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Argow richtete seine eulenhaft funkelnden Augen auf den Bildschirm. Eine limonengrüne Ebene mit massigen, rötlichen Bergen. »Äh… ja, das habe ich schon mal gesehen. Das ist… äh…«

»Das ist eine algorithmische Landschaft«, sagte Audrey mit Nachdruck. »Eine Visualisierungskarte.«

»Ich habe das Programm soeben von Leon Sosik erhalten«, sagte Oscar. »Das ist Sosiks Simulationskarte für aktuelle Themen. Die Berge und Täler stellen die gegenwärtigen politischen Trends dar. Die Presseberichterstattung, das Feedback der Wählerschaft, das Spendenaufkommen der Lobby, Dutzende von Faktoren, die Sosik in den Simulator eingespeist hat… Aber schauen Sie her. Ich vergrößere mal diesen Bereich… Sehen Sie die große gelbe Amöbe, die auf dem purpurfarbenen Flecken sitzt? Das ist die gegenwärtige Position, die Senator Alcott Bambakias in der Öffentlichkeit einnimmt.«

»Was?«, sagte Argow skeptisch. »Es geht schon bergab mit ihm?«

»Nein, nicht mehr. Er bewegt sich vielmehr bergauf.« Oscar klickte zweimal. »Dieser khakifarbene Höhenzug steht für militärische Angelegenheiten… Jetzt gehe ich in der Simulation mal zwei Wochen zurück und lasse sie bis zu Bambakias’ Pressekonferenz von heute morgen laufen… Sehen Sie, wie er das Thema quasi durchdringt und dann auf einmal einen Satz nach vorn macht?«

»Wow!« machte Audrey. »Raffinierte altmodische Computergrafiken mochte ich schon immer.«

»Das ist doch Mist«, grummelte Argow. »Diese hübsche Simulation bedeutet noch lange nicht, dass Sie Einblick in die politischen Realitäten haben. Oder in irgendeine Realität.«

»Okay, das ist nicht die Realität. Das weiß ich, das ist mir klar. Aber wenn es nun doch funktioniert?«

»Na ja«, meinte Argow nachdenklich, »selbst das hilft uns nicht viel weiter. Das ist das Gleiche wie mit der Aktienanalyse. Selbst wenn man eine funktionierende Charttechnik hat, so ist der Vorteil doch nur von kurzer Dauer. Schon bald haben alle die gleichen Analysetools, und dann wirkt sich der Vorteil nicht mehr aus. Man steht wieder am Anfang. Bloß dass jetzt alles viel, viel komplizierter geworden ist.«

»Danke für die Ausführungen, Bob. Ich werde mich bemühen, mir das zu merken.« Oscar zögerte. »Audrey, was glauben Sie, warum Leon Sosik mir das Programm geschickt hat?«

»Vermutlich wollte er sich dafür erkenntlich zeigen, dass Sie ihm per Luftfracht den Binturong geschickt haben«, sagte Audrey.

»Vielleicht hat er gedacht, er könnte Sie damit beeindrucken«, meinte Argow. »Oder aber er ist so alt und daneben, dass er das Zeug wirklich für neu hält.«

Oscar schaute vom Bildschirm hoch. Die neun Leute auf dem Podium waren plötzlich verstummt. Sie sahen ihn an.

Der Direktor und dessen neun Funktionäre machten vorübergehend den Eindruck, als stünden sie unter einem Bann. Im Scheinwerferlicht wirkten sie wie einem Gemälde von Rembrandt entsprungen. Oscar kannte sie alle dem Namen nach – Oscar vergaß nie einen Namen –, doch einstweilen hatte er die neun Funktionäre unter den Bezeichnungen ›Verwaltung‹, ›Datenverarbeitung und Kommunikation‹, ›Verträge und Beschaffung‹, ›Finanzdienstleistungen‹, ›Personal‹, ›Informationsgenetik‹, ›Ausrüstung‹ und ›Biomedizin‹ abgespeichert. Dazu kam noch der alberne Gauner von der Abteilung für Arbeitsschutz und Sicherheit mit dem Bürstenschnitt. Jetzt hatten sie ihn bemerkt und – dies wurde Oscar auf einen Schlag klar – fürchteten sich vor ihm.

Sie wussten, dass er die Macht hatte, ihnen zu schaden. Er war in ihren Elfenbeinturm eingedrungen und beurteilte ihre Arbeit. Er kam von draußen, er schuldete ihnen nichts, und sie alle waren schuldig.

Oscar hatten die Blicke von Fremden noch nie etwas ausgemacht. Seine Eltern waren berühmt gewesen. Aufmerksamkeit sprach etwas in Oscar an, eine tief verborgene, dunkle psychische Wesenheit. Von Natur aus war er nicht grausam – doch er wusste, dass es Momente im Spiel gab, da direkte, ursprüngliche Einschüchterung gefordert war. Einer dieser Momente war jetzt gekommen. Oscar schaute vom Bildschirm hoch und bedachte die Leute auf dem Podium mit seinem tödlichen Ich-weiß-alles-Blick.

Der Direktor zuckte zusammen. Er tastete nach der Tagesordnung und ging zum drängenden Thema der Qualitätssicherung in der Abteilung für Technologietransfer über.

»Oscar«, flüsterte Audrey.

Oscar lehnte sich beiläufig zu ihr hinüber. »Ja?«

»Was geht hier vor? Weshalb starrt Greta Penninger Sie so an?«

Oscar blickte wieder zum Podium. Es war ihm noch gar nicht aufgefallen, dass ihn die ›Abteilung für Ausrüstung‹ anstarrte, doch es stimmte. Alle hatten ihn angestarrt, Greta Penninger aber hatte nicht damit aufgehört. Ihr blasses, schmales Gesicht wirkte geistesabwesend und eindringlich, wie das einer Frau, die eine Wespe am Fenster beobachtet.

Oscar erwiderte ernst Dr. Greta Penningers Blick. Ihre Blicke trafen sich. Dr. Penninger, die ihr dunkles Haar als Pferdeschwanz trug, kaute nachdenklich am Ende eines Bleistifts, das gelbe Holz mit spinnenartigen Chirurgenfingern umklammernd, deren Knöchel blau hervortraten. Sie schien fünf Meilen weit durch ihn hindurchzusehen. Nach einer Weile klemmte sie sich den Bleistift hinters Ohr und richtete ihren klaren Blick wieder auf ihren großen Notizblock.

»Greta Penninger«, sagte Oscar versonnen.

»Die langweilt sich wirklich«, meinte Argow.

»Finden Sie?«

»Ja. Die ist nämlich mit Haut und Haar Wissenschaftlerin. Sie ist berühmt. Diese Verwaltungsscheiße langweilt sie zu Tode. Mich langweilt sie auch zu Tode, und dabei arbeite ich nicht mal hier.«

Audrey zauberte rasch Greta Penningers Akte auf den Laptop. »Ich glaube, die mag Sie.«

»Wie kommen Sie darauf?« fragte Oscar.

»Sie sieht ständig zu Ihnen her und nestelt an ihrem Haar herum. Ich glaube, sie hat sich auch einmal die Lippen geleckt.«

Oscar lachte leise auf.

»Hören Sie, ich mache keine Witze. Sie ist ledig, und Sie sind neu hier. Warum sollte sie sich nicht für Sie interessieren? Mir ginge es genauso.« Audrey klickte sich tiefer in den Oppo-File hinein. »Sie ist erst sechsunddreißig, wissen Sie. Sieht nicht übel aus.«

»Sie sieht übel aus«, versicherte ihr Argow. »Schlimmer als du meinst.«

»Nein, wenn sie sich ein wenig Mühe geben würde, wäre sie okay. Ihr Gesicht ist ein wenig schief, und sie vernachlässigt ihr Haar«, konstatierte Audrey unbarmherzig. »Aber sie ist groß und schlank. Sie könnte sich hübsch kleiden. Donna würde was aus ihr machen.«

»Ich glaube, Donna hat auch so schon genug zu tun«, wandte Argow ein.

»Danke, ich habe schon eine Freundin«, sagte Oscar. »Aber da Sie schon mal den Bildschirm hochgeklappt haben; was macht Dr. Penninger eigentlich so?«

»Sie ist Neurologin. Systemische Veterinärneurologin. Sie hat mal einen hoch dotierten Preis bekommen für eine Arbeit mit dem Titel ›Radiobindende Pharmacokinetik‹.«

»Dann arbeitet sie also immer noch in der Forschung?« fragte Oscar. »Seit wann ist sie in der Verwaltung tätig?«

»Ich sehe mal nach«, meinte Audrey und machte ein paar Eingaben. »Sie arbeitet jetzt seit sechs Jahren in Buna… Sechs Jahre an diesem Ort, man glaubt es kaum. Kein Wunder, dass sie so zappelig wirkt… Offenbar leitet sie die Ausrüstungsabteilung seit vier Monaten.«

»Sie langweilt sich wirklich«, sagte Oscar. »Ihre Arbeit langweilt sie. Das ist sehr interessant. Notieren Sie das, Audrey.«

»Wirklich?«

»Ja. Gehen wir essen.«

Oscar hatte einen Busausflug arrangiert, ein Picknick für einen Teil seiner Mannschaft. Dies diente dazu, die fadenscheinige Fiktion aufrecht zu erhalten, sie seien ›im Urlaub‹, außerdem befreite es sie vorübergehend aus dem dichten Überwachungsnetz und half ihnen, zumindest zeitweise den psychischen Druck der Laborkuppel abzulegen.