Der Verlauf der Erkrankung wird häufig durch den Zustand des Hundes vor dem Einsetzen der Staupe bestimmt.

Die Krankheit ist am akutesten ausgeprägt bei Tieren, die ungepflegt und schlecht ernährt sind. Man kann deutlich sehen, daß Sie sehr gut für Einstein gesorgt haben.«

Travis sagte: »Wir haben versucht, ihn gut zu füttern und dafür zu sorgen, daß er viel Bewegung machte.«

»Er ist beinahe zu oft gebadet und gekämmt worden«, fügte Nora hinzu.

Dr. Keene nickte lächelnd und meinte: »Dann haben wir einen kleinen Vorteil. Wir haben gute Chancen.«

Nora sah Travis an, und er begegnete ihrem Blick nur kurz. ehe er ihren Augen wieder ausweichen und auf Einstein hin-unterblickcn mußte. Es war ihr überlassen, die gefürchtete Frage zu stellen: »Doktor, er wird doch wieder gesund werden, nicht war? Er wird doch nicht - er wird doch nicht sterben oder?«

Offenbar war James Keene bewußt, daß sein von Haus aus bedrückt wirkendes Gesicht mit den müde blickenden Augen schon an sich wenig dazu beitrug, Zuversicht zu erwecken. Deshalb hatte er sich ein warmes Lächeln angeeignet, einen weichen und doch zuversichtlichen Tonfall und eine fast großväterliche Art, die, wenn auch vielleicht mit Absicht zugelegt doch echt schienen und mithalfen, der ewigen Düsternis entgegenzuwirken, die Gott als passend für sein Antlitz angesehen hatte.

Er trat vor Nora und legte ihr die Hände auf die Schultern »Meine Liebe, Sie lieben diesen Hund wie ein Baby, nicht wahr?«

Sie biß sich auf die Lippe und nickte.

»Dann sollten Sie zuversichtlich sein. Haben Sie Vertrauen zu Gott, ohne dessen Wissen, wie es heißt, kein Sperling vom Himmel fällt, und haben Sie auch ein wenig Vertrauen zu mir Ob Sie es nun glauben oder nicht, ich verstehe mich auf das was ich tue, recht gut und verdiene Ihr Vertrauen.«

»Ich glaube, daß Sie gut sind«, sagte sie zu ihm.

Travis, der immer noch neben Einstein auf dem Boden kauerte, fragte mit belegter Stimme: »Aber die Chancen - wie groß sind die Chancen? Sagen Sie es uns doch einmal ganz ehrlich.«

Keene ließ Nora los und wandte sich zu Travis um. »Nun der Ausfluß aus seinen Augen und der Nase ist nicht ganz so dickflüssig, wie er manchmal sein kann. Bei weitem nicht. Und auch keine Eiterbeulen am Leib. Sie sagen, er hätte sich übergeben, aber Durchfall haben Sie keinen gesehen?«

»Nein, nur erbrochen hat er«, sagte Travis.

»Er hat hohes Fieber, aber nicht in gefährlichem Maße. Hat er ungewöhnlich viel gegeifert?«

»Nein«, sagte Nora.

»Immer wieder den Kopf geschüttelt und herumgekaut, so als hätte er einen schlechten Geschmack im Maul?«

»Nein«, sagten Travis und Nora gleichzeitig.

»Haben Sie ihn im Kreis herumlaufen oder grundlos umfallen sehen? Auf der Seite liegen und wild mit den Beinen herumstrampeln, als würde er laufen? Ziellos im Zimmer herumrennen, gegen Wände stoßen, immer wieder zucken - etwas dergleichen?«

»Nein, nein«, sagte Travis.

Und Nora: »Mein Gott, könnte er so werden ?«

»Wenn Staupe im zweiten Stadium daraus wird - ja«, meinte Keene. »Dann wird sein Gehirn mit beeinträchtigt. Epileptische Anfälle. Encephalitis.«

Travis sprang mit einem plötzlichen Satz auf. Er taumelte auf Keene zu und blieb schwankend vor ihm stehen. Sein Gesicht war bleich, in seinen Augen stand schreckliche Angst. »Das Gehirn beeinträchtigt? Wenn er sich erholt, blieben ... dann Gehirnschäden zurück?«

Nora überkam Übelkeit. Sie stellte sich Einstein mit einem Gehirnschadcn vor - so intelligent wie ein Mensch, intelligent genug, um sich daran zu erinnern, daß er einmal etwas Besonderes gewesen war, zu wissen, daß etwas verlorengegangen war und er jetzt in blöder Stumpfheit lebte, in einem Grau, daß sein Leben irgendwie weniger war als das, was es einmal gewesen war... Von Angst und Übelkeit benommen, mußte sie sich an den Untersuchungstisch lehnen.

Keene beantwortete Travis' Frage: »Die meisten Hunde, die Staupe im zweiten Stadium haben, überleben nicht. Aber wenn er es schafft, wird es natürlich eine gewisse Gehirnschädigung geben; nichts, das es notwendig machen würde, ihn einzuschläfern. Er könnte beispielsweise sein Leben lang Chorea haben, ein unwillkürliches Zucken - man nennt das auch den Veitstanz - ähnlich wie Schüttellähmung, das häufig auf den Kopf beschränkt bleibt. Aber er könnte damit relativ zufrieden leben, ein schmerzfreies Dasein führen und immer noch ein schönes Haustier sein.«

Travis war so erregt, daß er den Tierarzt fast anbrüllte:

»Zum Teufel damit, ob er ein schönes Haustier bleibt oder nicht. Die physischen Auswirkungen einer Gehirnschädigung sind mir gleichgültig. Was ist mit seinem Verstand?« »Nun, Sie und Ihre Frau würde er weiterhin erkennen«, sagte der Arzt. »Er würde Ihnen gegenüber auch freundlich bleiben. In der Beziehung gäbe es keine Probleme. Er könnte vielleicht ziemlich viel schlafen und Perioden der Lustlosigkeit durchmachen. Aber stubenrein würde er fast mit Sicherheit bleiben. Das würde er nicht vergessen ...«

Zitternd sagte Travis: »Mir ist völlig egal, ob er das ganze Haus verpinkelt, solange er nur denken kann.«

»Denken?« sagte Dr. Keene sichtlich perplex. »Nun... was genau meinen Sie? Er ist schließlich ein Hund.«

Der Tierarzt hatte ihr besorgtes, leidgequältes Verhalten als die normale Reaktion eines Tierhalters in einem solchen Fall akzeptiert. Aber jetzt fing er an, sie mit etwas argwöhnischen Blicken zu mustern.

Zum Teil, um das Thema zu wechseln und den Argwohn des Tierarztes zu zerstreuen, zum Teil auch, weil sie einfach die Antwort kennen wollte, sagte Nora: »Also schön. Aber hat Einstein nun Staupe zweiten Grades?«

»Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, befindet er sich noch im ersten Stadium«, erklärte Keene. »Und wenn in den nächsten vierundzwanzig Stunden keine ernsteren Symptome auftreten, haben wir gute Chancen, daß die Krankheit nicht über das erste Stadium hinausgeht und wir sie sogar heilen können.«

»Und im ersten Stadium gibt es keine Gehirnschäden?« fragte Travis mit einer Eindringlichkeit, die Keene neuerlich dazu veranlaßte, die Stirn zu runzeln.

»Nein. Im ersten Stadium nicht.«

»Und wenn er im ersten Stadium bleibt«, sagte Nora, »wird er nicht sterben?«

Mit seiner weichsten Stimme und bemüht, sie zu beruhigen, sagte James Keene: »Nun, die Chancen sind jetzt sehr groß, daß er Staupe des ersten Stadiums überlebt - ohne Nachwirkungen: Sie sollen wissen, daß seine Genesungschancen tatsächlich recht gut sind. Aber ich will Ihnen auch keine falschen Hoffnungen machen. Das wäre grausam. Selbst wenn die Krankheit nicht über das erste Stadium hinausgeht... könnte Einstein sterben. Die Chancen sprechen fürs Überleben, aber der Tod ist möglich.«