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Er ging ins Strandhaus hinüber, um dort auf Greta zu warten, doch die Räume, die zuvor einen zwar etwas anrüchigen, aber doch einnehmenden Eindruck gemacht hatten, wirkten auf einmal nur noch schäbig. Warum machte er sich selbst etwas vor und unternahm solche Anstrengungen, ein Liebesnest zu imitieren? Richtige Liebesnester waren für die Liebenden voll wahrer Bedeutung, voller Dinge, die auf authentischen emotionalen Widerhall trafen. Voller Kleinigkeiten und alberner Andenken etwa, hier eine Feder, dort eine Muschel, ein Strumpfhalter, gerahmte Fotos, ein Ring. Ganz etwas anderes als diese gemieteten Vorhänge, dieses gemietete Bett, diese verräterisch neuen keimfreien Zahnbürsten.

Er setzte sich aufs quietschende Messingbett und blickte sich im Zimmer um, und auf einmal stellte sich die Welt für ihn auf den Kopf. Er hatte sich darauf eingestellt, charmant und geistreich zu sein, er hatte sich so darauf gefreut, aber sie kam nicht. Sie hatte ihn durchschaut. Sie war zu smart, um zu kommen. Er war allein in diesem kleinen, hässlichen Haus, schmorte im eigenen Saft.

Eine Stunde verstrich mit quälender Langsamkeit, und er war froh, dass sie nicht gekommen war. Er war froh um seiner selbst willen, denn es war dumm gewesen, sich eine Beziehung mit dieser Frau vorzustellen, aber er war auch froh um ihretwillen. Er war ein Raubtier, ein eiskalter Verführer. Er fühlte sich nicht niedergeschmettert durch ihre Zurückweisung, sah sich aber nun in einem realistischeren Licht. Er war ein Wesen der zitternden Spinnfäden und des funkelnden Chitins. Klug von der grauen Motte, zu Hause zu bleiben.

Er sah seinen Weg jetzt deutlich vor sich. Er würde nach Washington zurückkehren, den Ausschussbericht verfassen und weiter seine Arbeit tun. An seinen ersten Senatsauftrag würde niemand große Erwartungen richten. Für eine vernichtende Analyse der Laboratoriumszustände war das vorliegende Material mehr als ausreichend. Wenn das nicht drin war, dann konnte er immer noch die positiven Aspekte des Laboratoriums herausstellen: die Auswirkungen der Biotech-Spinoffs auf die regionale Wirtschaft beispielsweise. Er könnte den zukünftigen Glamour des nächsten großen Durchbruchs hinausposaunen: die industrielle Hightech-Nutzung der Neurowissenschaft. Was immer sie hören wollten.

Er konnte sich in eine Karriereratte verwandeln, in einen Politiktrottel. Diese bildeten einen großen, sich immer weiter vermehrenden Stamm. Er würde immer mehr kostbare Energie auf immer abgehobenere, langweiligere Themen verwenden. Er würde nie wieder einen politischen Wahlkampf organisieren, und er würde sicherlich keine politische Macht aus eigenem Recht erringen, aber wenn er nicht als politischer Wasserträger ausbrannte, würde er schon sein Auskommen finden. Vielleicht würde er ja am Ende mit einem Kabinettsposten belohnt oder mit einer Gastprofessur auf seine alten Tage…

Er trat ins Freie, denn im Strandhaus hielt er es nicht mehr aus. Die Bustür stand offen, doch der Mannschaft konnte er jetzt nicht vor die Augen treten. Er ging zum einzigen Lebensmittelladen in Holly Beach, einem drollig heruntergekommenen Gebäude mit unbehandelten Bodenbrettern und alten Fischernetzen an den Deckenbalken. An einer Wand stand ein deckenhohes Regal mit allerlei Tinneff. Fischermützen als Souvenirs. Angelschnur und Plastikköder. Getrocknete Alligatorköpfe, gespenstisch anmutender Schnickschnack aus Tilandsien und Koskosschalen. Billige raubkopierte Musikkassetten – es ärgerte ihn zutiefst, dass niederländische Musik jetzt so populär war. Wie schaffte es ein in jeder Hinsicht untergehendes Land mit einer winzigen, alternden Bevölkerung nur, bessere Popmusik hervorzubringen als die Vereinigten Staaten?

Er wählte ein Paar billiger Strandsandalen aus, ein im Grunde unnötiger Spontankauf. Hinter der Theke wartete ein dunkelhaariges halbwüchsiges Mädchen, eine Einheimische. Sie langweilte sich und fühlte sich in dem kalten, menschenleeren Laden einsam, und sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, ein Hallo-Fremder-Lächeln. Sie trug einen unförmigen Pullover und ein geblümtes Unterhemd aus billiger genmanipulierter Baumwolle, aber sie war gutmütig und hübsch. Auf einer merkwürdigen Parallelspur wurden von den Enttäuschungen des Tages entstellte sexuelle Phantasien wach. Ja, junge Frau aus den Bajous, ich bin wirklich ein gutaussehender Fremder. Ich bin intelligent, reich und mächtig. Vertrau mir, ich kann dich von hier fortbringen. Ich kann dir die Augen öffnen für die große, weite Welt, dich in die vergoldeten Korridore des Luxus und der Macht entführen. Ich kann dich kleiden, ich kann dich lehren, dich nach meinem Willen formen, dich vollkommen ummodeln. Du brauchst nichts weiter zu tun, als… Sie konnte nichts für ihn tun. Sein Interesse schwand.

Er verließ den Laden mit den in einer Papiertüte verpackten Sandalen und schritt die sandigen Straßen von Holly Beach entlang. Das Städtchen war dermaßen schäbig, dass es einen dekadenten Charme besaß, ähnlich wie ein Stück Treibgut. Im Sommer mochte Holly Beach auf seine Art durchaus interessant sein: Familien in Strohhüten, die sich im alten französischen Dialekt der akadischen Einwanderer unterhielten, tätowierte Männer, die sich an Grillgeräten zu schaffen machten, Arbeiter von den Ölplattformen auf Urlaub, die mit einem Schleppnetz irgendetwas Ledriges, Knochenloses fingen. Ein gefleckter Hund folgte ihm, schnüffelte an seinen Fersen. Nachdem er wochenlang mit Wickelbären und Karibus zusammengelebt hatte, war es merkwürdig, einem Hund zu begegnen. Vielleicht sollte auch er sich ein exotisches Tier anschaffen. Das war groß in Mode, außerdem wäre es eine nette Erinnerung an seinen Aufenthalt gewesen. Sein persönliches Genspielzeug. Einen munteren Fleischfresser. Irgendein Tier mit großen dunklen Flecken.

Er gelangte zum ältesten Haus des Städtchens. Es war so alt, dass es nicht hatte verlegt werden müssen, als der Meeresspiegel stieg; es stand schon seit Jahrzehnten am selben Platz. Die Hütte war früher einmal weit entfernt vom Strand gewesen, nun aber lag sie ganz nah am Wasser. Sie wirkte eigentümlich provisorisch, als wäre sie an Wochenenden von jemandes Schwiegersohn zusammengezimmert worden.

Stürme, Sand und die gnadenlose südliche Sonne hatten die verschiedenen Schichten billiger Farbe abgeschliffen, doch die Hütte war noch immer bewohnt. Oder sie war vermietet. Irgendjemand lebte ständig darin. Er entdeckte einen eingebeulten Briefkasten und eine vom Sand abgescheuerte Satellitenschüssel auf dem Metalldach, von der ein durchtrenntes Kabel nach unten führte. Drei hohe, splittrige Holzstufen, halb zugedeckt von feuchtem Sand, führten zu der an verrosteten Angeln befestigten Tür hinauf. Die Schwelle aus sandgestrahltem Holz mochte etwa sechzig Jahre alt sein und sah aus, als hätte sie schon sechshundert hinter sich.

Im winterlichen Nachmittagslicht übte die dunkle Holzmaserung eine faszinierende Wirkung auf ihn aus. Alte braune Nagellöcher. Weißer Möwenkot. Er hatte das deutliche Gefühl, dass hier ein sehr alter Mensch lebte. Alt, blind, schwach, ohne Anhang, die Familie verschwunden, das Ende der Geschichte.

Er legte die Handfläche zärtlich auf das sonnenwarme Holz. Das Wissen strömte auf ihn über, und auf einmal kostete er den Vorgeschmack seines eigenen Todes. Genau so würde es sein: Einsamkeit und heitere Gelassenheit. Kaputte Stufen, zu hoch, um sie jemals zu erklettern. Die Sichel der Sterblichkeit würde ihn treffen und nichts zurücklassen als leere Kleidungsstücke.

Erschüttert kehrte er raschen Schritts zum gemieteten Strandhaus zurück. Greta erwartete ihn. Sie trug eine graue Kapuzenjacke und hatte eine Reisetasche dabei.

Oscar eilte ihr entgegen. »Hallo! Tut mir leid! Haben Sie mich verpasst?«

»Bin gerade erst angekommen. Es gab Straßenblockaden. Ich konnte Sie nicht anrufen.«

»Das macht doch nichts! Kommen Sie rein, drinnen ist es warm.«

Er geleitete sie die Treppe hoch und durch die Tür. Greta blickte sich skeptisch um. »Es ist heiß hier drinnen.«