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Die Tür öffnete sich mit einem scharfen pneumatischen Zischen. Zum ersten Mal nach der Durchquerung von vier Staaten traten Oscar und Norman ins Freie. Nachdem sie Hunderte von Stunden im Fahrzeug zugebracht hatten, betraten sie den Erdboden, als setzten sie den Fuß auf einen fremden Planeten. Oscar registrierte mit leichtem Erstaunen, dass das Bankett mit Tonnen von zerbrochenen Muschelschalen bedeckt war.

Das hohe Unkraut am Straßenrand war plattgedrückt vom Wind und bräunlich grün. Der Wind kam von Osten und wehte Schwefelgeruch heran – bioindustriellen Gestank. Ein Gestank wie von einer monströsen Brauerei, die mit genmanipulierten Zutaten arbeitete: wie von überzüchteter Hefe, die frischgemähtes Gras umwandelte. Silberreiher entfernten sich in V-Formation unter dem bedeckten Himmel. Es war Ende November 2044, und der Südwesten Louisianas bereitete sich halbherzig auf den Winter vor. Wer aus Massachusetts stammte, bekam davon nicht viel mit.

Norman hob ein Motorrad vom Träger am Heck des Busses. Die Motorräder waren in Cambridge, Massachusetts, entworfen und hergestellt worden und mit Gewerkschaftsabzeichen, Sicherheitswarnungen und Softwarehinweisen beklebt. Es sah Bambakias ähnlich, Motorräder zu kaufen, die mehr Elektronik eingebaut hatten als ein Langstreckenflugzeug.

Norman befestigte den Beiwagen und überprüfte die Batterie. »Keine Tricks«, warnte ihn Oscar, kletterte in den Beiwagen und legte sich den Hut auf den Schoß. Sie setzten die Schaumstoffhelme auf, dann fädelten sie sich hinter einem Plattformwagen mit Elektromotor auf den Highway ein.

Wie immer fuhr Norman wie ein Verrückter. Norman war jung. Er war noch nie ein Fahrzeug ohne automatische Steuerung und Gleichgewichtssysteme gefahren. Er fuhr ohne körperliche Anmut, als versuchte er, mit den Beinen Algebra zu betreiben.

Die Dämmerung senkte sich allmählich auf die Pinien herab. An der Ostseite der Brücke über den Sabine River staute sich der Verkehr auf zwei Kilometern Länge. Oscar und Norman flitzten übers Bankett, wobei der Beiwagen mit cybernetischer Gewandheit die Muschelschalen zermalmte. Die Insassen der im Stau gefangenen Wagen übten sich in stoischer Gelassenheit. Die großen Transportfahrzeuge – gespenstisch aussehende Biochemietanklaster und schmierige, übelriechende Fischtransporter – wendeten bereits. Straßenblockaden waren bedauerlicherweise an der Tagesordnung.

Die Tourismusbehörde von Louisiana unterhielt am Flussufer, unmittelbar an der Staatsgrenze, ein Informationszentrum für Touristen. Es handelte sich um ein rührend hässliches Gebäude im historischen Vorbürgerkriegsstil mit weißen Säulen.

Ein riesiger mattschwarzer Armeehubschrauber hockte auf seinen Kufen neben dem Highway, ein zutiefst grotesker mechanischer Wächter. Der schwarze Hubschrauber beleuchtete die Straße mit blendend hellen bläulichen Scheinwerfern. Die gewaltige Maschine war mit den skelettartigen Waffen der Luftwaffe gespickt. Die alten Luft-Boden-Waffen waren so wahnsinnig kompliziert und archaisch, dass sich ihre Funktionsweise Oscars Begreifen entzog. Waren das nun Pfeilschleudern? Teilchenbeschleuniger? Oder vielleicht Strahlenkanonen? Die Waffen wirkten wie eine albtraumhafte Mischung aus Neunaugenzähnen und Nähmaschinen.

Im blendend hellen Scheinwerferlicht des Hubschraubers hielten blauuniformierte Luftwaffenangehörige die Fahrzeuge an, welche Louisiana verlassen wollten. Die Insassen, texanische Touristen zumeist, wirkten angemessen eingeschüchtert.

Die Soldaten führten eine raffinierte Erpressung durch. Sie holten weiße Kühlboxen aus Dreirädern mit Faltdach und Tretantrieb hervor und konfrontierten die Reisenden mit deren Inhalt.

Norman-der-Praktikant studierte Ingenieurwissenschaft. Er riss seinen bewundernden Blick von den furchteinflößenden Waffen des Hubschraubers los. »Ich habe eher eine Art Party erwartet, wie bei den coolen Motorradzigeunern, die uns in Tennessee aufgehalten haben«, bemerkte Norman. »Vielleicht sollten wir uns besser aus dem Staub machen.«

»Da ist Fontenot«, entgegnete Oscar.

Fontenot winkte sie zu sich herüber. Sein Fortbewegungsmittel, ein gedrungenes, elektrisch angetriebenes Geländefahrzeug, hockte über dem Straßengraben. Der Sicherheitsbeauftragte trug einen langen gelben Regenmantel und dreckbespritzte Jeans.

Es war beruhigend, Fontenot zu sehen. Fontenot hatte für den Secret Service gearbeitet und war in Sicherheitsfragen ein alter Hase. Fontenot kannte mehrere amerikanische Präsidenten persönlich. Als er sein linkes Bein verloren hatte, war er für einen Ex-Präsidenten als Bodyguard tätig gewesen.

»Die Air Force ist gegen Mittag eingeflogen«, setzte Fontenot sie ins Bild, stützte sich auf die gepolsterte Stoßstange seines Geländefahrzeugs und senkte das Fernglas. »Haben Klebstoffbomben und Schaummittel abgeworfen. Dazu kommen die Sperrelemente und der Stacheldraht.«

»Ist wenigstens der Straßenbelag noch heil?« fragte Norman.

Fontenot strafte Norman mit herzlicher Nichtbeachtung. »Die Spur mit den Wagen aus Texas kann problemlos passieren, Fahrzeuge mit Nummernschildern aus Louisiana werden durchgewinkt. Widerstand gab es keinen. Die Reisenden aus anderen Bundesstaaten plündern sie aus.«

»Das klingt plausibel«, meinte Oscar. Er nahm den Helm ab, kämmte sich mit einem Taschenkamm und setzte den Hut auf. Dann stieg er behutsam aus dem Beiwagen, wobei er darauf achtete, sich nicht die Schuhe schmutzig zu machen. Das Ufer des Sabine River war in Louisiana ein einziger Sumpf.

»Warum tun sie das?« fragte Norman.

»Sie brauchen das Geld«, antwortete Fontenot.

»Wie?« meinte Norman. »Die Air Force?«

»Der Luftwaffenstützpunkt bekommt kein Geld mehr vom Staat, um seine Stromrechnungen zu begleichen. Entweder sie zahlen, oder das E-Werk stellt die Versorgung ein.«

»Die ständige Zwickmühle«, setzte Oscar hinzu.

Fontenot nickte. »Die Unionsregierung will den Stützpunkt schon seit Jahren auflösen, aber Louisiana ist in der Angelegenheit stur. Daher hat ihn der Kongress vergangenen März aus den Notstandsverordnungen rausgenommen. Als wäre eine ganze Luftwaffenbasis einfach in einem Erdloch verschwunden.«

»Schlimm. Wirklich schlimm. Das ist furchtbar!« sagte Norman. »Weshalb lässt der Kongress nicht ordnungsgemäß darüber abstimmen? Ich meine, es kann doch nicht so schwer sein, eine Militärbasis zu schließen?«

Fontenot und Oscar wechselten vielsagende Blicke.

»Norman, Sie bleiben besser hier und passen auf unsere Fahrzeuge auf«, meinte Oscar freundlich. »Mr. Fontenot und ich möchten mit den Militärs mal ein ernstes Wörtchen reden.«

Oscar schritt neben dem humpelnden Ex-Geheimagenten an der Schlange entlang. Bald darauf waren sie außer Normans Hörweite angelangt. Es tat gut, sich in der frischen Luft zu bewegen, wo man kaum abgehört werden konnte. Oscar fand, dass sich die besten Unterhaltungen immer dann ergaben, wenn keine Abhörvorrichtungen in der Nähe waren.

»Wir könnten sie einfach bezahlen, wissen Sie«, meinte Fontenot milde. »Das ist schließlich nicht die erste Straßenblockade, der wir unterwegs begegnet sind.«

»Ich hoffe doch, die Befürchtung, die Soldaten könnten auf uns schießen, ist grundlos?«

»Ach, die Air Force wird bestimmt nicht auf uns schießen.« Fontenot zuckte die Achseln. »Darum geht es nicht. Das ist rein politisch.«

»Unter anderen Umständen hätte ich sie ausgezahlt«, sagte Oscar. »Wenn wir den Wahlkampf verloren hätten, zum Beispiel. Aber wir haben nicht verloren. Wir haben gewonnen. Der Senator ist im Amt. Daher geht es jetzt ums Prinzip.«