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Er gewann mit dreißig Punkten Vorsprung. »Sie lernen schnell. Lassen Sie uns eine ernsthafte Partie spielen.«

»Räumen Sie das Brett noch nicht leer«, sagte Greta. Sie betrachtete ihre Niederlage voller Genugtuung. »Die Muster sind so elegant.«

»Ja. Und sie sind jedesmal anders. Jedes Spiel hat seinen eigenen Charakter.«

»Die Steine erinnern mich an Nervenzellen.«

Er lächelte sie an.

Sie begannen eine neue Partie. Oscar spielte mit großem Ernst. Poker spielte er aus sozialen Gründen, doch eine Go-Partie nahm er niemals auf die leichte Schulter. Er spielte gut. Er war ein begabter Spieler, klug, geduldig und voller Finten, aber Gretas Spielweise war außergewöhnlich. Sie machte zwar Anfängerfehler, wiederholte sie aber niemals und zeigte außergewöhnliches Spielverständnis.

Diesmal gewann er mit neunzehn Punkten Vorsprung, jedoch bloß aufgrund seiner Skrupellosigkeit.

»Das ist wirklich ein schönes Spiel«, sagte sie. »So modern.«

»Es ist dreitausend Jahre alt.«

»Tatsächlich?« Greta stand auf und streckte sich, wobei ihre Kniegelenke laut knackten. »Ich könnte jetzt einen Drink vertragen.«

»Nur zu.«

Sie holte eine eckige Flasche mit blauem niederländischem Gin aus der Reisetasche.

Oscar ging in die Kochnische und entfernte die sterile Verpackung von zwei nagelneuen Bistrogläsern. »Möchten Sie den Schnaps mit Orangensaft verdünnen?«

»Nein, danke.«

Er schenkte sich Orangensaft ein und brachte ihr das leere Glas. Erstaunt beobachtete er, wie sie sich mit laborgeübter Sorgfalt drei Fingerbreit reinen Gin einschenkte.

»Etwas Eis? Ist alles da.«

»Danke, ist schon in Ordnung.«

»Hören Sie, Greta, Sie dürfen keinen reinen Gin trinken. Das führt geradewegs in den gesundheitlichen Ruin.«

»Von Wodka bekomme ich Kopfschmerzen. Tequila schmeckt mir nicht.« Sie setzte die gespitzte Oberlippe an den Rand des Glases und nahm einen tiefen Schluck. Dann schüttelte sie sich. »Uff! Sie trinken überhaupt nicht?«

»Nein. Und Sie sollten auch ein bisschen kürzer treten. Unverdünnter Gin tötet haufenweise Gehirnzellen ab.«

»Gehirnzellen töte ich um mein Leben gern, Oscar. Spielen wir.«

Sie begannen die dritte Partie. Der Schnaps hatte irgendetwas in ihrem Kopf gelockert, und sie spielte wie der Teufel. Er kämpfte, als gelte es sein Leben. Er konnte sich nur mit Mühe behaupten.

»Neun Steine Vorgabe sind zu viel«, sagte er. »Wir sollten uns auf sechs beschränken.«

»Sie gewinnen schon wieder, nicht wahr?«

»Vielleicht mit etwa zwanzig Steinen Vorsprung.«

»Fünfzehn. Aber wir brauchen die Partie nicht jetzt zu Ende zu spielen.«

»Nein.« Er hielt einen weißen Stein zwischen den Fingerspitzen. »Wir brauchen nicht zu Ende zu spielen.«

Er langte übers Brett. Er berührte sie ganz sanft unter dem Kinn. Sie sah ihn überrascht an, und er streichelte zärtlich an ihrem Kiefer entlang. Dann beugte er sich langsam vor, bis sich ihre Lippen berührten.

Ein gehauchter Kuss. Leicht wie Eiderdaunen. Er legte ihr die Hand in den Nacken und beugte sich weiter vor. Der scharfe Geschmack des Gins versengte seine Zunge.

»Gehen wir ins Bett«, sagte er.

»Das ist nicht sehr einfallsreich«, erwiderte sie.

»Ich weiß, aber lass es uns trotzdem tun.«

Sie erhoben sich vom Boden. Sie gingen zum Messingbett hinüber und legten sich hinein.

Es war der schlechteste Fick seines Lebens. Zögernder, ängstlicher, analytischer Sex. Sex ohne die Glut animalischer Hingabe. Die mit dem Akt einhergehende schlichte, befreiende Lust wurde im Vorhinein entwertet, während die postkoitale Zerknirschung und das Bedauern wie zwei geifernde Voyeure neben dem Bett dräuten. Das Ganze versandete eher, als dass sie fertig wurden.

»Das Bett ist sehr wackelig«, meinte sie höflich. »Es quietscht fürchterlich.«

»Ich hätte ein neues kaufen sollen.«

»Man kann doch nicht für eine Nacht ein neues Bett kaufen.«

»Ich kann nichts daran ändern; morgen fahre ich nach Washington weiter.«

Sie setzte sich in den zerschlissenen Laken auf. Ihre porzellanweißen Schultern waren von einem Netzwerk bläulicher Äderchen durchzogen. »Was wirst du denen in Washington sagen?«

»Was soll ich denn sagen?«

»Die Wahrheit.«

»Du sagst immer, es ginge dir um die Wahrheit, Greta. Weißt du auch, was es bedeutet, sie zu erlangen?«

»Selbstverständlich strebe ich nach Wahrheit. Mir geht es immer um die Wahrheit. Um jeden Preis.«

»Na schön, dann will ich dir ein paar Wahrheiten sagen.« Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf, holte tief Luft und blickte an die Decke. »Das Laboratorium wurde von einem durch und durch korrupten Politiker erbaut. Als das Raumfahrtprogramm eingestellt wurde, verlor Texas viele Arbeitsplätze. Das digitale Zeitalter hatte man weitgehend verschlafen. Deshalb gab man sich große Mühe, in der Biotechnik Fuß zu fassen. Der Osten von Texas war freilich denkbar schlecht geeignet für den Bau eines Genlabors. Man hätte es in Stanford oder Raleigh bauen sollen oder an der Route 128. Dougal überzeugte nun die Verantwortlichen, das Labor im Niemandsland zu bauen, tief im Pinienwald. Dabei scheute er auch vor Panikmache nicht zurück. Er beschwatzte den Kongress, eine riesige, luftdicht abgeschlossene Sicherheitskuppel mit allen möglichen Sicherheitsvorkehrungen zu bauen, damit er die Taschen einer Clique von Zulieferern für den militärischen Bereich füllen konnte, die vom Geldsegen abgeschnitten und dringend auf Regierungsaufträge angewiesen waren. Und die Leute liebten ihn dafür. Sie wählten ihn wieder und wieder, obwohl er überhaupt keine Ahnung von Biotechnik hatte. Die Einwohner von Osttexas waren einfach zu rückständig, um eine Genindustrie aufzubauen, und daran vermochten auch massive Geldzuwendungen seitens der Regierung nichts zu ändern. Daher wanderten alle Spin-offs über die Staatsgrenze und landeten in den Taschen von Dougals Intimfreund und Gefolgsmann, einem skrupellosen Demagogen aus dem Cajun-Land. Green Huey ist ein Populist der übelsten Sorte. Er glaubt wirklich, die Gentechnik gehöre von Rechts wegen in die Hände von kaum des Lesens kundigen Sumpfbewohnern.«

Er sah Greta an. Sie hörte ihm zu.

»Daher hat Huey vorsätzlich – und ich muss zugeben, dass er dabei eine gewisse Genialität an den Tag gelegt hat – die besten Entdeckungen des Labors in Plug-and-Play-Rezepte umgemünzt, die selbst ein zwölfjähriges Kind anwenden könnte. Er hat in Louisiana mehrere stillgelegte Ölraffinerien übernommen und brodelnde gentechnische Hexenkessel daraus gemacht. In Louisiana darf jeder ungestraft mit der DNS herumpfuschen. Und weißt du was? Die Louisianer sind außergewöhnlich gut darin. Sie haben sich auf die Gentechnik gestürzt wie die Bisamratten ins Wasser. Auf dem Gebiet sind sie richtige Naturtalente. Sie lieben sie! Sie lieben Huey für das, was er ihnen gegeben hat. Huey hat ihnen eine neue Zukunft eröffnet, und sie haben ihn zum König gemacht. Die Macht hat ihn um den Verstand gebracht, er regiert den Staat vor allem auf Grund von Verordnungen. Niemand wagt es, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.«

Greta war blass geworden.

»Die Texaner haben Dougal nie abgewählt. So etwas würden die Texaner niemals tun. Es ist ihnen egal, wie sehr er sie bestohlen hat, er ist ihr Schutzherr, ihre Trutzburg, ihr Gottvater, er hat alles für Texas getan, und das reicht ihnen. Er hat gesoffen, bis die Leber schlapp machte, und konnte am Ende keine Entscheidungen mehr treffen. Dougal ist also endlich weg von der Bühne. Aber weißt du auch, was das für euch bedeutet?«

»Was denn?« fragte sie.

»Es bedeutet, dass die Party vorbei ist. Der Unterhalt dieser riesigen Gurkenkonstruktion verschlingt ein Vermögen, viel mehr, als dem wahren Nutzen der Anlage entspricht, und das Land ist pleite. Wer heutzutage genetische Forschung betreibt, tut dies zu niedrigen Kosten und in ganz normalen Gebäuden. Und zwar in einem anderen Wahlkreis.«