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Vince dachte über das, was Van Dyne ihm gesagt hatte, nach und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. »Dann können Sie mich also zu diesem anderen Computer bringen und dort Cornells neue Identität abrufen?« fragte er. »Für einen Freund von Don Tetragna«, erklärte Van Dyne, »würde ich so ziemlich alles tun, bloß nicht den eigenen Hals aufschlitzen. Kommen Sie.«

Van Dyne fuhr Vince zu einem ziemlich überfüllten chinesischen Restaurant in Chinatown. Das Lokal bot vielleicht hundertfünfzig Menschen Platz, und jeder Tisch war besetzt. Obwohl das Restaurant riesig war und mit Papierlaternen, Wandgemälden mit Drachen und imitierten Wandschirmen aus Rosenholz und ganzen Reihen von bronzenen Windglocken in Form chinesischer Ideogramme dekoriert war, erinnerte es Vince doch an die kitschige italienische Trattoria, in der er im letzten August die Küchenschabe Pantangela und die zwei Marshals ermordet hatte. Jegliche folkloristische Dekoration, ob nun chinesisch, italienisch, polnisch oder irisch, war im Wesen exakt dasselbe.

Der Besitzer war ein Chinese um die Dreißig, der Vince einfach als Yuan vorgestellt wurde. Jeder mit einer Flasche Tsing-tao-Bier bewaffnet, die Yuan ihnen gegeben hatte, gingen Van Dyne und Vince in das Kellerbüro des Besitzers hinunter, wo auf zwei Schreibtischen zwei Computer standen; einer in der Mitte, der andere in einem Winkel. Der in der Ecke war eingeschaltet, wenn auch niemand an ihm tätig war.

»Das hier ist mein Computer«, erklärte Van Dyne. »An ihm arbeitet nie jemand. Nicht einmal anfassen tun die ihn, bloß am Morgen, um die Telefonleitung zu öffnen und das Modem aufzulegen, und abends, um ihn wieder abzuschalten. Meine Computer im >Hot Tips< sind mit dem hier verbunden.«

»Sie vertrauen Yuan?«

»Ich hab' ihm den Kredit verschafft, mit dem er sein Geschäft angefangen hat. Damit steht er in meiner Schuld. Und es war ein ganz sauberes Darlehen, nichts, das man in irgendeiner Weise mit mir oder Don Tetragna in Verbindung bringen kann. Also bleibt Yuan ein aufrechter Burger, der für die Bullen ohne Interesse ist. Als Gegenleistung braucht er nichts anderes zu tun, als meinen Computer hier stehen zu lassen.«

Van Dyne setzte sich vor das Terminal und begann darauf zu tippen. Zwei Minuten später hatte er Travis Comells neuen Namen: Samuel Spencer Hyatt.

»Und hier«, sagte Van Dyne, als neue Daten über den Schirm zogen, »das ist die Frau, die mit ihm zusammen war.

Ihr wirklicher Name war Nora Louise Devon aus Santa Barbara. Jetzt heißt sie Nora Jean Aimes.«

»Okay«, sagte Vince. »Und jetzt löschen Sie sie aus Ihren Aufzeichnungen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Tilgen sollen Sie sie. Sie aus dem Computer herausnehmen. Die gehören jetzt nicht mehr Ihnen. Die gehören mir. Niemandem sonst. Nur mir.«

Kurz darauf waren sie wieder im >Hot Tips<, einem dekadenten Lokal, das bei Vince Speiübelkeit hervorrief.

Im Keller gab Van Dyne die Namen Hyatt und Aimes an die bärtigen jungen Männer weiter, die rund um die Uhr hier unten zu leben schienen wie zwei Trolle.

Zuerst verschafften die Trolle sich Zugang zur Verkehrskartei. Sie wollten herausfinden, ob Hyatt und Aimes sich in den letzten drei Monaten seit der Übernahme der neuen Identität irgendwo niedergelassen und den Behörden ihren Adressenwechsel mitgeteilt hatten.

»Bingo«, sagte einer von ihnen.

Auf dem Bildschirm tauchte eine Adresse auf, und der bärtige Operator bestellte einen Ausdruck.

Anson Van Dyne riß das Blatt aus dem Printer und reichte es Vince. Travis Comell und Nora Devon - jetzt Hyatt und Aimes hatten eine ländliche Adresse an der Pacific Coast Highway, südlich der Stadt Carmel.

5

Am Mittwoch, dem 29. Dezember, fuhr Nora nach Carmel, wo sie einen Termin mit Dr. Weingold hatte.

Der Himmel war bedeckt und so dunkel, daß die weißen Möwen, die vor dem Hintergrund der Wolken vom Himmel stießen, im Kontrast dazu fast wie Lichter wirkten. Das Wetter war seit Weihnachten so, aber der versprochene Regen hatte sich nicht eingestellt.

Heute freilich goß es in Strömen, und zwar eben jetzt, als sie den Pick-up in eine der wenigen Lücken auf dem kleinen Parkplatz hinter Dr. Weingolds Praxis lenkte. Sie trug - für alle Fälle - eine Nylonjacke mit Kapuze, und die Kapuze zog sie sich jetzt über den Kopf, ehe sie aus dem Wagen zum einstöckigen Ziegelbau hinüberrannte.

Dr. Weingold nahm wie üblich eine gründliche Untersuchung vor und verkündete dann, sie sei fit wie eine Fiedel, was Einstein sicherlich amüsiert hätte.

»Ich habe noch nie eine Frau im dritten Monat erlebt, der es besser gegangen wäre als Ihnen«, sagte der Arzt.

»Ich möchte ein gesundes Baby haben, ein perfektes Baby.« »So wird es auch sein.«

Der Arzt glaubte, daß sie Aimes hieß und ihr Mann Hyatt, ließ aber nie Mißbilligung in bezug auf ihren Familienstand erkennen. Die Situation war Nora etwas peinlich, aber sie nahm an, daß die moderne Welt, in die sie aus dem schützenden Kokon des Devon-Hauses geflattert war, in diesen Dingen liberale Ansichten hatte.

Dr. Weingold schlug, wie er das schon beim letztenmal getan hatte, vor, einen Test zu machen, um das Geschlecht des Babys zu bestimmen, und sie lehnte wie beim letztenmal ab. Sie wollte sich überraschen lassen. Außerdem würde Einstein, falls sie herausfanden, daß es ein Mädchen werden würde, sofort anfangen, für den Namen >Minnie< Werbung zu machen. Nachdem sie sich mit der Sprechstundenhilfe auf den nächsten Termin geeinigt hatte, zog sich Nora wieder die Kapuze über den Kopf und ging in den brausenden Regen hinaus. Es goß echt, der Regen klatschte von einem Teil des Daches herunter, wo keine Dachrinne angebracht war, strömte über den Weg, so daß sich im Asphalt des Parkplatzes tiefe Pfützen bildeten. Auf dem Weg zum Wagen mußte sie durch einen Miniaturfluß waten, und ihre Schuhe waren binnen Sekunden triefend naß.

Als sie den Pick-up erreichte, sah sie einen Mann aus einem roten Honda steigen, der neben ihr parkte. Der Mann fiel ihr nicht sonderlich auf - nur daß er sehr groß war, im Verhältnis zu dem Kleinwagen, und ganz und gar nicht für den Regen gekleidet. Er trug Jeans und einen blauen Pullover, und Nora dachte: Der Arme wird bis auf die Haut naß werden.

Sie öffnete die Tür auf der Fahrerseite und schickte sich an einzusteigen. Aber ehe sie sich's versah, drängte der Mann im blauen Pullover sich hinter ihr hinein, schob sie über den Sitz und setzte sich selbst hinters Steuer. Er sagte: »Wenn du schreist, Miststück, blas' ich dir ein Loch in den Bauch.« Erst jetzt bemerkte sie, daß er ihr einen Revolver in die Seite bohrte.

Unwillkürlich wollte sie schreien, versuchen, über den Sitz weiterzurutschen, zur Beifahrertür hinaus. Aber irgend etwas in seiner Stimme, die brutal und dunkel war, ließ sie zögern.

Es klang so, daß sie erkannte, er würde sie eher in den Rücken schießen, als sie entkommen lassen.

Er knallte die Fahrertür zu, und jetzt waren sie allein im Wagen, fern jeder Hilfe und durch den Regen, der an den Fenstern herunterströmte und das Glas undurchsichtig machte, praktisch allen Blicken entzogen. Doch das hatte ohnehin nichts zu besagen. Der Parkplatz war verlassen und von der Straße aus nicht einsehbar, so daß sie selbst außerhalb des Wagens niemanden gehabt hätte, an den sie sich hätte wenden können.

Er war sehr groß und muskulös; aber was ihr an ihm Angst machte, war nicht seine Größe. Sein breites Gesicht wirkte ruhig, praktisch ausdruckslos, und diese Gelassenheit, die überhaupt nicht der Situation angemessen war, machte Nora Angst. Und seine Augen waren noch schlimmer: grüne Augen - und kalt.