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Der Lichtkegel stieg mit ihm in die Höhe und fiel auf das zertrampelte Wintergras. Auf einmal bemerkte Oscar einen Fremden, eingemummt in eine dick gefütterte Jacke und mit einem Wollhut auf dem Kopf. Der Fremde stand unter einer Pinie auf dem geborstenen Gehsteig und blickte durch den Sicherheitszaun aus orangefarbenem Plastik.

Bambakias’ Baustellen zogen stets Neugierige an. Nur wenige Neugierige aber kamen um ein Uhr morgens, in Dunkelheit und Kälte. Aber anscheinend gab es sogar im kleinen Buna ein Nachtleben. Wahrscheinlich war der Bursche bloß betrunken.

Oscar legte die beschuhten Hände trichterförmig um den Mund. »Möchten Sie mir vielleicht helfen?« Das war die übliche Einladung auf Bambakias’ Baustellen. Das gehörte zum Spiel. Es war erstaunlich, wie viele selbstlose, tatkräftige Freiwillige sie auf diese Weise dauerhaft angeworben hatten.

Der Fremde zwängte sich unbeholfen durch eine Lücke im orangefarbenen Maschendrahtzaun und trat ins Scheinwerferlicht.

»Willkommen auf der Baustelle unseres zukünftigen Hotels! Waren Sie schon einmal hier?«

Stummes Kopfschütteln.

Oscar kletterte von der Kabelrolle hinunter. Er hob eine Schachtel mit vakuumisolierten Handschuhen auf und brachte sie dem Fremden. »Probieren Sie die mal an.«

Der Fremde – eine Frau – zog die bloßen, spinnenartigen Hände aus den Jackentaschen. Oscar blickte überrascht in das vom Hut beschattete Gesicht. »Dr. Penninger! Guten Morgen.«

»Mr. Valparaiso.«

Oscar wählte ein geschmeidiges, extra-großes Paar aus, dessen biegsame Plastikfinger mit Noppen besetzt waren. Er hatte an diesem Abend nicht mit Gesellschaft gerechnet, geschweige denn mit einem hochrangigen Mitglied des Verwaltungsrats. Es verblüffte ihn, Greta Penninger unter diesen Umständen zu begegnen, doch es hätte keinen Sinn gehabt zu zögern. »Probieren Sie die Handschuhe mal an, Doktor… Sehen Sie das gelbe Band an den Knöcheln? Das sind Lokalisierer, damit das Konstruktionssystem ständig über die Position Ihrer Finger Bescheid weiß.«

Dr. Penninger zog die Handschuhe an, verdrehte die schmalen Handgelenke wie ein Chirurg beim Händewaschen.

»Sie brauchen einen Helm, eine Rückenstütze und Schuhkappen. Knieschützer wären auch nicht schlecht. Wenn es Ihnen recht ist, logge ich Sie jetzt in das System ein.«

Oscar suchte eine Weile in den Ausrüstungsstapeln und zog einen Helm und Schuhkappen mit Klettverschluss hervor. Greta Penninger legte beides wortlos an.

»Gut so«, sagte Oscar. Er reichte ihr eine Plastikschnur mit einem kugelschreiberförmigen Handscanner daran. »Und jetzt, Doktor, möchte ich Sie mit unserer Bauphilosophie bekannt machen. Wie Sie sehen, ist unser System sehr flexibel und simpel. Der Computer weiß zu jedem Zeitpunkt über die Position jeder einzelnen markierten und initialisierten Komponente Bescheid. Das System verfügt zudem über komplette Algorithmen, um das Gebäude aus Einzelteilen zusammenzufügen. Es gibt zahllose Wege, zum Ziel zu gelangen, daher kommt es vor allem darauf an, die gemeinsamen Anstrengungen zu koordinieren und den Überblick zu wahren. Dank der verteilten, parallelen Montagerechner…«

»Entschuldigen Sie, aber ich hab’s schon kapiert. Ich haben Ihnen zugeschaut.«

»Oh.« Oscar verkniff sich weitere Bemerkungen. Er schob seinen Plastikhelm in den Nacken und musterte sein Gegenüber. Sie scherzte nicht. »Dann kümmern Sie sich um den Mörtel, während ich die Blöcke schleppe. Kommen Sie damit zurecht?«

»Sicher.«

Dr. Penninger machte sich daran, mit der geschwätzigen Kelle das Bindemittel aufzutragen. Die einzelnen Komponenten plapperten munter vor sich hin, während Dr. Penninger schwieg und das Arbeitstempo durch ihre Mithilfe mehr als verdoppelte. Dr. Penninger legte sich richtig ins Zeug. Es war mitten in der Nacht, kein Mensch war unterwegs, es war einsam, windig und knapp über Null Grad, doch die Wissenschaftlerin machte wirklich Ernst. Sie schuftete wie ein Pferd. Wie ein Dämon.

Bei Oscar gewann die Neugier Oberhand. »Weshalb sind Sie um diese Zeit hergekommen?«

Dr. Penninger richtete sich auf, die Kelle in der noppenumschlossenen Hand. »Jetzt habe ich gerade frei. Ich bin immer bis um Mitternacht im Labor.«

»Ich verstehe. Also, ich freue mich über Ihren Besuch. Sie sind eine gute Arbeiterin. Danke für Ihre Hilfe.«

»Keine Ursache.« Sie musterte ihn forschend durch den Scheinwerferkegel hindurch. Hätte er sie attraktiv gefunden, wäre ihm der Blick prickelnd vorgekommen.

»Sie sollten uns mal tagsüber besuchen, wenn die ganze Mannschaft bei der Arbeit ist. Die Koordination der Einzelkomponenten und die Teamarbeit sind der Schlüssel zur verteilten Realisierung. Das Gebäude entsteht an mehreren Stellen zugleich, als ob es kristallisierte. Das ist ein interessanter Anblick.«

Sie führte die beschuhte Hand ans Kinn und musterte die Mauer. »Meinen Sie nicht, jetzt wären bald die Installationen fällig?«

Oscar war überrascht. »Seit wann beobachten Sie mich schon?«

Ihre Schultern hoben sich kurz unter der dicken Jacke. »Das sieht man doch.« Oscar wurde bewusst, dass er sie enttäuscht hatte. Sie hatte mit einer intelligenteren Bemerkung gerechnet.

»Machen wir eine Pause«, sagte er. Oscar war sich bewusst, dass er es mit Greta Penningers phänomenalem IQ nicht aufnehmen konnte. Er hatte sich natürlich über ihren Werdegang kundig gemacht; Dr. Greta Penninger hatte stets bestechende Noten erzielt und als Beste abgeschnitten. Gleichwohl war Intelligenz vielgestaltig. Er war sich ziemlich sicher, sie durch einen Themenwechsel ablenken zu können.

Er trat hinter die unregelmäßige Mauer aus Betonblöcken, wo unter einer aufgespannten Plastikplane in einem alten Fass ein Feuer brannte. Er hatte Rückenschmerzen. Vielleicht hatte er sich zu viel zugemutet.

»Gedörrtes Cajun-Rindfleisch? Die Mannschaft ist ganz wild auf das Zeug.«

»Gern. Warum nicht.«

Oscar reichte ihr einen Streifen höllisch scharf gewürztes Fleisch, grub seine Zähne in einen weiteren schwärzlichen Fleischbrocken. Er schwenkte eine Hand. »Im Moment sieht es hier chaotisch aus, aber stellen Sie sich mal vor, wie es fertig aussehen wird.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen… Ich hätte nie gedacht, dass Ihr Hotel so elegant werden würde. Ich hätte einen Fertigbau erwartet.«

»Aber das ist ein Fertigbau. Die Pläne werden bloß vom Rechner an die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Daher ist das fertige Gebäude stets ein Original. Aus dem Stapel Träger dort drüben wird in Kürze das Schutzdach vor dem Eingang entstehen…. Der Innenhof kommt hierhin, wo wir gerade stehen, und unmittelbar hinter der Eingangsloggia liegt dann die Pergola…. In den beiden langgestreckten Flügeln werden die Gästezimmer und der Speisesaal untergebracht, im ersten Stock die Bibliothek, verschiedene Balkons und der Wintergarten.« Oscar lächelte. »Ich hoffe doch, Sie werden uns mal besuchen, wenn wir hier fertig sind. Sich ein Zimmer mieten. Ein Weilchen bleiben. Gut essen.«

»Ich glaube, das kann ich mir nicht leisten.« Mit umwölkter, düsterer Miene.

Was in aller Welt hatte die Frau nur vor? Im bläulichen Lichtschein wirkten Dr. Penningers weit auseinanderliegende schokoladebraune Augen unterschiedlich groß… aber das war vielleicht eine optische Täuschung, hervorgerufen durch die eigentümlichen Lichtverhältnisse, ihre ungezupften Brauen und die Spannung, die an ihren Augenlidern abzulesen war. Sie hatte ein großes, kantiges Kinn, eine vorspringende Oberlippe mit einem auffallenden Grübchen, einen langen, sehnigen Hals und machte den Eindruck, als sei sie seit sechs Jahren nicht mehr an der Sonne gewesen. Sie wirkte ausgesprochen eigenwillig, wie eine ausgeprägte Persönlichkeit. Und bei näherem Hinsehen verstärkte sich dieser Eindruck eher noch.