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»Wer sind Sie?« fragte sie, bemüht, ihre Furcht zu verbergen, weil sie sicher war, daß sichtbare Angst ihn erregen würde. Er schien auf einem ganz schmalen Grat zu balancieren. »Was wollen Sie von mir?«

»Ich will den Hund.«

Sie hatte gedacht: Raub. Sie hatte gedacht: Vergewaltigung.

Sie hatte gedacht: psychopathischer Killer. Aber keinen Augenblick lang hatte sie gedacht, daß er ein Agent der Regierung sein könnte. Und doch, wer sonst würde nach Einstein suchen? Sonst wußte doch niemand, daß der Hund existierte. »Wovon reden Sie?« fragte sie.

Er bohrte ihr den Lauf des Revolvers tiefer in die Seite, bis es weh tat.

Sie dachte an das Baby, das in ihr heranwuchs. »All right, okay. Sie wissen offensichtlich über den Hund Bescheid, also hat es keinen Sinn, irgendwelche Spielchen mit Ihnen zu treiben.«

»Gar keinen Sinn.« Er redete so leise, daß sie ihn im Dröhnen des Regens, der auf das Dach trommelte und gegen die Windschutzscheiben peitschte, kaum hören konnte.

Er beugte sich zu ihr hinüber, schob ihr die Kapuze vom Kopf, zog den Reißverschluß auf und griff mit der Hand an ihre Brüste, ihren Bauch. Einen Augenblick lang dachte sie schreckerfüllt, daß er sie doch vergewaltigen wollte.

Aber er sagte nur: »Dieser Weingold ist Gynäkologe. Was hast du also für ein Problem? Irgendeine verdammte Geschlechtskrankheit, oder bist du schwanger?« Das Wort >Ge-schlechtskrankheit< spie er förmlich aus, als machte ihn das bloße Wort vor Ekel halb krank.

»Sie sind kein Regierungsagent.« Sie sagte es rein instinktiv.

»Ich hab' dich was gefragt, du Schlampe«, sagte er mit einer Stimme, die kaum lauter war als ein Wispern. Er beugte sich dicht zu ihr hinüber und bohrte ihr wieder den Lauf in die Seite. Die Luft im Wagen war stickig und feucht. Das sie umgebende Prasseln des Regens erzeugte im Verein mit der Feuchtigkeit in dem engen Raum eine fast unerträgliche beengende Atmosphäre. »Also, was ist?« fragte er. »Hast du Herpes, Syphilis, Tripper oder irgendeine andere Fäulnis? Oder bist du schwanger?«

Da sie glaubte, daß die Schwangerschaft ihr vielleicht Rettung vor seiner Gewalttätigkeit brachte, sagte sie: »Ich bekomme ein Baby. Ich bin im dritten Monat schwanger.«

Etwas geschah mit seinen Augen. Es war, wie wenn ein Hebel umgelegt wurde. Oder eine Bewegung in einem zarten Kaleidoskopmuster aus Glasstücken in derselben Schattierung von Grün.

Nora wußte: Indem sie ihre Schwangerschaft zugegeben hatte, hatte sie das Allerschlimmste getan, das sie hatte tun können. Aber warum das so war, wußte sie nicht.

Sie dachte an die .38er-Pistole im Handschuhfach. Sie würde unmöglich den Handschuhkasten öffnen, sich die Waffe schnappen und ihn erschießen können, ehe er den Abzug seines Revolvers betätigte. Trotzdem würde sie dauernd wachsam bleiben, um eine Gelegenheit zu erspähen, ein kurzes Erlahmen seiner Aufmerksamkeit, das ihr die Chance bot, sich ihre Waffe zu holen.

Plötzlich war er über ihr, und wieder glaubte sie, er werde sie am hellichten Tage vergewaltigen, wohl im Schutz des Regens, aber immerhin am hellichten Tage. Dann begriff sie, daß er nur mit ihr den Platz wechselte, sie hinters Steuer zwang, während er den Beifahrersitz einnahm, wobei er die ganze Zeit den Lauf seiner Waffe auf sie gerichtet hielt.

»Fahr zu!« sagte er.

»Wohin?«

»Dorthin, wo du wohnst.«

»Aber...«

»Halt den Mund und fahr!«

Jetzt befand sie sich auf der dem Handschuhfach entfernten Seite. Um an dieses heranzukommen, würde sie über ihn hin-weggrcifen müssen. So unaufmerksam würde er nie sein.

Fest entschlossen, ihre galoppierende Furcht im Zaum zu halten, erkannte sie, daß sie gleichzeitig verhindern mußte, total durchzudrehen.

Sie ließ den Motor an, fuhr aus dem Parkplatz heraus und bog auf der Straße nach rechts.

Das hämmernde Klatschen der Scheibenwischer war fast ebenso laut wie ihr Herzschlag. Sie wußte nicht, wieviel von dem erdrückenden Geräusch vom Regen herrührte und wieviel vom Dröhnen des Blutes in ihren Ohren.

Straße nach Straße hielt Nora nach einem Polizisten Ausschau - obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie tun würde, falls sie einen entdeckte. Aber sie brauchte das nicht zu Ende zu denken, denn nirgends waren Polizisten zu sehen.

Bis sie Carmel hinter sich gelassen und die Pacific Coast Highway erreicht hatten, trieb der Wind nicht nur den Regen gegen die Windschutzscheibe, sondern immer wieder Zypressen- und Fichtennadeln von den riesigen alten Bäumen, die die Straßen der Stadt schützten. Als sie später in südlicher Richtung an der Küste entlang durch weniger dicht besiedelte Gegenden fuhren, gab es keine Bäume mehr, deren Äste über die Straße hingen; dafür traf der Wind, der vom Meer hereinwehte, den Pick-up mit voller Gewalt. Nora spürte einige Male, wie er am Steuer riß. Der Regen, der jetzt direkt vom Meer hereinpeitschte, schlug so hart auf dem Wagen auf, daß sie glaubte, er müsse Beulen im Blech hinterlassen.

Nach wenigstens fünf Minuten des Schweigens, die ihr wie eine Stunde vorkamen, war sie nicht länger fähig, seinem Befehl zu gehorchen und den Mund zu halten. »Wie haben Sie uns gefunden?«

»Ich habe euer Haus mehr als einen Tag lang beobachtet«, sagte er mit jener kalten, ruhigen Stimme, die so gut zu dem ausdruckslosen Gesicht paßte. »Als du heute morgen wegfuhrst, bin ich dir gefolgt, weil ich hoffte, du würdest mir eine Chance geben.«

»Nein, ich meine, wie haben Sie erfahren, wo wir wohnen?« Er lächelte. »Van Dyne.«

»Dieser schmierige Verräter.«

»Besondere Umstände«, versicherte er ihr. »Der große Mann in San Francisco war mir einen Gefallen schuldig, also hat er Van Dyne unter Druck gesetzt.«

»Der große Mann?«

»Tetragna.«

»Wer ist das?«

»Du weißt wohl überhaupt nichts, wie?« sagte er. »Bloß wie man Babys macht, hm? Das weißt du, stimmt's?«

Im harten, höhnischen Klang seiner Stimme gab es nicht nur sexuelle Untertöne: Es war düsterer, fremdartiger, erschreckender. Sie hatte solche Angst vor der Spannung, die sie jedesmal in ihm fühlte, wenn er auf das Thema Sex kam, daß sie nicht wagte, ihm Antwort zu geben.

Vor ihnen hatte sich jetzt dünner Nebel aufgebaut, und sie schaltete die Schweinwerfer ein. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt jetzt der vom Regen gepeitschten Straße, und sie spähte mit zusammengekniffenen Augen durch die schmierige Windschutzscheibe.

»Du bist sehr hübsch«, sagte er. »Wenn ich ihn irgendwo reinstecken wollte, dann bei dir.«

Nora biß sich auf die Unterlippe.

»Aber so hübsch du bist«, fuhr er fort, »du bist wie alle anderen, wette ich. Wenn ich ihn dir reinstecke, wird er mir verfaulen und abfallen, weil du krank bist wie alle anderen -oder? Jaah. Du bist es. Sex ist tot. Ich gehöre anscheinend zu den wenigen, die das wissen, obwohl es überall Beweise gibt. Sex ist tot. Aber du bist sehr hübsch ...«

Sie spürte, wie sich ihre Kehle verengte. Es fiel ihr schwer, tief Atem zu holen.

Plötzlich war seine Schweigsamkeit wie verflogen. Er redete schnell, immer noch mit weicher Stimme und entnervend ruhig - wenn man bedachte, wie verrückt es war, was er sagte -, aber sehr schnelclass="underline" »Ich werde größer sein als Tetragna, und bedeutender. Ich habe Dutzende von Leben in mir. Ich habe von mehr Leuten Energie in mich aufgenommen, als du dir vorstellen kannst. Ich habe den großen Augenblick erlebt, erlebt, wie es sssnappp macht. Das ist mein Talent. Wenn Tetragna tot ist und weg, dann werde ich noch da sein. Wenn alle tot sind, die jetzt leben, werde ich immer noch da sein, weil ich unsterblich bin.«

Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Er war aus dem Nichts aufgetaucht, wußte irgendwie über Einstein Bescheid und war wahnsinnig, und es schien nichts zu geben, was sie tun konnte. Das war unfair, und ihr Zorn darüber war ebenso groß wie ihre Angst. Sie hatten sich so sorgfältig auf den Outsider vorbereitet, hatten alle möglichen Vorkehrungen getroffen, um sich dem Zugriff der Regierung zu entziehen - wie aber hätten sie sich darauf vorbereiten sollen? Es war einfach nicht fair.