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Wieder verstummt, starrte er sie eine Minute lang, vielleicht auch länger, eindringlich an - eine weitere Ewigkeit. Sie spürte den Blick seiner eisiggrünen Augen körperlich, wie sie das Streichen einer eiskalten Hand auf ihrer Haut gespürt hätte.

»Du weißt nicht, wovon ich rede, nicht wahr?« sagte er. »Nein.«

Weil er sie hübsch fand, beschloß er, es ihr zu erklären. »Ich habe es bis jetzt nur einem Menschen gesagt, und der hat sich über mich lustig gemacht. Er hieß Danny Slowicz, und wir haben beide für die Carramazza-Familie in New York gearbeitet, die größte der fünf Mafia-Familien. Ein bißchen Muskelarbeit

- hier und da Leute umgebracht, die umgebracht werden mußten.«

Nora spürte die Übelkeit in sich aufsteigen, weil er nicht nur verrückt, nicht nur ein Killer war, sondern auch noch ein verrückter professioneller Killer.

Er merkte ihre Reaktion nicht, sein Blick wanderte von der regengepeitschten Straße zu ihrem Gesicht, und er fuhr fort. »Siehst du, wir waren beim Abendessen in diesem Restaurant, Danny und ich, und spülten unsere Muscheln mit Valpolicella runter, und ich erklärte ihm, daß mir bestimmt sei, lange zu leben, weil ich die Fähigkeit besaß, die Lebensenergien der Leute, die ich erledigte, in mich aufzunehmen. Ich hab' zu ihm gesagt: >Sieh mal, Danny, die Leute sind wie Batterien, wie lebende Batterien, angefüllt mit dieser geheimnisvollen Energie, die wir Leben nennen. Wenn ich einen allemache, dann wird seine Energie meine Energie, und ich werde stärker. Ich bin ein Bulle. >Danny<, sag' ich, >schau mich an - bin ich ein Bulle oder nicht? Und ich muß ein Bulle sein, weil ich dieses Talent besitze, die Energie anderer in mich aufzunehmen. < Und weißt du, was Danny darauf sagt?«

»Was?« fragte sie benommen.

»Nun, Danny hat immer großen Wert auf das Essen gelegt, also schaut er nicht von seinem Teller hoch, das Gesicht in seinem Fraß, bis er noch ein paar Muscheln weggeputzt hat. Und dann schaut er auf, während ihm die Muschelsoße von den Lippen und vom Kinn tropft, und sagt: >Ja, Vince, wo hast du dann diesen Trick gelernt, hm? Wo hast du gelernt, wie man Lebensenergie in sich aufnimmt?< Und ich sag' drauf: »Nun, das ist mein Talent.< Und er: >Du meinst, wie vom Herrgott?< Darüber muß ich nachdenken, und dann sag' ich: >Wer weiß, woher es kommt? Es ist einfach mein Talent, so wie Sinatras Stimme ein Talent ist.< Und Danny sagt: >Sag mal - angenommen, du erledigst einen Typen, der Elektriker ist. Nachdem du seine Energie in dich aufgenommen hast - weißt du dann plötzlich, wie man die Leitungen in einem Haus neu verlegt?< Ich bemerke immer noch nicht, daß er sich über mich lustig macht. Ich denk, es ist eine ernste Frage, also erklär' ich ihm, wie ich Lebensenergie aufnehme, nicht die Person und nicht all das, was der Bursche im Hirn hat - bloß seine Energie.

Und dann sagt Danny: >Wenn du also so 'nen Knaben vom Jahrmarkt wegbläst, dann heißt das nicht, daß du plötzlich den Drang verspürst, Hühnern die Köpfe abzubeißcn?< Und in dem Augenblick hab' ich gewußt, daß Danny dachte, ich war' entweder besoffen oder verrückt. Also aß ich meine Muscheln auf und redete nicht mehr über meine Gabe. Und das war das letzte Mal, daß ich jemandem davon erzählte, bis ich es jetzt dir erzählt habe.«

Er hatte sich selbst Vince genannt, also kannte sie jetzt seinen Namen: Welchen Nutzen das bringen würde, war nicht abzusehen.

Er hatte ihr seine Geschichte erzählt ohne jedes Anzeichen dafür, daß ihm der schwarze Humor daran bewußt war. Er war ein tödlich ernster Mann. Wenn Travis nicht mit ihm fertig wurde, würde dieser Bursche sie nicht am Leben lassen.

»Also«, fuhr Vince fort, »konnte ich natürlich nicht riskieren, daß Danny herumlief und irgendeinem erzählte, was ich ihm erzählt hatte, weil er es verdrehen würde, es irgendwie komisch hinstellen würde, und dann hätten die Leute gedacht, ich bin verrückt. Die großen Bosse stellen keine Verrückten ein - die wollen coole, logische, ausgeglichene Typen, die saubere Arbeit tun. Und das bin ich auch: cool und ausgeglichen. Aber Danny wollte, daß sie anders dachten. Also hab' ich ihm in jener Nacht die Kehle aufgeschlitzt, ihn zu einer verlassenen Fabrik gebracht, die ich kannte, ihn in Stücke geschnitten und in einen Tank gelegt und eine Menge Schwefelsäure über ihn geschüttet. Er war ein Lieblingsneffe des Don, also konnte ich nicht riskieren, daß jemand eine Leiche fand, die man vielleicht zu mir zurückverfolgen konnte. Und jetzt hab' ich Dannys Energie in mir, und die von vielen anderen auch.«

Die Waffe war im Handschuhfach.

Daß sie das wußte, war ein Quentchen Hoffnung.

Während Nora fort war, um Dr. Weingold aufzusuchen, raffte sich Travis dazu auf, zwei Bleche Schokoladenplätzchen mit Erdnußbutter zu backen. Weil er allein gelebt hatte, hatte er Kochen gelernt, aber Freude hatte es ihm nie bereitet. Doch in den letzten Monaten hatte Nora seine kulinarischen Fähigkeiten so weit verbessert, daß das Kochen ihm jetzt Freude machte, ganz besonders das Backen.

Einstein, der sich gewöhnlich pflichtschuldig in seiner Nähe aufhielt, wenn gebacken wurde, in der Erwartung, ein paar Leckerbissen abzubekommen, verließ ihn, ehe er mit dem Teig fertig war. Der Hund war unruhig, lief von Fenster zu Fenster und starrte immer wieder in den Regen hinaus.

Nach einer Weile steckte die Unruhe des Hundes Travis an, und er fragte, ob etwas nicht in Ordnung sei.

Einstein lieferte ihm seine Antwort in der Kammer.

FÜHLE MICH EIGENARTIG.

»Krank?« fragte Travis, besorgt, daß sich vielleicht ein Rückfall eingestellt habe. Der Retriever war dabei, sich zu erholen, aber noch nicht wieder ganz hergestellt. Sein Immunsystem war einer größeren neuen Belastung nicht gewachsen.

NICHT KRANK.

»Was dann? Fühlst du den Outsider?«

NEIN. ANDERS.

»Aber du fühlst etwas?«

SCHLECHTER TAG.

»Vielleicht ist es der Regen.«

VIELLEICHT.

Erleichtert, aber dennoch beunruhigt, wandte Travis sich wieder seinem Teig zu.

Die Fahrbahn war silbrig vom Regen.

Je weiter sie entlang der Küste nach Süden kamen, desto dichter wurde der Nebel und zwang Nora damit, ihr Tempo auf sechzig Stundenkilometer zu verringern, an manchen Stellen sogar auf weniger als fünfzig.

Wenn sie den Nebel als Vorwand benutzte und langsam fuhr, konnte sie es dann riskieren, ihre Tür aufzureißen und hinauszuspringen? Nein. Wahrscheinlich nicht. Sie würde die Geschwindigkeit auf unter zehn Stundenkilometer reduzieren müssen, um sich oder ihr ungeborenes Kind nicht zu verletzen, und der Nebel war einfach nicht dicht genug, um ein derart langsames Tempo zu rechtfertigen. Außerdem hielt Vince die ganze Zeit, auch während er redete, den Revolver auf sie gerichtet und würde sie sofort in den Rücken schießen, wenn sie sich herumdrehte, um rauszuspringen.

Die Lichtbalkcn der Frontlichter des Pick-up und auch die der wenigen entgegenkommenden Fahrzeuge wurden vom Nebel gebrochen. Immer wieder prallte ein Kreis aus Licht und flimmernden Regenbögen gegen die dahinziehenden Nebelvorhänge, wurde kurz sichtbar und war dann verschwunden.

Sie überlegte, den Wagen von der Straße zu steuern, an einer der wenigen Stellen, wo sie wußte, daß die Böschung sanft abfiel und der Aufprall erträglich sein würde. Aber sie hatte Angst, sie könnte es an der falschen Stelle tun und dann über den Steilabfall in sechzig Meter Leere stürzen und mit höchster Wucht auf der Felsküste unten aufprallen. Und selbst wenn sie an der richtigen Stelle über den Rand fuhr, konnte ein berechenbarer und daher überlebbarer Sturz sie bewußtlos machen oder zu einer Fehlgeburt führen. Und sie wollte doch, wenn möglich, daß sie das hier lebend überstand, sie und das Kind, das sie in sich trug.