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Jim schob sie Einstein hin. »Was meinst du, Bursche?« Einstein hob wieder den Kopf von der Matratze und starrte die Schüssel an. Seine heraushängende Zunge sah trocken aus und war mit einer klebrigen Substanz bedeckt. Er winselte und leckte sich die Lefzen.

»Vielleicht«, sagte Travis, »wenn wir ihm helfen ...«

»Nein«, widersprach Jim Keene. »Er soll es sich überlegen. Wenn ihm danach ist, wird er das schon wissen. Wir wollen ihn nicht zwingen, Wasser zu trinken, das er anschließend wieder erbricht. Er wird instinktiv wissen, ob das der richtige Zeitpunkt ist.«

Mit einigem Ächzen und Stöhnen verlagerte Einstein sein Gewicht auf der Schaumstoffmatratze, rollte sich auf den Bauch. Er legte die Nase an die Schüssel, beschnüffelte das Wasser, leckte prüfend daran, fand Geschmack daran, leckte noch einmal und trank dann die Schüssel zu einem Drittel leer, ehe er sich seufzend wieder hinlegte.

Jim Keene streichelte ihn und meinte: »Jetzt wäre ich sehr überrascht, wenn er sich nicht erholen würde, völlig erholen würde. Aber eine Weile wird es noch dauern.«

Eine Weile wird es noch dauern.

Der Satz beunruhigte Travis.

Wieviel Zeit würde Einstein brauchen, um sich völlig zu erholen? Wenn der Outsider schließlich eintraf, würde es für sie alle besser sein, wenn Einstein gesund war und alle seine Sinne funktionierten. Trotz ihrer Infrarotanlage war Einstein ihr wichtigstes Frühwarnsystem.

Nachdem der letzte Patient um halb sechs die Praxis verlassen hatte, verschwand Jim Keene auf eine halbe Stunde ohne Angabe eines Grundes und brachte, als er zurückkehrte, eine Flasche Champagner mit. »Ich trinke gewöhnlich nicht viel. Aber es gibt Anlässe, die einen Schluck oder zwei einfach verlangen.«

Nora hatte sich gelobt, während der Schwangerschaft nichts zu trinken; aber unter Umständen wie diesen konnte man selbst das feierlichste Gelöbnis etwas großzügig auslegen.

Sie holten Gläser und tranken in der Praxis, wobei sie Einstein zuprosteten, der sie ein paar Minuten lang beobachtete, aber dann erschöpft wieder einschlief.

»Diesmal ist das natürlicher Schlaf«, stellte Jim fest. »Nicht mittels Sedativa erzeugter.«

»Wie lange wird er brauchen, um sich zu erholen?« fragte Travis.

»Um die Staupe loszuwerden? Ein paar Tage noch. Eine Woche. Ich möchte ihn jedenfalls noch gern zwei Tage hierbehalten. Sie könnten jetzt, wenn Sie wollen, nach Hause gehen, aber Sie dürfen auch gerne bleiben. Sie haben mir sehr geholfen.«

»Wir bleiben«, erklärte Nora sofort.

»Aber nachdem die Staupe besiegt ist«, sagte Travis, »wird er doch noch schwach sein, nicht wahr?«

»Zunächst sehr schwach«, sagte Jim. »Aber mit der Zeit wird er wieder zu Kräften kommen. Ich bin jetzt sicher, daß er nie in das zweite Stadium eingetreten ist, trotz der Zuckungen. Also wird er vielleicht bis zum Jahresende wieder ganz der alte sein. Und es sollte auch keine bleibenden Schäden geben, kein Zittern oder dergleichen.«

Bis zum Jahresende.

Travis hoffte, es würde reichen.

Wieder teilten Nora und Travis sich die Nacht in zwei Schichten auf. Travis übernahm die erste, und sie löste ihn um drei Uhr morgens in der Praxis ab.

Der Nebel hatte sich von der See nach Carmel hereingewälzt. Jetzt wallte er beharrlich vor den Fenstern.

Einstein schlief, als Nora kam, und sie fragte: »Ist er viel wach gewesen?«

»Mhm«, meinte Travis. »Hier und da.«

»Hast du ... mit ihm gesprochen?«

»Ja.'

»Und?«

Travis' Gesicht war zerfurcht, schmal, sein Ausdruck ernst. »Ich habe ihm Fragen gestellt, die man mit Ja oder Nein beantworten kann.«

»Und?«

»Er beantwortet sie nicht. Er blinzelt nur oder gähnt oder schläft wieder ein.«

»Er ist noch sehr müde«, sagte sie und hoffte fest, dies sei die Erklärung für das unkommunikative Verhalten des Retrievers. »Er hat nicht einmal die Kraft für Fragen und Antworten.«

Bleich und sichtlich deprimiert meinte Travis: »Vielleicht.

Ich weiß es nicht... Aber ich glaube ... er kommt mir... irgendwie verwirrt vor.«

»Er hat die Krankheit noch nicht überwunden«, sagte sie.

»Er kämpft dagegen an, aber noch ist sie stärker. Er wird noch eine Weile benommen sein.«

»Verwirrt«, wiederholte Travis.

»Das wird sich geben.«

»Jaaa«, sagte er. »Jaaa, das wird sich geben.«

Aber es klang, als glaubte er, Einstein würde nie wieder werden wie früher.

Nora wußte, was Travis jetzt dachte: Wieder der Fluch der Cornells, an den er nicht zu glauben vorgab, aber den er tief im Herzen dennoch fürchtete. Jedem, den er liebte, war es bestimmt, zu leiden und jung zu sterben. Jeder, der ihm etwas bedeutete, wurde ihm entrissen.

Das war natürlich alles Unsinn, und Nora glaubte keinen Augenblick daran. Aber sie wußte, wie schwer es war, die Vergangenheit abzuschütteln, nur nach vorn zu blicken, und konnte es ihm nachfühlen, daß er jetzt einfach nicht optimistisch sein konnte. Und sie wußte auch, daß sie nichts für ihn tun konnte, um ihn aus diesem Abgrund persönlicher Pein zu holen - außer ihn zu küssen, die Arme um ihn zu legen und ihn dann ins Bett zu schicken, damit er etwas Schlaf bekäme.

Als Travis gegangen war, setzte Nora sich neben Einstein auf den Boden und sagte: »Es gibt da ein paar Dinge, die ich dir sagen muß. Pelzgesicht. Du schläfst und kannst mich nicht hören, glaube ich, und vielleicht würdest du, selbst wenn du wach wärst, nicht verstehen, was ich jetzt sage. Vielleicht wirst du nie wieder etwas verstehen, und deshalb sage ich es jetzt, wo es zumindest noch Hoffnung gibt, daß dein Verstand intakt ist.«

Sie hielt inne, atmete tief ein und sah sich in der Praxis um, in der, abgesehen von ihren Worten, völlige Stille herrschte. Das schwache Licht spiegelte sich in den Instrumenten und den Scheiben der Schränke.

Einsteins Atem ging regelmäßig, nur hier und da war ein leises Rasseln zu hören. Er regte sich nicht. Nicht einmal sein Schweif bewegte sich.

»Für mich bist du ein Behüter gewesen, Einstein. So habe ich dich einmal genannt, als du mich vor Arthur Streck gerettet hast. Mein Behüter. Du hast mich nicht nur vor diesem schrecklichen Mann gerettet - du hast mich auch aus der Einsamkeit und der furchtbaren Verzweiflung geholt. Und Travis hast du vor der Finsternis gerettet, die in ihm war. Und du hast uns zusammengebracht. Auch auf andere Weise warst du so perfekt, wie sich das ein Schutzengel nur wünschen kann.

In deinem guten, reinen Herzen hast du für alles, was du getan hast, nie etwas verlangt oder gewollt. Hier und da ein paar Hundekuchen, manchmal ein Stück Schokolade. Aber du würdest das alles auch dann getan haben, wenn man dir außer Hundefraß nichts gegeben hätte. Du hast es getan, weil du liebst, und es war dir genügend Lohn, wiedergeliebt zu werden. Indem du bist, was du bist. Pelzgesicht, hast du mich etwas sehr Wichtiges gelehrt, etwas, das in Worte zu kleiden mir schwerfällt... «

Eine Weile saß sie stumm da und unfähig, weiterzusprechen, im Schatten neben ihrem Freund, ihrem Kind, ihrem Lehrer, ihrem Behüter.

»Aber verdammt noch mal«, sagte sie schließlich, »ich muß die Worte finden, weil es vielleicht das letzte Mal ist, daß ich wenigstens so tun kann, als würdest du sie verstehen. Es ist einfach so ... Du hast mich gelehrt, daß ich auch deine Behüterin bin, daß ich Travis' Behüterin bin und daß er mein und dein Behüter ist. Wir tragen eine Verantwortung und müssen einander bewachen. Wir alle sind Behüter, bewahren einander vor der Finsternis. Du hast mich gelehrt, daß wir alle gebraucht werden, jeder, auch die, die manchmal denken, sie wären wertlos, unscheinbar und langweilig. Wenn wir lieben und zulassen, daß man uns liebt... nun, ein Mensch, der liebt, ist das Wertvollste, das es auf der Welt gibt - wertvoller als alle Schätze der Welt. Und das hast du mich gelehrt, Pelzgesicht, und deshalb werde ich nie wieder sein, was ich einmal war.«