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Als er am Tag nach Weihnachten in einem Restaurant in San Francisco auftauchte, das Don Tetragna gehörte, um sich mit Frank Dicenziano zu treffen, dem Capo der Familie, der nur dem Don selbst verantwortlich war, war Vince unruhig. Die Fratellama hatte in bezug auf Mordanschläge einen strengen Kodex. Zum Teufel, die hatten in bezug auf alles ihren Kodex - wahrscheinlich sogar darüber, wie man seinen Stuhlgang zu verrichten hatte -, und diesen Kodex nahmen sie ernst.

Aber der Mordanschläge betreffende Kodex wurde vielleicht noch ein wenig ernster genommen als die anderen. Die erste Regel dieses Kodex lautete: Man erledigt einen Mann nicht in Anwesenheit seiner Familie, es sei denn, er ist untergetaucht, und es gibt keine andere Möglichkeit, an ihn heranzukommen. In dieser Hinsicht fühlte Vince sich einigermaßen sicher. Aber eine weitere Regel besagte, daß man nie die Frau oder die Kinder oder die Großmutter eines Mannes erschoß, um an ihn heranzukommen. Jeder Profikiller, der so etwas tat, landete wahrscheinlich am Ende selbst in der Leichenhalle, von eben den Leuten erledigt, die ihn angeheuert hatten. Vince hoffte, Frank Dicenziano davon zu überzeugen, daß Velazquez ein besonderer Fall sei - bisher hatte sich noch nie eine Zielperson Vince länger als einen Monat entziehen können - und daß das, was am Weihnachtstag in Oakland geschehen sei, zwar bedauerlich, aber auch unvermeidlich gewesen wäre.

Und nur für den Fall, daß Dicenziano - und damit auch der Don - zu wütend war, um auf Vernunftgründe zu hören, hatte Vince sich mit mehr als einer Pistole auf das Treffen vorbereitet. Wenn sie seinen Tod wollten, würden sie ihn, sobald er das Restaurant betrat, und ehe er wußte, was gespielt wurde, in eine Ecke drängen und ihm die Waffe wegnehmen. Deshalb hatte er sich mit Plastiksprengstoff verdrahtet und war darauf vorbereitet, sie in die Luft zu jagen und das ganze Restaurant mit ihnen, falls sie versuchten, an ihm für einen Sarg Maß zu nehmen.

Vince war nicht sicher, ob er die Explosion überleben würde. In letzter Zeit hatte er die Lebensenergien so vieler Leute in sich aufgenommen, daß er dachte, der Unsterblichkeit, die er suchte, nahe zu sein. Vielleicht war er auch schon soweit -aber solange er es nicht ausprobierte, würde er es auch nicht wissen. Falls seine einzigen Wahlmöglichkeiten darin bestanden, im Zentrum einer Explosion zu stehen oder sich von ein paar Schlaumeiern hundert Kugeln in den Leib jagen und anschließend in Zement eingießen zu lassen, dann war ersteres immer noch vorzuziehen und bot ihm vielleicht sogar eine um einen Hauch bessere Überlebenschance.

Zu seiner Überraschung war Dicenziano - der ihn an ein Eichhörnchen mit Fleischklößen in den Backen erinnerte -von der Art und Weise entzückt, wie der Velazquez-Kontrakt erfüllt worden war. Er sagte, der Don sei voll des Lobes für Vince. Niemand durchsuchte Vince, als er das Restaurant betrat. Ihm und Frank wurde an einem Ecktisch - dem besten, den das Lokal zu bieten hatte - ein Spezialmenü mit nicht auf der Speisekarte stehenden Gerichten serviert. Dazu tranken sie Cabemet Sauvignon um dreihundert Dollar die Flasche, ein Geschenk Mario Tetragnas.

Als Vince vorsichtig auf die tote Ehefrau und die Großmutter zu sprechen kam, meinte Dicenziano: »Hören Sie, mein Freund, wir wußten, dies würde ein schwieriger Hit werden, ein anspruchsvoller Job, und daß möglicherweise Regeln gebrochen werden mußten. Außerdem waren diese Leute nicht unsere Art von Leuten - das waren bloß ein paar Wetbacks[6] , die nicht in dieses Geschäft gehören. Wenn die versuchen, sich reinzudrängen, dann dürfen sie nicht damit rechnen, daß wir ihnen gegenüber die Regeln einhalten.«

Erleichtert ging Vince in der Mitte der Mahlzeit auf die Herrentoilette und löste die Kontakte an den Sprengladungen. Er wollte nicht zufällig in die Luft fliegen, jetzt, wo die Krise vorbei war.

Am Ende des Mittagessens gab Frank Vince die Liste. Neun Namen. »Diese Leute - sie gehören übrigens nicht alle zur Familie - bezahlen den Don für die Erlaubnis, ihre Ausweisgeschäfte in seinem Territorium zu führen. Ich habe, weil ich schon damit rechnete, daß Sie mit Velazquez Erfolg haben würden, mit diesen neun im November gesprochen, und sie werden sich daran erinnern, daß der Don wünscht, daß sie mit Ihnen in jeder möglichen Weise zusammenarbeiten.«

Vince machte sich noch am selben Nachmittag auf die Suche nach jemandem, der sich an Travis Cornell erinnern konnte.

Zunächst wurde er enttäuscht. Zwei von den ersten vier Leuten auf der Liste waren nicht zu erreichen; sie hatten ihr Geschäft geschlossen und waren über die Feiertage weggefahren. Vince fand es einfach unpassend, daß die kriminelle Unterwelt sich Weihnachten und Neujahr freinahm, gerade so, als wären sie Schullehrer.

Aber der fünfte Mann, Anson Van Dyne, arbeitete im Kellergeschoß unter seinem Oben-ohne-Klub, dem >Hot Tips<, und um halb sechs, am 26. Dezember, fand Vince das, was er suchte. Van Dyne warf einen Blick auf die Fotografie von Travis Cornell, die Vince sich im Zeitungsarchiv von Santa Barbara besorgt hatte.

»Ja, ich erinnere mich an ihn. Den vergißt man nicht so leicht. Kein Ausländer, der schnell Amerikaner werden möchte wie die Hälfte meiner Kunden. Auch nicht der übliche lahmarschige Verlierer, der seinen Namen wechseln und sein Gesicht verstecken möchte. Nicht, daß er besonders groß wäre oder großmäulig auftreten würde, aber man hat einfach das Gefühl, daß er mit jedem, der ihm in die Quere kommt, den Boden aufwischen könnte. Sehr selbstbewußt. Sehr wachsam. Ich hab' ihn nicht vergessen.«

»Was du nicht vergessen hast«, sagte einer der zwei bärtigen Wunderknaben an den Computern, »ist in Wirklichkeit die Puppe, die er bei sich hatte.«

»Für die könnt' ihn selbst noch ein Toter hochkriegen«, sagte der andere.

»Ja, sogar ein Toter«, bestätigte der erste. »Ein richtiges Klasseweib.«

Ihr Beitrag zu dem Gespräch beleidigte und verwirrte Vince, also ignorierte er sie und sagte, zu Van Dyne gewendet: »Sie erinnern sich nicht vielleicht zufällig an die neuen Namen, die Sie ihnen gegeben haben?«

»Sicher. Die haben wir in der Ablage«, sagte Van Dyke.

Vince konnte es nicht glauben. »Ich dachte immer, Leute in Ihrem Beruf würden keine Aufzeichnungen führen? Das ist für Sie doch sicherer und für Ihre Kunden wichtig.«

Van Dyne zuckte die Achseln. »Die Kunden können mich am Arsch lecken. Weiß ich denn, ob uns nicht eines Tages die FBI oder die hiesigen Bullen hochgehen lassen? Am Ende brauche ich vielleicht Geld, um die Anwälte bezahlen zu können. Gibt es da etwas Besseres als eine Liste mit ein paar tausend Knilchen, die unter falschem Namen leben, Knilchen, die

sich lieber ein wenig ausquetschen lassen, als wieder ganz von vorn anfangen zu müssen?«

»Erpressung«, sagte Vince.

»Ein häßliches Wort«, wandte Van Dyne ein. »Aber es paßt, fürchte ich. Jedenfalls interessiert uns einzig und allein, daß wir in Sicherheit sind, daß es hier keine Aufzeichnungen gibt, die uns belasten. Wir bewahren die Daten natürlich nicht in diesem Loch hier auf. Sobald wir jemandem einen neuen Ausweis geliefert haben, übertragen wir die Daten über eine sichere Telefonleitung aus dem Computer hier auf einen Computer, den wir an einem anderen Ort stehen haben. Und so, wie dieser andere Computer programmiert ist, kann man die Daten nicht von hier aus aus ihm rausholen; das ist eine Einbahnstraße. Wenn man uns also hochgehen läßt, können die Hacker bei den Bullen über diese Maschinen hier nicht an unsere Aufzeichnungen ran. Verdammt, die wüßten nicht einmal, daß es solche Aufzeichnungen gibt.«

Diese neue High-tech-Verbrccherwelt machte Vince ganz benommen. Selbst der "Don, ein Mann von unendlicher krimineller Intelligenz, hatte geglaubt, daß diese Leute keine Aufzeichnungen führten, und nicht bedacht, daß die Computer ihnen das in durchaus ungefährlicher Weise ermöglichten.

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6

Wetback: nasser Rücken (in wörtlicher Bedeutung). Geringschätzige Bezeichnung für illegale Einwanderer aus Mexiko, die über einen der Grenzflüsse ins Land gekommen sind (und sich dabei den Rücken naß gemacht haben). - Anm. d. Ü.