»Sie wären selbstverständlich mein Ehrengast«, erwiderte er. »Ich möchte Sie nämlich einladen.«
Das funktionierte. In Dr. Penningers hutgewärmtem Kopf machte es Klick. Plötzlich hatte er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. »Warum haben Sie mir Blumen geschickt?«
»Buna ist eine gute Stadt für Blumen. Ich wusste, dass Sie nach den Sitzungen einen Blumenstrauß brauchen würden.« Roter Mohn, Petersilie und Mistelzweige – er vermutete, dass sie den Blumencode kannte. Aber vielleicht lebte sie ja auch so weltabgewandt, dass sie nicht einmal einen Blumencode zu deuten verstand. Nun, das wäre auch nicht weiter schlimm gewesen. Es war eine sehr geistreiche Botschaft gewesen, aber vielleicht hatte es ja auch Vorteile, wenn sie ihr entgangen war.
»Warum haben Sie mir diese Mails mit den vielen Fragen geschickt?« Dr. Penninger ließ nicht locker.
Oscar legte den Rest des gepfefferten Fleischbrockens weg und breitete die Arme aus. »Ich brauche ein paar Antworten. Ich habe Sie bei den langen Sitzungen studiert. Sie haben mir wirklich gefallen. Sie waren die Einzige, die ihre Beiträge auf den Punkt gebracht hat.«
Sie musterte das abgestorbene Gras zu ihren Füßen. »Die Sitzungen sind unglaublich öde, finden Sie nicht?«
»Ja, das stimmt.« Er lächelte dreist. »Anwesende natürlich ausgenommen.«
»Die Sitzungen sind schlimm. Richtig schlimm. Sie sind fürchterlich. Ich hasse Verwaltungsarbeit. Alles, was damit zusammenhängt.«
Sie blickte auf, das eigentümliche Gesicht von Abscheu verzerrt. »Wenn ich so dasitze und dem Geplapper zuhöre, habe ich das Gefühl, das Leben entgleitet mir.«
»Hmmm!« Oscar schenkte aus einer ramponierten Kühlbox zwei Becher ein. »Hier, probieren Sie mal dieses sportliche Pseudozitronengetränk.« Er zog eine zusammengefaltete Plane ans Feuerfass, darauf bedacht, sich nicht zu verbrennen. Er setzte sich.
Dr. Penninger ließ sich achtlos auf die Knieschoner fallen. »Ich kann nicht mal mehr richtig denken. Sie lassen es einfach nicht zu. Ich bemühe mich, bei diesen Sitzungen wach zu bleiben, aber es geht einfach nicht. Sie lassen nicht zu, dass ich irgendetwas ausrichte.« Sie probierte vorsichtig von dem gelben Gesöff in dem biologisch abbaubaren Becher, dann stellte sie den Becher ins Gras. »Dabei hab ich mir so viel Mühe gegeben, der Himmel ist mein Zeuge.«
»Wie hat es Sie eigentlich in den Verwaltungsrat verschlagen?«
»Ach«, stöhnte sie, »es wurde halt eine Stelle frei. Nachdem Senator Dougal gescheitert war, musste der für die Geräte Verantwortliche zurücktreten… Der Verwaltungsrat hat mich wegen dem Nobelpreisunsinn gefragt, und das Neuro-Team meinte, ich müsse den Posten annehmen. Wir brauchen die Laborausrüstung. Die halten uns zu kurz, die begreifen einfach nicht, dass wir bestimmte Dinge brauchen. Sie wollen uns nicht einmal verstehen.«
»Das wundert mich eigentlich nicht. Mir ist aufgefallen, dass die Buchhaltung des Labors nicht den staatlichen Anforderungen genügt. Offenbar hat es bei der Beschaffung Unregelmäßigkeiten gegeben.«
»Ach, das ist nicht mal die halbe Wahrheit«, sagte sie.
»Nein?«
»Nein.«
Oscar beugte sich auf der zusammengefalteten Plane langsam vor. »Und was ist die ganze Wahrheit?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, meinte sie und schlang mürrisch die Arme um die Schienbeine. »Und zwar weil ich nicht weiß, weshalb Sie das wissen wollen. Oder was Sie mit Ihrem Wissen anfangen würden.«
»Also gut«, sagte Oscar und richtete sich wieder auf. »Das verstehe ich. Sie sind sehr vorsichtig und korrekt. Ich an Ihrer Stelle würde mich genauso verhalten.« Er erhob sich.
Die Rohrleitungen bestanden aus laminiertem PVC von der Farbe getrockneten Tangs. Berechnet und hergestellt worden waren sie in Boston, und sie machten einen ebenso komplizierten Eindruck wie ein chinesisches Puzzle, das sich nur mit großem Rechenaufwand verstehen ließ.
»Sie sind geschickt mit dem Mörtel, aber die Installationen sind wirklich schwierig«, sagte Oscar. »Ich würde Ihnen keinen Vorwurf machen, wenn Sie jetzt gehen würden.«
»Ach, das macht nichts. Ich muss erst wieder um sieben im Labor sein.«
»Wann schlafen Sie überhaupt?«
»Ach, ich brauche nicht viel Schlaf. Etwa drei Stunden reichen mir.«
»Merkwürdig. Ich brauche auch nicht viel Schlaf.« Er kniete neben der Kiste mit den Installationsteilen nieder. Dr. Penninger drückte ihm eine Blechschere in die Hand, mit dem Griff voran.
»Danke.« Er schnitt drei schwarze Packbänder durch. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind. Ich hatte hier einen schweren Stand, ganz allein bei einem Gruppenprojekt. Aber die Arbeit hat eine therapeutische Wirkung auf mich.« Er stemmte den Deckel der Kiste ab und warf ihn beiseite. »Ich habe es nämlich meistens schwer in meinem Beruf.«
»In Ihren Akten steht was anderes.« Sie hatte die Arme verschränkt. Der Wollhut war ihr in die Stirn gerutscht.
»Dann haben Sie also ein paar Nachforschungen über mich angestellt.«
»Ich bin sehr neugierig.« Sie zögerte.
»Schon gut, das tut heutzutage doch jeder. Ich war schon als Kind eine Berühmtheit. Mein Leben ist gut dokumentiert, daran bin ich gewöhnt.« Er lächelte säuerlich. »Wenngleich Sie sich durch eine flüchtige Netzrecherche wohl kaum einen umfassenden Eindruck von meiner einnehmenden Persönlichkeit verschaffen können.«
»Wäre ich so flüchtig vorgegangen, wäre ich jetzt wohl kaum hier.«
Oscar schaute überrascht hoch. Sie erwiderte unerschrocken seinen Blick. Sie hatte nach Plan gehandelt. Sie verfolgte bestimmte Absichten. Sie hatte sich alles vorher auf Millimeterpapier zurechtgelegt.
»Wollen Sie wissen, weshalb ich mitten in der Nacht auf der Baustelle bin, Dr. Penninger? Meine Freundin hat mich verlassen.«
Sie ließ diese Information einsinken. Die Rädchen in ihrem Kopf drehten sich so rasch, dass er sie beinahe schwirren hörte. »Ach«, sagte sie. »Das ist bedauerlich.«
»Sie hat unser Haus in Boston verlassen, sie hat mich sitzen gelassen. Sie geht in die Niederlande.«
Ihre Brauen hoben sich unter der Krempe. »Ihre Freundin ist zu den Niederländern übergelaufen?«
»Nein, nicht übergelaufen! Sie hat dort einen Job angenommen, sie ist Journalistin. Jedenfalls ist sie fort.« Er blickte in die Kiste voller Installationsmaterial. »Das war ein schwerer Schlag für mich, das hat mich umgehauen.«
Der Anblick des Durcheinanders von Holzteilen und Rohren, die in dem billigen Plastiknest lagen, erfüllte Oscar mit wahrhaft existenziellem Ekel. Er richtete sich auf. »Wissen Sie was? Es war ganz allein meine Schuld. Das kann ich nicht leugnen. Ich habe sie vernachlässigt. Wir haben beide unsere Karriere verfolgt. Sie war unter den Berühmtheiten an der Ostküste zu Hause; solange wir noch gemeinsame Interessen hatten, waren wir ein gutes Paar…« Er hielt inne und versuchte, ihre Reaktion einzuschätzen. »Soll ich Sie wirklich damit belasten?«
»Wieso nicht? Ich verstehe das. Manchmal klappt es einfach nicht. Liebe und Wissenschaft… ›Die Chancen stehen gut, aber was ist der Lohn?‹« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, dass Sie ledig sind. Haben Sie denn niemanden?«
»Nichts Dauerhaftes. Ich bin ein Workaholic.«
Oscar fand diese Informationen ermutigend. Mit vom Ehrgeiz Besessenen empfand er eine instinktive Verbundenheit. »Ich möchte Sie was fragen, Greta. Wirke ich einschüchternd auf Sie?« Er fasste sich an die Brust. »Mache ich anderen Leuten Angst? Bitte seien Sie offen.«
»Soll ich wirklich offen sein?«
»Ja.«
»Man sagt mir immer, ich sei zu offen.«
»Nur zu, ich kann’s vertragen.«
Sie reckte das Kinn. »Ja, Sie wirken einschüchternd. Die Leute sind vor Ihnen auf der Hut. Niemand weiß, was Sie wirklich von uns wollen oder was Sie im Labor überhaupt treiben. Wir rechnen alle mit dem Schlimmsten.«