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Aber das rauhe Wetter konnte ihrer Stimmung keinen Abbruch tun. Nora strahlte, und Travis ertappte sich beim Pfeifen. Einstein studierte die Szenerie mit großem Interesse, offenkundig bereitete selbst die düstere Schönheit dieses beinahe farblosen Wintertages ihm Freude. Vielleicht hatte er nicht damit gerechnet, die Welt außerhalb von Jim Keenes Praxis jemals wiederzusehen, und in diesem Fall war selbst eine See aus Schieferplatten und ein von Wunden entstellter Himmel ein kostbarer Anblick.

Als sie zu Hause angekommen waren, ließ Travis Nora mit dem Retriever im Wagen sitzen und betrat das Haus zuerst allein durch die Hintertür, wobei er die .38er-Pistole aus dem Handschuhfach in der Hand hielt.

In der Küche, wo seit ihrer überhasteten Abreise letzte Woche immer noch das Licht brannte, holte er eine Uzi-Schnell-feuerwaffe au5 ihrem Versteck in einem Küchenschrank und legte die leichtere Pistole beiseite. Dann ging er vorsichtig von Zimmer zu Zimmer und blickte hinter jedes größere Möbelstück und in jeden Verschlag.

Er entdeckte keine Spuren eines Einbruchs und hatte auch keine erwartet. In dieser ländlichen Gegend gab es praktisch keine Kriminalität, und man konnte ohne weiteres ein paar Tage die Tür unversperrt lassen, ohne zu riskieren, daß irgendwelche Diebe alles bis auf die Tapeten herausholten.

Ihm machte der Outsider Sorge, nicht etwa Einbrecher.

Das Haus war verlassen.

Auch die Scheune überprüfte Travis, ehe er den Pick-up hineinfuhr. Aber auch hier war alles unversehrt.

Im Haus legte Nora Einstein auf den Boden und entfernte die Decke von ihm. Er ging schwankend durch die Küche und beschnüffelte die Gegenstände, an denen er vorbeikam. Im Wohnzimmer warf er einen Blick auf den kalten Kamin und inspizierte seine Umblättermaschine.

Dann kehrte er in die Speisekammer zurück, knipste mit seinem Pedal das Licht an und holte Buchstaben aus den Kunststoffschächten.

ZU HAUSE.

Travis kauerte sich neben dem Hund nieder und sagte:

»Schön, wieder hier zu sein, nicht wahr?«

Einstein drängte sich an Travis und leckte ihm den Hals.

Sein goldenes Fell war wieder flaumig und roch sauber, weil Jim Keene den Hund gebadet hatte. Aber so flaumig und frisch er war - Einstein war noch nicht der alte; er wirkte müde und war auch dünner geworden, hatte in weniger als einer Woche ein paar Pfund verloren.

Einstein holte sich weitere Buchstaben und schrieb dasselbe Wort noch einmal, wie um seine Freude zu betonen.

ZU HAUSE.

Nora, die an der Tür zur Speisekammer stand, sagte: »Zuhause ist, wo das Herz ist, und in diesem Haus gibt es eine Menge Herz. He, laß uns ein frühes Abendessen machen und im Wohnzimmer essen, dann können wir das Mickymaus-Videoband abspielen. Würde dir das gefallen?«

Einstein wedelte heftig mit dem Schweif.

Und Travis fragte: »Glaubst du, du könntest dein Lieblingsessen schaffen - ein paar Wiener Würstchen zum Abendessen?«

Einstein leckte sich die Lefzen.

Als Travis mitten in der Nacht aufwachte, stand Einstein am Schlafzimmerfenster, die Vorderpfoten auf dem Fenstersims. Man konnte ihn im schwachen Schein des Nachtlichts im angrenzenden Badezimmer kaum erkennen. Der Innenladen war am Fenster verriegelt, so daß der Hund nicht in den Hof sehen konnte. Aber vielleicht brauchte er seinen Gesichtssinn gar nicht, um den Outsider anzupeilen.

»Ist da draußen etwas. Junge?« fragte Travis leise, um Nora nicht unnötig zu wecken.

Einstein ließ sich vom Fenstersims fallen, trottete auf Travis' Bettseite und legte seinen Kopf auf die Matratze.

Travis streichelte den Hund und flüsterte: »Kommt er?«

Einstein antwortete darauf nur mit einem geheimnisvollen Winseln, ließ sich auf den Boden neben dem Bett nieder und schlief wieder ein.

Ein paar Minuten später war Travis ebenfalls wieder eingeschlafen.

Vor Morgenanbruch wachte Travis noch einmal auf und merkte, daß Nora auf der Bettkante saß und Einstein streichelte. »Schlaf weiter«, sagte sie zu Travis.

»Was ist denn?«

»Nichts«, flüsterte sie benommen. »Ich bin aufgewacht und hab' ihn am Fenster gesehen. Aber es ist nichts. Schlaf wieder.«

Er schaffte es ein drittes Mal, einzuschlafen, träumte aber, der Outsider sei so klug gewesen, während seiner sechs Monate dauernden Verfolgung Einsteins den Gebrauch von Werkzeugen zu erlernen und jetzt. Flammen in den gelben Augen, dabei, sich mit einer Axt Zugang durch die Schlafzimmerläden zu verschaffen.

2

Sie verabreichten Einstein pünktlich seine Medikamente, und er schluckte die Pillen gehorsam. Sie erklärten ihm, er müsse gut essen, um wieder zu Kräften zu kommen. Er gab sich Mühe, aber sein Appetit wollte sich nur langsam wieder einstellen. Er würde ein paar Wochen brauchen, um die verlorenen Pfunde zurückzugewinnen und seine alte Vitalität wiederzufinden. Aber es war Tag für Tag zu sehen, wie sich sein Zustand besserte.

Am Freitag, dem 10. Dezember, schien Einstein kräftig genug zu sein, um einen kurzen Spaziergang im Freien riskieren zu können. Bisweilen bewegte er sich noch etwas schwankend, aber er taumelte nicht mehr bei jedem Schritt. In der Tierarztpraxis hatte er seine sämtlichen Impfungen bekommen; es bestand also keine Gefahr, daß er sich nach der Staupe, die er gerade überwunden hatte, die Tollwut zuzöge.

Das Wetter war milder als in den vorangegangenen Wochen, mit Temperaturen um die fünfzehn Grad und keinem Wind. Die spärlichen Wolken waren weiß, die Sonne war, wenn sie sich nicht dahinter verbarg, weich und kosend.

Einstein begleitete Travis auf einer Inspektionsrunde zu den Infrarotsensoren rund um das Haus und zu den Distickstoffmonoxyd-Tanks in der Scheune. Sie bewegten sich ein wenig langsamer als beim letzten Mal, aber Einstein schien es Freude zu machen, wieder im Dienst zu sein.

Nora befand sich in ihrem Atelier und arbeitete an einem neuen Bild: einem Porträt Einsteins. Er wußte nicht, daß er ihre neueste Leinwand zierte. Das Bild sollte eine Weihnachtsüberraschung für ihn sein und, wenn es dann am Festtag enthüllt würde, über dem Kamin im Wohnzimmer aufgehängt werden.

Als Travis und Einstein aus der Scheune traten, fragte Travis: »Kommt er näher?«

Auf diese Frage hin verfiel Einstein in seine übliche Routine, wenn auch diesmal mit weniger Aufwand, weniger Schnüffeln und einer nur kurzen Untersuchung des sie umgebenden Waldes. Als er zu Travis zurückkehrte, winselte der Hund ängstlich.

»Ist er dort draußen?« fragte Travis.

Einstein gab keine Antwort. Er blickte wieder zum Wald -sichtlich verwirrt.

»Kommt er immer noch näher?« fragte Travis.

Der Hund gab keine Antwort.

»Ist er näher als früher?«

Einstein trottete im Kreis, beschnüffelte den Boden, beschnüffelte die Luft, legte den Kopf auf die eine Seite, dann auf die andere. Schließlich kehrte er zum Haus zurück und blieb an der Tür stehen, schaute Travis an und wartete geduldig. Als sie im Haus waren, lief Einstein direkt zur Speisekammer. UNKLAR.

Travis starrte das Wort auf dem Boden an. »Unklar?«

Einstein holte sich weitere Buchstaben und schob sie mit der Nase zurecht.

NICHT KLAR.

»Sprichst du von deiner Fähigkeit, den Outsider zu fühlen?«

Ein kurzes Schweifwedeln: JA.

»Du kannst ihn nicht mehr wahrnehmen?«

Ein Bellen: NEIN.

»Glaubst du... er ist tot?«

WEISS NICHT.

»Oder dein Spürsinn funktioniert nicht, wenn du krank bist oder geschwächt wie jetzt.«

VIELLEICHT.

Travis sammelte die Steine mit den Buchstaben auf und sortierte sie wieder ein. Er überlegte einen Augenblick. Schlimme Gedanken. Entnervende Gedanken. Sie hatten ein Alarmsystem, das ihren Besitz schützte, ja; aber eigentlich verließen sie sich darauf, daß Einstein ihnen eine Vorwarnung lieferte. Travis hätte sich angesichts der Vorsichtsmaßnahmen, die er ergriffen hatte, und mit seiner Ausbildung bei Delta Force eigentlich sicher fühlen müssen, hätte darauf vertrauen sollen, daß es ihm gelingen werde, den Outsider zu vernichten. Aber das Gefühl quälte ihn, daß er Irgendwo in ihren Verteidigungsanlagen eine Lücke gelassen haben könnte und er, wenn es zur Krise kam, Einsteins Fähigkeiten und ganze Kraft brauchen würde, um eine unerwartete Situation zu meistern.