Cliff Soames schien das etwas seltsam, aber er behielt seine Einwände für sich.
Lem erklärte, Travis Cornell sei ein ehemaliger Angehöriger von Delta, verfüge daher über beträchtliche Nahkampferfahrung, und es sei deshalb notwendig, vorsichtig mit ihm umzugehen. »Wenn wir angestürmt kommen, weiß er, sobald er uns sieht, wer wir sind, und könnte gewalttätig reagieren. Wenn ich allein hineingehe, kann ich ihn dazu bringen, mit mir zu sprechen, und vielleicht schaffe ich es, ihn zum Aufgeben zu überreden.«
Das war eine recht fadenscheinige Erklärung für ein so unorthodoxes Vorgehen und reichte nicht, Cliffs Stirnrunzeln zu vertreiben.
Lem waren Cliffs Stirnfalten gleichgültig. Er fuhr allein hin und parkte vor dem Haus.
Vögel sangen in den Bäumen. Der Winter hatte für kurze Zeit seine Macht über den nördlichen Küstenbereich Kaliforniens aufgegeben, und es war warm.
Lem stieg die Verandatreppe hinauf und klopfte.
Travis Cornell kam an die Tür und starrte ihn durch das Gitter der Tür an, ehe er sagte: »Mr. Johnson, nehme ich an.« »Woher... o ja, natürlich - Garrison Dilworth hat Ihnen ohne Zweifel von mir erzählt, als er seinen Anruf durchbekam.«
Zu Lems Überraschung öffnete Cornell die Tür. »Sie können gerne reinkommen.«
Cornell trug ein ärmelloses T-Shirt, allem Anschein nach wegen eines umfangreichen Verbandes, der den größten Teil seiner rechten Schulter bedeckte. Er führte Lem durch einen Vorraum in die Küche, wo seine Frau am Tisch saß und Äpfel schälte.
»Mr. Johnson«, sagte sie.
Lem lächelte und meinte: »Wie ich sehe, bin ich weithin bekannt.«
Cornell setzte sich an den Tisch und griff nach einer Tasse Kaffee. Lem bot er keinen Kaffee an.
Lem stand einen Augenblick lang verlegen da und setzte sich schließlich zu ihnen. Dann meinte er: »Nun, das war ja unvermeidbar, wissen Sie? Über kurz oder lang mußten wir Sie finden.«
Sie schälte Äpfel und sagte nichts. Ihr Mann staute in seinen Kaffee.
Was stimmt mit denen nicht? fragte sich Lem.
Das glich nicht im entferntesten einer jener Szenen, wie er sie sich vorgestellt hatte.
Er war auf Panik vorbereitet gewesen, auf Zorn, auf Niedergeschlagenheit und vieles andere, aber nicht auf diese eigenartige Teilnahmslosigkeit. Es schien ihnen überhaupt nichts auszumachen, daß er sie endlich doch aufgespürt hatte. »Interessiert es Sie nicht, wie wir Sie ausfindig gemacht haben?« fragte er.
Die Frau schüttelte den Kopf.
Cornell meinte: »Wenn Sie es uns wirklich sagen wollen, schön, dann machen Sie sich den Spaß.«
Lem runzelte verwirrt die Stirn und meinte: »Nun, eigentlich war es ganz einfach. Wir wußten, daß Mr. Dilworth Sie aus irgendeinem Haus oder Geschäftslokal einige Blocks entfernt von dem Park nördlich des Hafens angerufen haben muß. Also haben wir unsere Computer mit den Aufzeichnungen der Telefongesellschaft verkoppelt - mit deren Erlaubnis natürlich - und Leute darangesetzt, sämtliche Femgespräche zu überprüfen, die in jener Nacht von allen Nummern im Umkreis des Parks geführt wurden. Das brachte nichts ein. Aber dann fiel uns ein, daß im Falle eines R-Gesprächs die Gebühren nicht der Nummer angelastet werden, von der aus das Gespräch geführt wird; sie erscheint in den Aufzeichnungen der
Person, die das R-Gespräch annimmt - und das waren Sie. Aber außerdem taucht sie auch noch in einer besonderen Registratur der Telefongesellschaft auf, damit sie das Gespräch bestätigen können, falls die Person, die das R-Gespräch angenommen hat, später die Zahlung ablehnt. Diese besondere Registratur, die übrigens sehr klein ist, haben wir durchsucht und dabei schnell ein Gespräch gefunden, das von einem Haus nördlich des Strandparks mit Ihrer Nummer hier geführt wurde. Als wir diese Adresse aufsuchten und mit den Leuten redeten - Essenby heißt die Familie -, kamen wir auf einen jungen Mann namens Tommy und konnten, auch wenn es einige Zeit in Anspruch nahm, herausbekommen, daß Dilworth tatsächlich ihr Telefon benutzt hatte. Der erste Teil war schrecklich zeitraubend, er hat Wochen und Wochen in Anspruch genommen. Aber dann ... Kinderspiel.«
»Wollen Sie jetzt einen Orden - oder was?« fragte Cornell.
Die Frau griff nach einem weiteren Apfel, viertelte ihn und begann ihn zu schälen.
Sie machten es ihm nicht leicht - aber seine Absichten waren auch ganz andere als die, die sie vermutlich erwarteten. Man konnte sie nicht dafür kritisieren, daß sie kühl blieben, wo sie doch nicht wußten, daß er als Freund gekommen war.
Er sagte: »Hören Sie, ich habe meine Leute unten am Highway gelassen. Ich hab' ihnen gesagt. Sie könnten vielleicht in Panik geraten, etwas Dummes tun, wenn Sie uns als Gruppe kommen sähen. Aber in Wirklichkeit bin ich gekommen, um ... Ihnen ein Angebot zu machen.«
Jetzt sahen ihn beide plötzlich interessiert an.
»Ich gebe diesen gottverdammten Job im Frühling auf«, fuhr er fort. »Warum ich das tue ... brauchen Sie nicht zu wissen, es geht Sie auch nichts an. Sagen wir einfach, daß ich eine Wandlung durchgemacht habe, daß ich gelernt habe, mit einem Mißerfolg zu leben, und jetzt macht mir so was keine Angst mehr.« Er seufzte und zuckte die Achseln. »Jedenfalls gehört der Hund nicht in einen Käfig. Mir ist es scheißegal, was die sagen und was die wollen - ich weiß, was richtig ist. Ich weiß, wie es ist, wenn man in einem Käfig steckt. Ich war den größten Teil meines Lebens in einem, bis vor ganz kurzer Zeit. Der Hund soll nicht wieder dahin zurück. Was ich vorschlagen werde, ist, daß Sie ihn jetzt von hier .wegschaffen. Mr. Cornell, ihn durch den Wald bringen und irgendwo lassen, wo er in Sicherheit ist, dann zurückkommen und es hinter sich bringen. Sagen Sie, der Hund wäre vor ein paar Monaten weggelaufen, und Sie glaubten, daß er jetzt tot sein müsse oder in der Hand von Leuten, die sich gut um ihn kümmerten. Dann ist da immer noch das Problem des Outsiders, von dem Sie sicherlich auch wissen. Aber Sie und ich könnten uns ja überlegen, wie wir das angehen. Ich werde Männer anstellen, um Sie zu überwachen, aber nach ein paar Wochen ziehe ich die wieder ab und sage, das ganze hätte keinen Sinn ;.. « Cornell stand auf und trat neben Lems Stuhl. Mit der linken Hand packte er ihn am Hemd und zog ihn in die Höhe. »Sie kommen sechzehn Tage zu spät, Sie Dreckskerl.«
»Was meinen Sie damit?«
»Der Hund ist tot. Der Outsider hat ihn getötet. Und ich habe den Outsider getötet.«
Die Frau legte ihr Schälmesser und ein Stück Apfel weg. Sie barg das Gesicht in den Händen, bewegte sich im Stuhl nach vorne und fing zu schluchzen an.
»O Jesus!« sagte Lem.
Cornell ließ ihn los. Verlegen und bedrückt zog Lem sich die Krawatte zurecht und glättete die Falten in seinem Hemd. Dann blickte er auf sein Hose hinab - und wischte auch die ab.
»O Jesus!«
Cornell war bereit, sie zu der Stelle im Wald zu führen, wo er den Outsider begraben hatte.
Lems Leute gruben ihn aus. Das Mißgeschöpf lag in Plastikbahnen gewickelt vor ihnen, aber sie brauchten die Hüllen nicht zu entfernen, um zu wissen, daß sie Yarbecks Outsider vor sich hatten.
Seit das Ding erschossen worden war, war kaltes Wetter gewesen, trotzdem stank es bereits.
Cornell wollte ihnen nicht sagen, wo er den Hund begraben hatte. »Er hatte nie die Chance, in Frieden zu leben«, erklärte er mürrisch. »Aber jetzt wird er, weiß Gott, in Frieden ruhen. Niemand wird ihn auf einen Autopsietisch legen und in Stük-ke schneiden. Kommt nicht in Frage.«
»In Fällen, wo es um die nationale Sicherheit geht, kann man Sie zwingen ... «
»Lassen Sie sie ruhig«, sagte Cornell. »Wenn die mich vor einen Richter zerren und dort aus mir rauspressen wollen, wo ich Einstein begraben habe, dann erfährt die Presse von mir die ganze Geschichte. Aber wenn sie Einstein in Frieden lassen und mich und die meinen auch, dann halte ich den Mund. Ich habe nicht vor, nach Santa Barbara zurückzugehen und dort wieder als Travis Cornell anzufangen. Ich bin jetzt Hyatt und werde es auch bleiben. Mein altes Leben ist für immer vorbei. Es gibt keinen Grund, zurückzugehen. Und wenn die Regierung schlau ist, dann läßt sie mich Hyatt sein und kommt mir nicht in die Quere.«