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He, Nora, bin ich denn ein Schaustück - oder was ? Ist das nicht lächerlich ?

Am Samstagabend hatte er etwas feste Nahrung zu sich genommen und den ganzen Sonntag über an leichtverdaulichen Leckerbissen herumgeknabbert, die der Tierarzt ihm anbot. Er trank auch regelmäßig. Aber das ermutigendste an seiner Besserung war, daß er darauf bestand, hinauszugehen, um sein Geschäft zu machen. Er konnte noch nicht lange auf den Beinen stehen, von Zeit zu Zeit schwankte er, sackte ein, aber er stieß nicht gegen Wände und lief auch nicht im Kreis.

Gestern war Nora einkaufen gegangen und hatte drei Scrabble-Spiele mitgebracht. Jetzt hatte Travis an einem Ende der Praxis die Steine auf dem Boden in sechsundzwanzig Häufchen aufgeteilt.

»Wir sind soweit«, sagte Jim Keene. Er saß mit Travis im Türkensitz auf dem Boden. Pooka lag neben seinem Herrchen und schaute mit erstaunten Augen zu.

Nora führte Einstein zu den Scrabble-Steinen. Sie nahm seinen Kopf in die Hände, schaute ihm gerade in die Augen und sagte leise:

»Okay, Pelzgesicht. Jetzt wollen wir Dr. Jim beweisen, daß du nicht bloß ein armseliges Labortier bist, das für die Krebsforschung eingesetzt war. Jetzt wollen wir ihm zeigen, was du wirklich bist und weshalb diese bösen Menschen dich wirklich zurückhaben wollen.«

Sie versuchte daran zu glauben, im Blick des Retrievers die alte Wachsamkeit wiederzuerkennen.

Sichtlich nervös und beunruhigt sagte Travis: »Wer stellt die erste Frage?«

»Ich«, sagte Nora, ohne zu zögern, und fragte, zu Einstein gewendet: »Wie geht's der Fiedel?«

Sie hatten Jim Keene von der Nachricht erzählt, die Travis an dem Morgen vorgefunden hatte, an dem Einstein krank wurde - FIEDEL ZERBROCHEN -, und daher verstand der Arzt, was Nora fragte.

Einstein blinzelte die Buchstaben an, blinzelte wieder, zu ihr gewendet, beschnüffelte die Buchstaben, und gerade als sie anfing, eisige Angst zu verspüren, begann er Steine auszuwählen und sie mit der Nase herumzuschieben.

FIEDEL BESSER.

Travis erschauerte, als hätte seine Angst gleichsam als eine mächtige elektrische Ladung sich in diesem Augenblick entladen. Er sagte: »Gott sei Dank, Gott sei Dank!« und lachte vor Begeisterung.

»Jetzt soll mich doch der Teufel holen!« sagte Jim Keene. Pooka hob den Kopf und spitzte die Ohren, spürte, daß sich etwas sehr Wichtiges ereignete, wußte aber nicht, was.

Nora schwoll das Herz, sie legte die Steine auf die einzelnen Häufchen zurück und sagte: »Einstein, wer ist dein Herrchen? Sag uns seinen Namen.«

Der Retriever schaute zuerst sie, dann Travis an und gab dann die wohlüberlegte Antwort.

KEIN HERRCHEN. FREUNDE.

Travis lachte. »Bei Gott, das ist richtig! Niemand kann sein Herrchen sein, aber jeder sollte verdammt stolz sein, sein Freund sein zu dürfen.«

Es war das erste Lachen von Travis seit Tagen, während Nora vor Erleichterung weinen mußte.

Jim Keene sah mit großen Augen staunend zu und grinste dümmlich. Er sagte: »Ich komme mir wie ein Kind vor, das sich am Weihnachtsabend hinuntergeschlichen und tatsächlich den Weihnachtsmann dabei entdeckt hat, wie er Geschenke unter den Baum legt.«

»Jetzt bin ich dran«, sagte Travis, rutschte nach vorn und legte Einstein die Hand auf den Kopf und tätschelte ihn. »Jim hat gerade Weihnachten erwähnt, und bis dahin ist es nicht mehr weit. Noch zwanzig Tage. Sag mir also, Einstein: Was soll dir der Weihnachtsmann bringen, was wäre dir am liebsten?«

Zweimal setzte Einstein an, die Buchstaben aufzureihen, aber beide Male überlegte er es sich noch einmal. Dann torkelte er, fiel auf den Bauch, sah sich etwas dümmlich um, merkte, daß sie alle auf etwas warteten, stemmte sich wieder hoch und produzierte seine Bitte an den Weihnachtsmann.

MICKYMAUS.

Sie gingen erst um zwei Uhr früh zu Bett, weil Jim Keene berauscht war, nicht von Bier, Wein oder Whisky, sondern von schierer Freude über Einsteins Intelligenz. »Ja, wie ein Mensch, aber trotzdem ein Hund, ein Hund, auf wunderbare Art dem Denken eines Menschen ähnlich und doch auch wunderbar anders, wenn man von dem Wenigen ausgeht, das ich gesehen habe.« Aber Jim drängte nicht mehr auf mehr als einem Dutzend Beweisen seines Verstands. Er war der erste, der sagte, daß sie ihren Patienten nicht ermüden dürften. Trotzdem war er so erregt, daß er kaum an sich halten konnte. Travis wäre nicht zu sehr überrascht gewesen, hätte der Tierarzt plötzlich durchgedreht.

In der Küche drängte sie Jim, ihm einige der Geschichten über Einstein zu erzählen: die Sache mit der >Modernen Braut< in Solvang; wie er es angestellt hatte, dem ersten heißen Bad, das Travis ihm verordnete, kaltes Wasser hinzuzufügen, und vieles andere mehr. Jim selbst erzählte einige der Geschichten ein zweites Mal, als würden Travis und Nora sie noch nicht kennen. Aber die beiden freuten sich und ließen ihn gewähren.

Dann schnappte er sich mit großer Geste das Flugblatt vom Tisch, riß ein Streichholz an und verbrannte das Blatt im Ausguß. Er spülte die Asche hinunter. »Zur Hölle mit den mickrigen Geistern, die ein solches Geschöpf einsperren möchten, um an ihm herumzustochern und ihre Studien zu treiben. Mag sein, daß sie genial genug waren, Einstein zu machen, aber sie begreifen nicht, was sie getan haben. Begreifen nicht, welche Größe es hat, denn wenn sie es begriffen, würden sie ihn nicht in einen Käfig sperren wollen.«

Als Jim Keene am Ende widerstrebend zugab, daß sie alle Schlaf brauchten, trug Travis Einstein - der bereits schlief -ins Gästezimmer hinauf. Sie richteten ihm auf dem Boden neben dem Bett eine Liegestatt aus Decken.

Und dann, in der Dunkelheit, mit Einsteins leisem Schnarchen im Hintergrund, hielten Travis und Nora einander unter der Decke umfangen.

»Jetzt wird alles gut werden«, sagte sie.

»Einiger Ärger steht uns noch bevor«, sagte er. Dem Fluch frühen Todes war durch Einsteins Genesung Halt geboten worden. Aber daß der Fluch völlig von ihm genommen sei, wagte Travis noch nicht zu glauben. Irgendwo dort draußen war immer noch der Outsider... rückte näher.

ZEHN 

1

Als sie am Dienstag, dem 7. Dezember, am Nachmittag mit Einstein den Heimweg antraten, wollte Jim Keene sie nicht gehen lassen. Er folgte ihnen nach draußen zu ihrem Pick-up und schärfte ihnen, neben dem Wagen auf der Fahrerseite stehend, noch einmal ein, daß sie die Behandlung die nächsten paar Wochen fortsetzen müßten, erinnerte sie daran, daß er Einstein bis zum Monatsende einmal die Woche sehen wolle, und drängte sie, ihn nicht nur wegen der Behandlung des Hundes aufzusuchen, sondern auch auf einen Drink, zum Abendessen oder einfach, um zu plaudern.

Travis wußte, daß der Tierarzt damit meinte, er wolle ein Teil von Einsteins Leben bleiben, wolle an dem Zauber teilhaben. »Jim, glauben Sie mir, wir kommen wieder. Und noch vor Weihnachten müssen Sie uns besuchen und einen Tag bei uns verbringen.«

»Das würde mich sehr freuen.«

»Uns auch«, sagte Travis aufrichtig.

Auf der Fahrt nach Hause hielt Nora den in eine Decke gehüllten Einstein im Schoß. Er hatte immer noch nicht seinen alten Appetit zurückgewonnen, und er war schwach. Sein Immunsystem hatte schwer gelitten, er würde eine Weile für alle Arten von Krankheiten sehr anfällig sein. Jim Keene hatte gesagt, daß sie ihn so viel wie möglich im Haus festhalten und gut betreuen müßten, bis seine alte Lebenskraft wiederhergestellt wäre - und das werde wahrscheinlich bis ins neue Jahr dauern.

Auf dem verschrammten, zerbeulten Himmel blähten sich regenschwangere dunkle Wolken. Der Pazifische Ozean war so hart und grau, daß er nicht aussah wie Wasser, sondern wie Milliarden von Scherben und Brocken aus Schiefer, die ununterbrochen von unterirdischen Beben durcheinandergewirbelt wurden.