»Du wirst, so schnell du kannst, wieder gesund werden müssen«, erklärte er dem Retriever. »Du wirst, selbst wenn du keinen Appetit hast, versuchen müssen zu essen. Du wirst so viel wie möglich schlafen müssen, um deinem Körper Gelegenheit zu geben, sich zu erholen. Und außerdem solltest du nicht die halbe Nacht am Fenster verbringen und dir Sorgen machen.«
HÜHNERSUPPE.
Travis lachte und meinte: »Das könnten wir ja auch versuchen.«
BOILERMAKER TÖTET BAKTERIEN.
»Wie kommst du denn darauf?«
BUCH. WAS IST BOILERMAKER?
»Ein Schuß Whisky in einem Glas Bier«, erklärte Travis.
Einstein dachte einen Augenblick darüber nach.
TÖTET BAKTERIEN? ABER WERDE BIERTRINKER.
Travis lachte und zerzauste Einstein das Fell. »Du bist ein richtiger Spaßmacher, Pelzgesicht.« Er drückte den Hund an sich, dann saßen sie beide in der Speisekammer und lachten, jeder auf seine Art.
Trotz der Scherze wußte Travis, daß Einstein der Verlust seiner Fähigkeit, den Outsider wahrzunehmen, zutiefst beunruhigte. Die Witze waren ein Abwehrmechanismus, einfach etwas, womit er die Furcht verdrängen wollte.
Am Nachmittag schlief Einstein, von dem kurzen Gang um das Haus erschöpft, während Nora fieberhaft in ihrem Atelier malte. Travis saß an einem der Fenster, starrte auf den Wald hinaus und ging in Gedanken einige Male ihre Verteidigungseinrichtungen durch, suchte nach einem Schwachpunkt.
Am Sonntag, dem 12. Dezember, kam Jim Keene nachmittags zu ihnen und blieb zum Abendessen. Er untersuchte Einstein und war mit dem Zustand des Hundes zufrieden.
»Es scheint nur langsam voranzugehen«, meinte Nora beunruhigt.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß es ein Weile dauern wird«, sagte Jim.
Er nahm einige Änderungen in Einsteins medikamentöser Behandlung vor und ließ neue Flaschen mit Pillen da.
Einstein bereitete es großes Vergnügen, seine Umblättermaschine und den Buchstabenspeicher in der Speisekammer zu demonstrieren. Er ließ sich dafür loben, daß er einen Bleistift zwischen den Zähnen halten und damit den Fernseher und den Videorecorder bedienen konnte, ohne Nora oder Travis belästigen zu müssen.
Zuerst überraschte es Nora, daß der Tierarzt weniger traurig und düster wirkte, als sie ihn in Erinnerung hatte. Aber dann entschied sie, daß sein Gesicht dasselbe war; was sich geändert hatte, war die Art und Weise, wie sie ihn sah. Jetzt, da sie ihn besser kannte und er ein enger Freund war, sah sie nicht nur die betrübte Miene, die die Natur ihm gegeben hatte, sondern auch die Freundlichkeit und den Humor unter dem ernsten Äußeren.
Beim Abendessen sagte Jim: »Ich hab' mich ein wenig mit Tätowierungen befaßt - um zu sehen, ob ich vielleicht die Ziffern in seinem Ohr entfernen kann.«
Einstein war in der Nähe auf dem Boden gelegen und hatte das Gespräch verfolgt. Jetzt erhob er sich, taumelte, einen Augenblick und lief dann zum Küchentisch und sprang auf einen der freien Stühle. Er saß ganz aufrecht da und starrte Jim erwartungsvoll an.
»Nun«, sagte der Tierarzt und ließ die Gabel mit dem Hühnercurry wieder sinken, die er schon halb zum Mund geführt hatte, »die meisten Tätowierungen kann man austilgen, aber nicht alle. Wenn ich weiß, was für eine Tinte benutzt worden ist und mit welcher Methode man sie in die Haut eingebracht hat, dann könnte ich die Marke vielleicht löschen.«
»Das wäre großartig«, sagte Nora. »Dann könnten die, selbst wenn sie uns finden würden und versuchten, Einstein
zurückzuholen, nicht beweisen, daß er der Hund ist, der ihnen abhandengekommen ist.«
»Aber es wurden immer noch Spuren der Tätowierung vorhanden sein, die man bei gründlicher Untersuchung bestimmt feststellen könnte«, sagte Travis. »Mit dem Vergrößerungsglas.«
Einstein sah zuerst Travis und dann Jim Keene an, als wollte er sagen: Ja, und?
»Die meisten Labors kennzeichnen ihre Versuchstiere nur mit einer Marke«, sagte Jim. »Diejenigen, die tätowieren, verwenden einige Standardfarben. Ich könnte die Markierung entfernen, ohne daß eine Spur zurückbleibt, lediglich eine kleine, natürlich aussehende Vernarbung im Fleisch. Selbst bei mikroskopischer Untersuchung würde man keine Spuren der Tinte finden und keinen Hinweis auf die Ziffern. Schließlich ist es eine ganz kleine Tätowierung, und das macht es einfacher. Ich muß mich noch ein wenig um Einzelheiten kümmern. Aber in ein paar Wochen könnten wir es versuchen - wenn Einstein die kleine Unbequemlichkeit nichts ausmacht.«
Der Retriever verließ den Tisch und trottete in die Kammer.
Sie konnten hören, wie er mit den Pedalen Buchstaben herausholte.
Nora ging nachsehen, was Einstein ihnen mitteilen wollte. WILL NICHT MARKIERT SEIN. BIN KEINE KUH.
Sein Wunsch, von der Tätowierung befreit zu werden, ging tiefer, als Nora angenommen hatte. Er wollte, daß man die Tätowierung entfernte, um nicht von den Leuten im Labor identifiziert werden zu können. Aber offenbar war es ihm auch zuwider, diese drei Ziffern in seinem Ohr zu tragen, weil sie ihn als bloßen Besitz kennzeichneten, und das war ein Zustand, der seine Würde beleidigte und seine Rechte als intelligente Kreatur verletzte.
FREIHEIT.
»Ja«, sagte Nora respektvoll und legte eine Hand auf seinen Kopf. »Das verstehe ich. Du bist ein ... eine Person, und zwar eine Person mit« - dies war das erste Mal, daß sie über diesen Aspekt nachgedacht hatte - »einer Seele.«
War es Blasphemie, zu glauben, daß Einstein eine Seele hatte? Nein. Menschenhand hatte den Hund geschaffen; aber wenn es einen Gott gab, dann war der offenbar mit Einstein einverstanden - nicht zuletzt, weil Einsteins Fähigkeit, Recht und Unrecht zu unterscheiden, seine Fähigkeit zu lieben, sein Mut und seine Selbstlosigkeit ihn dem Abbild Gottes näherbrachten, als man das von vielen menschlichen Wesen sagen konnte.
»Freiheit«, sagte sie. »Wenn du eine Seele hast - und ich weiß, daß du eine hast -, dann bist du mit freiem Willen und dem Recht zur Selbstbestimmung geboren. Die Ziffern in deinem Ohr sind eine Beleidigung, und wir werden sie loswerden.«
Nach dem Abendessen wollte Einstein sichtlich dem Gespräch lauschen, an ihm teilnehmen, aber seine Energie reichte nicht aus, und er schlief am Feuer ein.
Bei einem kleinen Brandy und einer Tasse Kaffee hörte Jim Keene zu, wie Travis ihm ihre Verteidigungsmaßnahmen gegen den Outsider schilderte. Travis forderte ihn auf, Lücken in ihren Vorbereitungen zu entdecken, aber mit Ausnahme der Verwundbarkeit ihrer Energieversorgung fiel ihm nichts ein. »Wenn das Ding schlau genug wäre, die Leitung zu unterbrechen, die vom Highway hereinführt, dann könnte es Sie mitten in der Nacht in Finsternis stürzen und Ihre Alarmanlage nutzlos machen. Und ohne Energie wird der raffinierte Mechanismus in der Scheune die Tür nicht hinter der Bestie zuschlagen oder das Distickstoffmonoxyd freisetzen.«
Nora und Travis gingen mit ihm die Treppe hinunter ins Souterrain unter dem hinteren Teil des Hauses, um ihm das Notstromaggregat zu zeigen. Es wurde von einem Zweihun-dert-Liter-Benzintank gespeist, der im Hof vergraben war, und würde dem Haus und der Scheune und dem Alarmsystem mit nur zehn Sekunden Verzögerung Elektrizität liefern, falls die Hauptversorgung ausfiel.