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Sie fuhren mit dem Wahlkampfbus zu einem Rastplatz nahe dem heruntergekommenen Nationalpark, der ›Große Wildnis‹ genannt wurde. Die Große Wildnis nahm ein erstaunlich großes Gebiet von Texas ein, das dem Ackerbau und der Besiedlung irgendwie entgangen war. Die Bezeichnung ›unberührte Wildnis‹ wäre nicht ganz zutreffend gewesen, denn die Klimaveränderungen hatten dem Park stark zugesetzt; für Besucher aus Massachusetts aber stellte das riesige Gebiet eine angenehme Abwechslung dar.

Es war bedeckt und diesig, geradezu nasskalt, aber es war angenehm, überhaupt einem Wetter ausgesetzt zu sein. Der böige Wind, der im Wildnis-Park wehte, war nicht unbedingt als ›frische Luft‹ zu bezeichnen – die Luft im Osten von Texas war nicht annähernd so frisch wie die Kunstatmosphäre im Labor –, doch sie wies eine breite Palette von Gerüchen auf, den Duft einer Welt, die von einem Horizont umgeben war. Außerdem hatten die Ausflügler Fontenots großen transportablen Gasherd mitgebracht, um sich warm zu halten. Fontenot hatte den Herd gebraucht bei einer Cajun-Metzgerei in Mamou erstanden. Der Herd bestand aus zerlegten Ölfässern, verrußten Blechverkleidungen und Propangasbrennern mit Messingdüsen. Er sah aus, als sei er von betrunkenen Mardi-Gras-Typen zusammengesetzt worden.

Es tat gut, fernab des Labors zu plaudern und ein paar Telefonate zu tätigen. Wanzen waren heutzutage billig – während Handys weniger kosteten als ein Sixpack Bier, waren Abhörvorrichtungen so billig wie Konfetti. Eine billige Wanze aber war bestimmt nicht in der Lage, Daten sechzig Meilen weit bis nach Buna zu übertragen. Und eine teure Wanze wäre Fontenots teuren Scannern nicht entgangen. Somit konnten sie sich ungestört unterhalten.

»Also, was macht das neue Haus, Jules?«

»Es wird, es wird«, antwortete Fontenot zufrieden. »Sie sollten mich mal besuchen kommen. Wir könnten eine Ausfahrt mit meinem nagelneuen Boot machen. Uns ein wenig amüsieren, wie in den guten alten Zeiten.«

»Das wäre nett«, log Oscar taktvoll.

Fontenot gab kleingehacktes Basilikum und Zwiebel in die Einbrenne, dann rührte er alles mit einem Schneebesen durcheinander. »Würde es Ihnen was ausmachen, mal die Kühlbox aufzumachen?«

Oscar erhob sich von der Box und klappte sie auf. »Was brauchen Sie?«

»Die Eischtern.«

»Wie bitte?«

»Aischtern.«

»Was

»Er meint die Austern«, erklärte Negi Estabrook.

»Ach so«, sagte Oscar. Er nahm einen eisgekühlten Beutel mit Muscheln aus der Box.

»Das Ganze wird gemischt und ordentlich heiß gemacht,« wandte Fontenot sich in seinem breitesten und ausgesprochen herrischen Cajun-Dialekt an Negi. »Noch ein Klacks von der Pfeffersoße. Den kann die Suppe noch gut vertragen.«

»Ich kann Suppe kochen, Jules«, verkündete Negi genervt. »Ich habe Ernährungswissenschaft studiert.«

»Aber nicht die Cajun-Küche, Mädel.«

»Cajun ist keine schwierige Küche«, meinte Negi geduldig. Negi war sechzig Jahre alt, und Fontenot war der Einzige in der Mannschaft, der es wagen durfte, sie ›Mädel‹ zu nennen. »Cajun ist im Grunde eine ganz altmodische französische Bauernküche. Mit viel zu viel Pfeffer. Und Schweineschmalz. Mit jeder Menge ungesundem Schweineschmalz.«

Fontenot schnitt eine Grimasse. »Habt ihr das gehört? Sie macht das absichtlich, um mich in meinen Gefühlen zu verletzen.«

Negi lachte. »Bestimmt nicht!«

»Wissen Sie«, sagte Oscar, »ich hatte neulich eine gute Idee.«

»Heraus mit der Sprache«, meinte Fontenot.

»Unsere Unterbringung im Labor ist unerträglich. Und in Buna gibt es auch nichts Gescheites. Buna ist nicht mal eine richtige Stadt; nichts als Gewächshäuser, Blumenzüchter, schmutzige kleine Hotels, ein bisschen heruntergekommene Leichtindustrie. In Buna gibt es einfach keine passende Unterbringungsmöglichkeit, wo wir Besucher empfangen könnten, zum Beispiel einen Senatsausschuss. Deshalb sollten wir unser eigenes Hotel aufmachen.«

Fred Dillen, der für Hausmeisterarbeiten und die Wäsche zuständig war, setzte sein Bier ab. »Unser eigenes Hotel?«

»Warum nicht? Wir ruhen uns jetzt seit zwei Wochen in Buna aus. Wir haben wieder Atem geschöpft. Es wird allmählich Zeit, dass wir uns reorganisieren und etwas bewirken. Wir können ein Hotel aufmachen. Das liegt eindeutig im Bereich unserer Mittel und Möglichkeiten. Schließlich war das unsere beste Wahlkampftaktik. Die anderen Kandidaten haben Versammlungen abgehalten, Fototermine veranstaltet und sich bemüht, auf die Medien einzuwirken. Alcott Bambakias aber hat eine Wahlkampfmeute zusammengebracht und für dauerhafte Unterbringung gesorgt.«

»Wollen Sie damit sagen, wir sollten ein Hotel eröffnen, um Gewinn zu machen?« fragte Fred.

»Also, vor allem zu unserer eigenen Bequemlichkeit, aber auch um des Profits wegen. Die Baupläne und die Software bekommen wir von Bambakias’ Firma. Mit den Bauarbeiten kommen wir schon klar, und was am besten ist, wir verfügen tatsächlich über die nötigen Fertigkeiten, um ein Hotel erfolgreich zu betreiben. Wenn man’s recht bedenkt, ist ein Wahlkampfbus im Grunde ein mobiles Hotel. In diesem Fall aber bleiben wir vor Ort, während die Leute zu uns kommen. Und dann werden sie uns bezahlen.«

»Mann«, sagte Fred. »Das ist wirklich um drei Ecken rum gedacht…«

»Ich halte es für machbar. Ihr könnt alle die gleiche Rolle weiterspielen, die ihr während des Wahlkampfes inne hattet. Fred, Sie kümmern sich um die Wäsche und um die Zimmer. Corky ist für die Gäste und den Empfang zuständig. Rebecca für das physische Wohlbefinden und hin und wieder eine Massage. Jeder hat seinen Platz, und notfalls stellen wir vorübergehend eben ein paar Einheimische ein. Und wir verdienen Geld damit.«

»Wie viel Geld?«

»Ach, das obere Marktsegment sollte eigentlich recht großzügig sein. Ich habe im Labor schon millionenschwere Vertragspartner gesehen, die Tür an Tür mit Postdocs und Doktoranden eingepfercht waren. Das ist einfach unnatürlich.«

»Heutzutage nicht mehr«, räumte Negi ein.

»Das ist eine prima Marktlücke. Yosh regelt das Finanzielle. Lana kümmert sich um die Baubehörde von Buna. Um Interessenkonflikten aus dem Weg zu gehen, lassen wir alles über eine Bostoner Firma laufen. Und wenn wir hier fertig sind, verkaufen wir das Hotel einfach. Bis dahin haben wir eine ordentliche Unterkunft und ein stetiges Einkommen.«

»Das habe ich schon zehnmal miterlebt«, sagte Ando ›Corky‹ Shoeki. »Ich hab sogar dabei mitgeholfen. Ich kann mich trotzdem noch nicht damit anfreunden. Mit der Vorstellung, dass ein Haufen Branchenfremder eine dauerhafte Unterkunft errichten soll, meine ich.«

»Ich gebe zu, dass die distributierte Realisierung auf manche Leute noch immer abschreckend wirkt. Bambakias ist damit sehr reich geworden, aber hier unten ist es noch neu. Mir gefällt die Vorstellung, so etwas im Osten von Texas zu versuchen. Damit beweisen wir den Einheimischen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind.«

»Also«, meinte Fred bedächtig, »so sehr ich mir auch den Kopf zerbreche, fällt mir kein Grund ein, weshalb wir Oscars Vorschlag nicht in die Tat umsetzen sollten.«

»Ihr seid alle kluge Leute«, sagte Oscar. »Nennt mir einen Grund, der dagegen spricht.« Er zog sich in den Bus zurück, um den anderen Gelegenheit zu geben, die Sache zu diskutieren. Hätte er ihnen alles haarklein dargelegt, hätte er ihnen bloß den Spaß verdorben.

Er hängte seinen Hut auf. »Na, Moira«, sagte er, »wie läuft die große Aktion?«

»Oh, prima«, antwortete Moira und schwenkte auf ihrem Drehstuhl herum. Seit der Senator in den Hungerstreik getreten war, sah Moira wieder viel besser aus. Moiras seelisches Wohlbefinden war den Gezeiten des Medientrubels unterworfen. »Die Werte des Senators gehen ab wie eine Rakete. Siebzig Prozent, fünfundsiebzig. Und der Rest sind vor allem Unentschlossene!«