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Oscar unternahm keinen ernsthaften Versuch, Moira zum Bleiben zu bewegen. Er hatte eingehend darüber nachgedacht und wollte das Risiko, sie bei sich zu behalten, nicht eingehen. Moira langweilte sich mittlerweile tödlich. Er wusste, dass er ihr nicht mehr vertrauen konnte. Gelangweilte Menschen waren einfach zu verwundbar.

Oscars Ausflug sollte dazu dienen, seine politischen Ziele zu erreichen und gleichzeitig die bewaffneten Verrückten abzuschütteln. Er beabsichtigte, unerkannt und unangemeldet durch Louisiana und Washington DC zurück nach Boston zu fahren, wo er rechtzeitig zu Weihnachten einzutreffen gedachte – während er übers Netz ständig Kontakt mit seiner Mannschaft in Buna hielt.

Oscar plante, zunächst in Holly Beach, Louisiana, Halt zu machen. Holly Beach war eine an der Golfküste gelegene Ansammlung wackliger Pfahlbauten, eine von Hurrikans heimgesuchte Region, die sich selbst leichtfertig als ›Cajun Riviera‹ bezeichnete. Fontenot hatte bereits für Oscars Visite vorgesorgt, das Städtchen erkundet und unter fremdem Namen ein Strandhaus gemietet. Fontenot zufolge, der sie dort erwartete, war Holly Beach so heruntergekommen, dass es dort nicht einmal Netzzugang gab; stattdessen begnügte man sich mit Handys, Satellitenschüsseln und Gasgeneratoren. Mitte Dezember – mittlerweile schrieb man den 19. – war der Küstenort so gut wie ausgestorben. Es war unwahrscheinlich, dass sie in Holly Beach von Paparazzi gefilmt oder von verrückten Attentätern belästigt werden würden.

Oscar hatte dort ein Stelldichein mit Greta Penninger arrangiert.

Im Anschluss an diese Strandidylle beabsichtigte Oscar, nach Washington weiterzufahren, wo er von seinen Kollegen aus dem Senatsausschuss bereits sehnsüchtig erwartet wurde. Wenn er den Ratten vom Capitol Hill gebührend gehuldigt hätte, wollte er in nördlicher Richtung nach Cambridge weiterfahren und den Wahlkampfbus in der Zentrale der Demokratischen Partei von Massachusetts abliefern. Bambakias wollte den Wahlkampfbus der Partei schenken. Endlich stand es dem Senator, stets ein beherzter Förderer der Partei, frei, seine Investition abzuschreiben.

In Boston angekommen, wollte Oscar seine Verbindung zum Senator erneuern. Außerdem hätte er Gelegenheit, nach Hause zu fahren und seine Angelegenheiten neu zu ordnen. Um das Haus machte er sich große Sorgen. Clare war mittlerweile nach Europa abgereist, und es war zu gefährlich, das Haus leerstehen zu lassen. Oscar wollte Moira anbieten, den Haussitter zu spielen, während sie in Boston nach einem neuen Job Ausschau hielt. Oscar war weder mit der Situation im Haus noch mit Moira glücklich, doch mit beiden musste irgendetwas geschehen. Da lag es nahe, das eine mit dem anderen zu verknüpfen.

Die Zeit verstrich rasch auf der ersten Etappe in den Südwesten Louisianas. Oscar hatte Jimmy gebeten, Musik anzustellen, und während Moira in ihrer Koje in einem Liebesroman schmökerte, vertrieben Oscar, Lana und Donna sich die Zeit damit, Greta Penningers großes Potenzial zu erörtern.

Oscar legte bei diesem Thema keine Zurückhaltung an den Tag. Das wäre auch zwecklos gewesen. Es hatte keinen Sinn, seine Affäre vor der eigenen Mannschaft zu verheimlichen. Auch über Clare hatten sie bestimmt von Anfang an Bescheid gewusst. Von Greta waren sie vielleicht nicht gerade begeistert, aber jedenfalls hatten sie etwas, um sich das Maul darüber zu zerreißen.

Bei dem Gespräch drehte es sich auch um Politik. Greta Penninger galt insgeheim als aussichtsreichste Kandidatin für den Direktorenposten des Laboratoriums. Seltsamerweise schienen die Wissenschaftler nicht wahrhaben zu wollen, dass ihr Direktorenposten wackelte. Die Wissenschaftler waren sich über ihre eigene Lage offenbar nicht ganz im klaren – sie sprachen lieber von ›Konsensentscheidungen‹ oder vielleicht vom ›Nachfolgeprozess‹ – bloß nicht von ›Politik‹. Doch es ging um Politik. Das Laboratorium brodelte von einer Form der Politik, die ihren eigenen Namen nicht auszusprechen wagte.

Das sollte nicht heißen, dass die Wissenschaft selbst Politik gewesen wäre. Wissenschaftliche Erkenntnisse waren von politischer Ideologie grundlegend verschieden. Die Wissenschaft war ein intellektuelles System, das objektive Daten über die Natur des Universums hervorbrachte. Die Wissenschaft enthielt falsifizierbare Hypothesen, reproduzierbare Ergebnisse und rigorose experimentelle Bestätigung. Wissenschaftliche Erkenntnisse waren ebenso wenig ein politisches Konstrukt wie das Element an Stelle 79 des Periodensystems.

Was die Menschen jedoch mit Wissenschaft anfingen, war ebenso politisch wie ihr Umgang mit Gold. Oscar hatte viele faszinierende Stunden auf das Studium der wissenschaftlichen Gemeinde und ihres merkwürdig orthogonalen Machtgefüges verwandt. Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit kam ihm bedrückend verschroben und mühsam vor, während ein kompliziertes politisches Arrangement stets einen großen Reiz auf ihn ausübte.

Ein Wissenschaftler, der oft zitiert wurde und zahlreiche Entdeckungen vorzuweisen hatte, verfügte über politische Macht. Er hatte eine Reputation und besaß Einfluss. Folglich fand er in der wissenschaftlichen Gemeinde Gehör. Er bestimmte die Tagesordnung, wählte die Teilnehmer von Dienstbesprechungen aus, ordnete Beförderungen an, zeichnete Dienstreisen ab und beriet sich mit Kollegen. Weil er bereits vor der offiziellen Veröffentlichung Kenntnis von neuen Forschungsergebnissen erhielt, konnte er mühelos die Spitzenposition wahren. Ein solcher Wissenschaftler hatte keine Armee, keine Polizei und keine Schmiergeldkasse; auf leise, aber effiziente, wissenschaftliche Art und Weise aber hatte er die Basisressourcen der Gesellschaft fest in der Hand. Er vermochte den Fluss der Möglichkeiten nach Belieben umzulenken. Er war ein Spieler.

Geld war in der Wissenschaft per se von untergeordneter Bedeutung. Auf Wissenschaftler, die allzu unverhohlen zweckgebundenen Mitteln nachjagten oder um größere Zuschüsse katzbuckelten, fiel ebenso ein Makel wie auf Politiker, die verstohlen die Rassenkarte ausspielten.

Das System funktionierte offenbar. Es war sehr alt und hatte zahlreiche Schlupflöcher. Diese Schlupflöcher konnte man ausnutzen. Und das Laboratorium hatte sich bislang noch nie über einen längeren Zeitraum hinweg der Aufmerksamkeit eines Wahlkampfteams erfreut, dem lauter Spezialisten angehörten.

Der gegenwärtige Direktor, Dr. Arno Felzian, befand sich in einer schwierigen Lage. Felzian war seinerzeit zwar mäßig erfolgreich in der Genforschung tätig gewesen, hatte den Direktorenposten aber seiner Willfährigkeit gegenüber Senator Dougal zu verdanken. Marionettenregimes gediehen solange, wie das Imperium überdauerte, doch waren die fremden Unterdrücker erst einmal verschwunden, wurden ihre ehemaligen Verbündeten alsbald als Kollaborateure beschimpft. Senator Dougal, der langjährige Gönner des Laboratoriums und offizielle Strippenzieher, war mit Pauken und Trompeten untergegangen. Allein auf sich gestellt, wusste Felzian nicht mehr, was er mit sich anfangen sollte. Er war ein sprunghafter, zappeliger Jasager, dem der Souffleur abhanden gekommen war.

Den gegenwärtigen Direktor loszuwerden, war der logische erste Schritt. Ohne soliden Nachfolgeplan hatte das allerdings nur wenig Sinn. In der kleinen Welt des Laboratoriums würde der Fortgang des Direktors ein Vakuum hinterlassen, das alles aufzusaugen drohte, was nicht niet- und nagelfest war. Wer sollte den Platz des Direktors einnehmen? Die Mitglieder des Verwaltungsrats boten sich als Kandidaten an, doch das waren korrumpierte Opportunisten genau wie der Direktor. Zumindest lag diese Einschätzung bei jedem, der für den Direktorenposten infrage kam, nahe.

Oscar und seine Berater stimmten darin überein, dass es im gegenwärtigen Machtgefüge eine zentrale Bruchstelle gab: Greta Penninger. Sie gehörte dem Verwaltungsrat bereits an, was ihren Anspruch legitimierte und ihr eine Art Machtbasis verlieh. Und sie hatte eine noch unerschlossene Anhängerschaft – die eigentlichen Wissenschaftler des Laboratoriums. Es gab dort Forscher, die seit langem in ihrer Arbeit eingeschränkt waren und sich nach Kräften bemühten, relevante Laborergebnisse zu erzielen, während sie von der realen Welt nach Möglichkeit keine Notiz nahmen. Diese Forscher hatten sich jahrelang bedeckt gehalten, während die offizielle Korruption an ihrer Moral, ihrem Ehrgefühl und ihrem Auskommen zehrte. Falls das Laboratorium überhaupt reformierbar war, musste die Reform von den Wissenschaftlern ausgehen.