Der Präsident holte tief Luft. »Weil die Spin-offs ihrer Forschung den amerikanischen Kapitalismus aufgebaut und anschließend ruiniert haben, weil sie den Meeresspiegel haben ansteigen lassen, den Boden vergiftet, die Ozonschicht zerstört, Radioaktivität freigesetzt, den Himmel mit Kondensstreifen und den Boden mit Beton versiegelt haben, weil sie für die Überbevölkerung, den Reproduktionskollaps und das Feuer in Wyoming verantwortlich sind… Nein, es ist sogar noch schlimmer. Noch viel, viel schlimmer. Jetzt liegen unsere Gehirne wie eine jungfräuliche Neue Welt offen vor ihnen ausgebreitet, und jeder einzelne Mensch ist ein Hinterweltler, ein unzivilisierter Indianer. Irgend jemand muss sich ernsthaft mit diesen Leuten befassen. Und ich finde, Sie sind genau der Richtige dafür.«
»Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen, Sir.«
»Die haben keine Ahnung von den politischen Realitäten, aber wenn man nichts unternimmt, werden sie der Willkür Tür und Tor öffnen. Ich meine: man muss subtil vorgehen. Ihnen eine attraktive Perspektive eröffnen, damit sie sich weniger wie Dr. Frankenstein und mehr wie Künstler verhalten. Moderne Poesie, das wäre ausgezeichnet. Kostet so gut wie nichts, bewirkt hohe Erregung in sehr kleinen Gruppen, hat absolut keine sozialen Auswirkungen. Also, ich denke an die Mathematik. Nichts Praktisches, völlig abgehoben und abstrakt.«
»Der abstrakten Mathematik kann man nicht trauen, Sir; sie hat bisher noch immer zu praktischen Anwendungen geführt.«
»Dann Computersimulation. Äußerst zeitaufwändige, komplizierte, detailreiche Simulationen, die in der Realität niemandem schaden können.«
»Ich glaube, das wäre schon eher geeignet, das von Ihnen gewünschte Ergebnis zu erzielen, Sir, aber offen gesagt nimmt kein Wissenschaftler die Cybernetik mehr ernst. Dieser Forschungspfad ist völlig ausgelatscht, das ist ein alter Hut. Selbst die Bioforschung und die Genetik sind mittlerweile weitgehend ausgereizt. Jetzt geht es um die Hirnforschung, Sir. Das ist das Einzige, was ihnen noch bleibt.«
»Sie haben darunter zu leiden gehabt. Vielleicht könnten Sie sie überreden, etwas Netteres auszuprobieren. Etwas Phantastischeres.«
»Mr. President, da wäre noch etwas. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, erwarten Sie von mir, dass ich sie infiltriere und verrate?«
»Oscar, ich bitte Sie, Politiker zu sein. Es ist nicht Ihr Job, der Willkür Tür und Tor zu öffnen. Das gehört nicht zu Ihrem Berufsbild. Es geht um Gerechtigkeit, um Ruhe im Land und um die Steigerung des allgemeinen Wohlstands. Eine Aufgabe, an der wir Politiker eindeutig gescheitert sind. Wissen Sie was? Es ist nicht schön, einem Land dabei zuzusehen, wie es durchdreht. Aber sowas kommt vor. Das passiert bisweilen auch großen Ländern, den größten Völkern der Erde. Japan, Deutschland, Russland, China… und wir Amerikaner hatten gerade eine ganz üble Kugel im Lauf. Wir sind immer noch ganz benommen. Dabei hatten wir noch Glück. Beim nächsten Mal könnte der Schuss losgehen.«
»Sir, glauben Sie nicht, man sollte der wissenschaftlichen Gemeinde – so wie die Dinge liegen – reinen Wein einschenken? Sie besteht aus Bürgern dieses Landes, oder nicht? Das sind ziemlich helle Leute, wenn auch ein wenig engstirnig. Ich glaube nicht, dass eine Täuschungstaktik auf längere Sicht Erfolg hätte.«
»Auf längere Sicht sind wir alle tot, Oscar.«
»Mr. President, Sie bieten mir da wirklich einen Traumjob an. Ich bin mir der Bedeutung bewusst und fühle mich geehrt durch Ihr Vertrauen. Ich glaube sogar, ich wäre der geeignete Mann dafür. Aber bevor ich mich auf eine so – wie soll ich sagen? Auf eine so utilitaristische, macchiavellistische Unternehmung einlasse, möchte ich etwas von Ihnen wissen. Ich möchte, dass Sie offen zu mir sind. Werden Sie von den Niederländern bezahlt?«
»Die Niederländer haben mir nie etwas gezahlt.«
»Aber es gab eine Übereinkunft, nicht wahr?«
»Könnte man so sagen… Ich sollte Sie mal nach Colorado mitnehmen. Ich sollte Ihnen das Bauholz zeigen. Wissen Sie, seit wir amerikanische Eingeborene ins Drogen- und Casinogeschäft eingestiegen sind, haben wir kleine Gebiete dieses unseres großen Landes zurückgekauft. Überwiegend billige Gebiete, die Teile, die für kommerzielle Nutzung nicht mehr infrage kamen. Lässt man sie lange genug in Ruhe, sagen wir, sieben Generationen lang, dann erholen sie sich bisweilen wieder ein wenig. Aber es wird nie mehr so wie früher sein. Die Artenvernichtung ist unumkehrbar. Ein futuristischer Sumpf voller selbsterschaffener Monster ist wirklich nicht das Gleiche wie ein ursprüngliches Feuchtgebiet. Wir haben für billiges Geld den Büffel ausgerottet und die einheimischen Blumen, das Gras und die Urwälder, und jetzt ist das alles unwiederbringlich verloren. Und das ist schlimm. Sehr schlimm. So schlimm, dass wir es nie wieder gutmachen können. Das ist wie ein schauriges Kriegsverbrechen. Es lastet auf Amerika wie der Völkermord auf Deutschland, wie die Sklaverei auf dem Süden. Wir haben unsere Mitgeschöpfe in Spielzeuge verwandelt. Und die Niederländer haben in dieser Beziehung Recht. All die Leute, deren Häuser im Moment von Überschwemmungen bedroht sind, haben völlig Recht, moralisch, ethisch und praktisch. Ja, wir Amerikaner haben mehr Treibhausgas in die Atmosphäre entlassen als jedes andere Land der Welt. Wir sind das größte Einzelproblem. Ja, ich beabsichtige, die niederländische Politik teilweise auf dieses Land zu übertragen. Nicht alles, bloß das, was ich für vernünftig halte. Und dieser Wandel wäre niemals möglich geworden, wenn sie unser Land erobert hätten. Die einzige Möglichkeit bestand darin, die Niederlande zu erobern.«
»Dann sind Sie also wirklich ein holländischer Agent.«
»Oscar, das Land gehört uns. Sie haben kapituliert. Wir sind ein großes, allmählich ertrinkendes Land, das ein kleines, rasch ertrinkendes Land erobert hat. Das ist die Realität, das ist die Welt, in der wir leben.«
»Mr. President, ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich bin froh, dass ich die Wahrheit jetzt kenne. Es ist eine vernichtende Wahrheit, die soeben meinen ganzen Ehrgeiz zerstört hat, aber ich bin froh, dass ich jetzt Bescheid weiß. Das ist mein höchster persönlicher Wert, und den will ich nicht verraten. Ich will den Job nicht.«
»Dann werden Sie nie wieder in dieser Stadt arbeiten, mein Sohn. Dafür werde ich sorgen.«
»Das weiß ich, Mr. President. Ich danke Ihnen für Ihr freundliches Angebot.«
Der Mississippi hatte New Orleans in zwei Hälften geteilt, was den unkonventionellen Charme der Stadt aber bloß erhöht hatte. Die gespenstische Isolierung des Französischen Viertels war durch den Umstand, dass es nun eine Insel war, noch gesteigert worden; es erinnerte jetzt an Venedig, einschließlich der Gondeln.
Die offiziellen Paraden auf der Canal Street gingen gesittet vonstatten, doch auf der Bourbon Street, wo es zu spontanen Zusammenkünften kam, die keinen anderen Zweck verfolgten, als sich zu amüsieren, war es sehr laut.
Greta trat von den Fensterläden weg, deren grüne Farbe abblätterte. »Es tut so gut, hier zu sein«, sagte sie.
Oscar genoss die Mardi Gras-Feiern. Als einziger Nüchterner in einer riesigen, drängelnden Menschenmenge Betrunkener fühlte er sich wohl. Dabei sein, aber nicht ganz zugehörig. Das war das Leitmotiv seines Lebens. »Weißt du, ich hatte uns Plätze auf einem der Paradeflöße besorgen können. Wir hätten Perlen, Armreifen und Software unters Volk werfen können. Das hätte bestimmt Spaß gemacht.«
»Noblesse oblige«, murmelte sie.
»Das ist eine hiesige Teamgeschichte. Eine ganz, ganz alte Tradition. Die Tanzkarten sind seit Mitte des achtzehnten Jahrhundert für die Debütantinnen reserviert, aber man hat mir gesagt, ein Platz auf einem Floß wäre durchaus zu ergattern. Wenn man weiß, an wen man sich wenden muss.«