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»Davon habe ich nichts gewusst.«

»Die Leute wussten Bescheid. Irgendjemand weiß immer Bescheid. Die Mitarbeiter. Der Secret Service. Das heißt aber nicht, dass man sie dazu bringen kann, die Sache auch publik zu machen. Netzwerke sind ein ganz besonderer Fall. Sie sind niemals einheitlich und uniform, sondern stets unberechenbar. Es gibt bestimmt irgendwelche Halunken, die Videomaterial über den Präsidenten und Pamela haben. Vielleicht tauschen sie’s ja gegen ein paar Paparazzi-Fotos von Hollywoodstars ein. Das ist bedeutungslos. Mein Vater, der Filmschauspieler, wurde ständig geoutet, aber stets wegen irgendwelcher idiotischer Kleinigkeiten – einmal wurde er geoutet, weil er einen Typ im Poloclub niedergeschlagen hatte, aber niemals wegen seiner Mauscheleien mit Gangstern. Verrückte, die Zeit haben, können im Netz eine Menge seltsamer Dinge in Erfahrung bringen. Aber egal, wie viel sie erfahren, sie bleiben doch immer bloße Verrückte. Das sind keine Spieler, die zählen einfach nicht.«

»Und ich bin auch keine Spielerin und zähle deshalb nicht.«

»Das solltest du nicht so ernst nehmen. Keiner von euch hat jemals gezählt. Senator Dougal war euer Spieler. Euer Spieler ist jetzt nicht mehr da, das heißt, ihr habt das Spielbrett nicht besetzt. Das ist die politische Realität.«

»Ich verstehe.«

»Aber du kannst wählen. Du bist eine Staatsbürgerin. Du hast eine Stimme. Das ist wichtig.«

»Ja.«

Sie lachten.

Sie aßen Consommé. Dann brachte der Ober das Hauptgericht.

»Riecht herrlich«, sagte Oscar. »Wo ist mein Hummerlätzchen? Die Zange? Oder der Hammer?« Er betrachtete sein Gericht eingehender. »Warte mal. Was stimmt mit meinem Hummer nicht?«

»Das ist deine Écrevisse.«

»Was ist das eigentlich?«

»Ein Flusskrebs.«

»Was ist mit den Zangen? Der Schwanz sieht so eigenartig aus.«

»Das ist eine Züchtung. Natürliche Flusskrebse sind bloß sieben Zentimeter lang. Man hat sie genetisch verändert. Das ist eine hiesige Spezialität.«

Oscar starrte das gekochte Krustentier inmitten der Beilage aus gelbem Reis an. Das Gericht war ein riesiger genetischer Mutant. Die Proportionen stimmten einfach nicht. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er hatte schon zahlreiche gentechnisch veränderte Nahrungsmittel verspeist: Maiskörner vom halben Durchmesser seines Arms. Extradicke Zucchinis, schmackhaften Brocco-Blumenkohl, kernlose Äpfel, alles mögliche ohne Kerne… Das hier aber war ein genmanipuliertes Tier, das man bei lebendigem Leib gekocht und in einem Stück serviert hatte. Es wirkte bizarr, vollkommen unwirklich. Es ähnelte einem hummerförmigen Luftballon.

»Riecht herrlich«, wiederholte er.

Gretas Handy klingelte.

»Können wir denn nicht in Ruhe essen?« sagte Oscar.

Sie schluckte einen Mund voll essiggesättigten Hühnersalat. »Ich schalte das Handy ab«, sagte sie.

Oscar stupste versuchsweise eines der zahlreichen Hilfsbeine des Krebses an. Das gekochte Bein brach säuberlich wie ein Zweig ab, sodass man einen weißen Fleischrand sah.

»Zier dich doch nicht so«, meinte sie, »wir sind hier in Louisiana, okay? Steck dir den Kopf in den Mund und saug den Saft heraus.«

Die Musik brach unvermittelt ab, mitten im Satz. Oscar schaute hoch. Im Eingang standen einige Polizisten.

Es waren Polizisten des Bundesstaates, Männer mit flachkrempigen Hüten, Kopfhörern und Pistolen im Halfter. Sie drängten ins Restaurant. Oscar blickte rasch zu Fontenot hinüber, der mit verärgerter Miene diskret auf sein Handy tippte.

»Verzeihung«, sagte Oscar, »dürfte ich mir mal dein Handy borgen?«

Er schaltete Gretas Handy wieder ein und durchlief die erstaunlich komplizierte Anmeldeprozedur. Die Cops hatten sich im mittlerweile verstummten Publikum verteilt und sämtliche Ausgänge besetzt. Hinter der Bar standen Cops, ein Cop stand beim Küchenchef, andere Cops verschwanden lautlos in der Küche, vier Cops stiegen die Treppe hoch. Cops mit Laptops, Cops mit Videokameras. Drei Cops unterhielten sich mit dem Geschäftsführer.

Dann ertönte das Tuckern eines Helikopters, der auf der Straße landete. Als der Rotorenlärm verstummte, schrien plötzlich alle. Die darauf folgende Stille war sehr eindrucksvoll.

Zwei Kleiderschränke von Bodyguards in Zivilkleidung betraten das Restaurant, gefolgt von einem kleinen, rotgesichtigen Mann in Hausschuhen und purpurrotem Pyjama.

Der rotgesichtige Mann stürmte ins Restaurant, schlitterte auf den Pantoffeln über die Bodenfliesen. »HALLO ALLERSEITS!« Seine Stimme dröhnte wie eine Kesselpauke. »ICH bin’s!« Er schwenkte die Arme, wobei sich die Pyjamajacke öffnete und einen behaarten Bauch enthüllte. »Bitte entschuldigt die Störung! Was sein muss, muss sein! Entspannt euch! Alles unter Kontrolle!«

»Hallo, Gouverneur!« rief jemand. »Hey, Huey!« schrie ein anderer Gast, als hätte er sich ein Leben lang nach dieser Gelegenheit gesehnt. Die Gäste grinsten plötzlich, wechselten erfreute Blicke, rückten die Stühle zurück, strahlten. Sie hatten wirklich Glück. In ihr tristes kleines Leben war ein wenig Farbe eingekehrt.

»Dann wollen wir mal sehen, was die Jungs in der Küche zu bieten haben!« kreischte der Gouverneur. »Wir werden heute Abend richtig gut für euch sorgen, Leute! Das Essen geht auf meine Kosten! Klaro? Boozoo, du kümmerst dich drum! Auf der Stelle.«

»Yessir«, sagte Boozoo, einer der Bodyguards.

»Einen KAFFEE!« dröhnte Huey. Er war klein, hatte aber die Schultern eines Footballspielers. »Einen doppelten Kaffee! Es ist spät, also tut einen ordentlichen Schuss rein. Eine Mokkatasse. Ach was, eine gottverdammte richtige Tasse. Bringt mir jemand gleich zwei Tassen? Oder soll ich die ganze Nacht warten? Verdammt noch mal, riecht’s hier gut! Amüsiert ihr euch auch gut, Leute?«

Die Gäste johlten.

»Beachtet mich gar nicht!« brüllte Huey und zog beiläufig die Pyjamahose hoch. »Hab in Baton Rouge nichts Anständiges gekriegt, da musste ich herfliegen, um was gegen meinen knurrenden Magen zu unternehmen.« Er stapfte zielsicher ins Restaurant und näherte sich wie ein Schlachtschiff Oscars Tisch. Vor Oscar und Greta blieb er unvermittelt stehen, mit zuckenden Händen, die Stirn mit Schweißperlen besetzt. »Clifton, einen Stuhl.«

»Yessir«, sagte der zweite Bodyguard. Clifton riss einen Stuhl hoch, als schnappe er sich eine Baguette, und schob ihn seinem Boss energisch unter das Gesäß.

Jetzt waren sie zu dritt. Aus der Nähe ähnelte das Gesicht des Gouverneurs einem Vollmond; aufgedunsen, leuchtend und voller kleiner Krater. »Hallo, Etienne«, sagte Greta.

»Hallo, petite!« Zu Oscars Verdruss begannen sie sogleich eine Unterhaltung. Ihr Französisch war gespickt mit Idiomen.

Oscar sah zu Fontenot hinüber. In Fontenots Blick lag eine zweibändige Lektion in umsichtigem Verhalten. Oscar schaute wieder weg.

Ein Ober kam mit dem Kaffee angetrabt. Der Kaffee wurde serviert in einem hohen Glas, mit Schlagsahne und einem Schuss Bourbon. »Ich sterbe vor Hunger«, verkündete Huey mit gedämpfterer, weniger an die Öffentlichkeit gewandter Stimme. »Einen netten Schlammkäfer haben Sie da, mein Sohn.«

Oscar nickte.

»Ich liebe Schlammkäfer«, sagte Huey. »Geben Sie mir mal die Buttersoße.« Er krempelte sich die Pyjamaärmel hoch, streckte seine Schaufelhände aus und drehte den Schwanz des Krebses unter lautem Knacken ab. Er bog den Schwanz, stülpte das weiße, dampfende Fleisch nach außen. »C’est bon, mein Sohn!« Er stopfte sich den Krebsschwanz in den Mund, grub die Zähne hinein und zerrte am Fleisch. »Das ist wirklich GUT! So sollte ich die Bostoner Hummer zerreißen! Her mit der Speisekarte. Mein Yankee-Freund, der Seifenvertreter hier, will was bestellen. Der Küchenchef soll sich warm anziehen.«