»Ich verstehe.« Sie setzte sich gerade hin, legte die Hände auf den Lenker und holte tief Luft. »Bitte fahren Sie fort, das ist wirklich hochinteressant.«
»Also, sie versuchten, mich und die anderen Produkte zu verkaufen, aber die Geschäftskosten waren einfach zu hoch, und die Fehlerrate war gewaltig, und dann brach auch noch der Markt zusammen, als sich herausstellte, dass sich die Spermaschäden der unfruchtbaren Männer billiger beheben ließen. Als das Testikelproblem behoben war, war die Luft aus dem Babymarkt raus. Ich war noch kein Jahr alt, als man sie an die Weltgesundheitsbehörde verpfiff, und dann stürmte eine europäische Blauhelmbrigade das Gelände und schloss die Anlage. Wir wurden alle konfisziert. Ich landete in Dänemark. Das sind meine frühesten Erinnerungen, dieses dänische Waisenhaus… Ein Waisenhaus mit angeschlossener Klinik.«
Er hatte diese Geschichte schon viele Male erzählt, weit häufiger, als es ihm recht war. Mittlerweile konnte er sie herunterrasseln, doch gegen das damit einhergehende Grauen und das Lampenfieber kannte er noch immer kein Gegenmittel. »Die meisten Produkte schafften es einfach nicht. Man hatte uns bereits geschädigt, als wir retortenreif gemacht wurden. In Kopenhagen wurde ich einer Genanalyse unterzogen, und es stellte sich heraus, dass man den größten Teil der Introns von der Zygoten DNS entfernt hatte. Sie haben sich nämlich gedacht, das Produkt würde sich in der Retorte als widerstandsfähiger erweisen, wenn sie überflüssige DNS aus dem menschlichen Genom herausschneiden würden… Die Labortypen waren alle Medizinstudenten ohne Studienabschluss oder aus dem Gesundheitsdienst entlassen worden. Außerdem waren sie ständig high von synthetischem Kokain, mit dem die südamerikanische illegale Genindustrie ebenfalls Geschäfte machte…«
Er räusperte sich und bemühte sich, langsamer zu sprechen. »Aber um wieder auf meine persönliche Geschichte zurückzukommen, da war dieser dänische Blauhelmkommandant, der den Einsatz in Kolumbien geleitet hatte, und der wurde schließlich oberster technischer Berater bei dem Film meines Vaters. Der dänische Kommandant und mein Vater wurden Trinkkumpane auf dem Set, und als mein Vater seinen Adoptionswunsch erwähnte, dachte sich der Däne natürlich: ›Warum nicht eins der Kinder, die ich befreit habe?‹ Und er setzte in Kopenhagen ein paar Hebel in Bewegung. Und so bin ich in Hollywood gelandet.«
»Ist das alles auch wahr?«
»Ja.«
»Dürfte ich Sie ins Labor mitnehmen und eine Gewebeprobe entnehmen?«
»Hören Sie, Gewebe ist bloß Gewebe. Zum Teufel mit dem Gewebe! Die Wahrheit ist umfassender als mein Gewebe. Die Wahrheit ist, dass es Vorurteile gegen solche wie mich gibt. Ich verstehe das nur zu gut. Ich kann problemlos einen Wahlkampf organisieren, aber ich glaube nicht, dass ich mich selber wählen würde. Weil ich nicht wüsste, ob ich mir trauen könnte. Ich bin wirklich anders. In meiner DNS sind große Teile nicht einmal menschlichen Ursprungs.«
Er breitete die Arme aus. »Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen. Ich schlafe nicht. Ich habe ständig leicht erhöhte Temperatur. Ich bin schnell herangewachsen – und das nicht bloß deshalb, weil ich meine Kindheit auf der Schnellspur von L. A. verbracht habe. Ich bin jetzt achtundzwanzig, die meisten Leute halten mich für Mitte dreißig. Ich bin steril – ich werde niemals eigene Kinder haben –, und ich hatte dreimal Leberkrebs. Zum Glück kann man Krebs mittlerweile gut behandeln, aber ich nehme noch immer angiogene Inhibitoren und Wachstumsblocker und muss dreimal monatlich Antitumorpillen schlucken. Was die anderen acht Kinder betrifft, die mit mir zusammen befreit wurden – fünf von ihnen sind in jungen Jahren an Organkrebs gestorben, und die anderen drei… also, die sind Dänen. Drei identische dänische Frauen mit – lassen Sie es mich mal so ausdrücken – einem sehr problematischen Privatleben.«
»Sind Sie sicher, dass Sie das alles nicht erfunden haben? Das ist eine faszinierende Geschichte. Haben Sie wirklich eine erhöhte Körpertemperatur? Haben sie sich jemals einer Positronentomografie unterzogen?«
Er blickte sie nachdenklich an. »Also, Sie nehmen das wirklich gut auf. Ich meine, die meisten Leute, denen ich diese Geschichte erzähle, durchlaufen eine Art Schockstadium…«
»Ich bin keine Medizinerin, und die Genetik ist nicht mein eigentliches Arbeitsgebiet. Aber Ihre Geschichte schockiert mich nicht. Sie erstaunt mich natürlich, und ein paar Dinge würde ich wirklich gern im Labor bestätigen, aber…« Sie suchte nach dem richtigen Ausdruck. »Vor allem bin ich fasziniert.«
»Wirklich?«
»Das war ein grundlegender Verstoß gegen die wissenschaftliche Ethik. Ein Verstoß gegen die Helsinki-Konvention sowie gegen mindestens acht weitere Regeln für den Umgang mit Menschen. Sie sind offenbar ein sehr tapferer und tüchtiger Mensch, sonst hätten Sie diese Kindheitstragödie nicht so gut überwunden und wären nicht so erfolgreich gewesen.«
Oscar schwieg. Auf einmal brannten ihm die Augen. Er hatte schon viele unterschiedliche Reaktionen auf sein Vergangenheitsproblem erlebt. Vor allem Reaktionen von Frauen – weil er meistens nur bei Frauen gezwungen war, alles zu beichten. Eine Geschäftsbeziehung ließ sich beginnen und beenden, ohne sich zu outen; eine sexuelle Beziehung nicht. Er war mit allen möglichen Reaktionen vertraut. Bestürzung, Entsetzen, Spott, Mitgefühl oder auch nur ein Achselzucken oder Kopfschütteln. Gleichgültigkeit. Meistens machte ihnen die Wahrheit auf lange Sicht zu schaffen.
Noch nie aber hatte eine Frau so reagiert wie Greta Penninger.
Oscar ging mit seiner Sekretärin Lana Ramachandran im Park hinter den schrägen weißen Mauern der Genfragmentierungsklinik spazieren. Der Park grenzte an die Angestelltenwohnungen, daher hielten sich hier auch Kinder auf. Aufgrund des ständigen Geschreis konnte man sich hier unterhalten, ohne befürchten müssen, abgehört zu werden.
»Schicken Sie ihr keine Blumen mehr ins Wohnheim«, sagte Oscar. »Sie ist nie dort. Sie schläft so gut wie nie.«
»Wo soll ich sie dann hinschicken?«
»Ins Labor. Dort hält sie sich meistens auf. Und drücken wir ruhig ein wenig auf die Tube – Schluss mit den Stiefmütterchen und Zinnien. Nehmen wir lieber gleich Tuberosen.«
»Noch keine Tuberosen!« meinte Lana erschrocken.
»Sie wissen schon, was ich meine. Außerdem braucht sie etwas zu essen. Sie ernährt sich nicht richtig – das sehe ich. Und später kleiden wir sie neu ein. Aber da müssen wir uns erst heranarbeiten.«
»Aber wie sollen wir überhaupt an sie herankommen? Dr. Penninger arbeitet im Hochsicherheitstrakt«, sagte Lana. »Das ist Gefahrenzone 4, mit eigenen Schleusen. Und die Wände sind zweieinhalb Meter dick.«
Er zuckte die Achseln. »Tauchen Sie die Blumen in flüssigen Stickstoff. Schweißen Sie sie in Plastik ein. Was immer nötig ist.«
Seine Sekretärin stöhnte. »Oscar, was ist mit Ihnen? Haben Sie den Verstand verloren? Es kann Ihnen mit dieser Frau doch unmöglich ernst sein. Ich kenne Ihren Typ mittlerweile recht gut, und sie ist überhaupt nicht Ihr Typ. Außerdem habe ich mich ein wenig umgehört – Dr. Penninger ist niemandes Typ. Sie werden sich bloß eine Enttäuschung einhandeln.«