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Ihr Tisch war mittlerweile umringt von Obern. Sie drängten sich durch die Reihen der Polizisten, brachten Wasser, Sahne, Servietten, Butter, warmes Brot, Schälchen mit kalter Soße. Sie brannten darauf, Huey zu bedienen, machten sich gegenseitig die Ehre streitig. Einer reichte Oscar die Speisekarte.

»Bringen Sie dem Mann einen Reiseintopf«, kommandierte Huey und schnipste die Karte mit seinen dicken roten Fingern weg. »Bringen Sie ihm zwei Shrimp-Jambalayas. Große, gute Shrimps. Wir brauchen hier ein paar Riesenshrimps, der Kinderstar wirkt reichlich mager. Mädchen, du musst was Richtiges essen, nicht bloß Salat. Hühnersalat allein nährt eine Frau nicht. Sagen Sie doch mal, Oscar. Ein Mann muss essen, stimmt’s?«

»Stimmt, Gouverneur.«

»Ihr Freund isst nicht!« Huey zerdrückte die rote Zange des Krebses zwischen den Daumen. »Mr. Bombast. Mr. Architekt. Sowas geht mir auf den Geist! Wenn ich bloß an ihn und seine hübsche Frau denke, wie sie da oben im Norden ihren gottverdammten Apfelsaft nuckeln. Das raubt mir nachts den Schlaf!«

»Tut mir leid zu hören, dass Ihnen das Sorgen bereitet, Exzellenz.«

»Sagen Sie Ihrem Freund, er soll nicht so viel grübeln. Sie werden nicht erleben, dass ich Leib und Leben vernachlässige, bloß weil der kleine Mann in Boston nicht zu Potte kommt. Yankees wie Sie haben wir ständig hier unten. Sie finden Geschmack am süßen Leben, und dann denken sie nicht mehr daran, im Trüben zu fischen. Hungrige Jungs brauchen Aufheiterung.«

»Er wird essen, wenn Ihre Soldaten essen, Sir.«

Huey starrte ihn an, mutwillig kauend. »Also, Sie können ihm von mir ausrichten – und zwar heute noch –, dass ich sein kleines Problem beheben werde. Ich verstehe seinen Standpunkt. Hab’s kapiert. Er kann die gottverdammten Kameras und seinen Apfelsaft für sich behalten, denn ich werde ihm einen Gefallen tun. Ich werde vorausschauende Maßnahmen ergreifen, um die infrastrukturellen Probleme dieses Herrn zu beheben.«

»Ich werde dafür sorgen, dass der Senator Ihre Botschaft erhält, Sir.«

»Sie glauben wohl, ich mache Witze, Mr. Valparaiso? Sie glauben, ich scherze mit Ihnen?«

»Das würde mir niemals einfallen, Exzellenz.«

»Das ist gut. Das ist sehr gut. Wissen Sie was? Ich mochte die Filme Ihres Vaters.« Huey blickte sich über die Schulter um. »WO BLEIBT DIE MUSIK?« blaffte er. »Sind die Musiker etwa BESOFFEN? Die Band soll spielen!«

Die Musiker nahmen eilig ihre Plätze ein und stimmten ein Menuett an. Der Gouverneur trank schlürfend einen Schluck Kaffee, dann machte er sich wieder über den Riesenkrebs her. Er riss beide Zangen ab und verzehrte das Fleisch, dann saugte er mit allen Anzeichen von Genugtuung den scharf gewürzten Saft aus dem Kopf.

Die Ober servierten Teller mit Cajun-Spezialitäten. Oscar begutachtete das dampfende Festmahl. Er hatte nur selten so wenig Appetit gehabt.

»Was ist mit dir, Schätzchen?« fragte Huey unvermittelt. »Du bist so schweigsam heute.«

Greta schüttelte den Kopf.

»Du solltest wissen, was dieser Seifenvertreter vorhat, nicht wahr? Dougal ist aus dem Rennen, die Demokraten sind drin, jetzt muss das Geld woanders herkommen. Was meinen Sie? Ein hübsches kleines Labor an der Route 128? Das wär doch was.«

»Er macht nicht viele Versprechungen«, murmelte Greta.

»Das sollte er auch nicht, denn er kann den Bostoner Zaster nicht verteilen. Ich habe zwei Jungs im Senat, die ihm endlos zusetzen werden. Ich habe das gottverdammte Laboratorium gebaut! Ich! Ich weiß, was es wert ist. In Baton Rouge verabschieden wir im Geldbeschaffungsausschuss einfach ein neues Gesetz. Eine große Erweiterung fürs ›Bio Bayou‹. Vielleicht wird mein Labor nicht so groß wie Ihres, aber es braucht auch nicht groß zu sein, wenn man nicht alle möglichen raffgierigen Bakterienjockeys in sämtlichen fünfzig Staaten durchfüttern muss. Ich kenne den verdammten Unterschied zwischen Hirnforschung und diesen Hurensöhnen, die Grashüpfer katalogisieren. Das wissen Sie doch, oder?«

»Ja, das weiß ich, Etienne.«

»Es ist eine himmelschreiende Schande, dass Sie die Förderanträge in fünffacher Ausfertigung ausfüllen müssen. Eine Frau wie Sie braucht freie Hand! Nehmen wir mal an, Sie beschäftigen sich mit… mit der Blockade der Aufnahme von Methylspiropedirol durch die Dopaminrezeptoren der adrenergen Nerven außerhalb des Streifenhügels. Mag für einen Laien komisch klingen, macht aber den Unterschied zwischen geistiger Gesundheit und Schizophrenie aus. Ich möchte den gewählten Politiker sehen, der die Worte auch nur aussprechen kann! Aber das ist schwer im Kommen. Erst digital… dann biologisch… und jetzt kognitiv. Das ist sonnenklar. Sie glauben, wir sitzen hier in Akadien herum, die einzigen amerikanischen Einwanderer, die jemals einer ethnischen Säuberung unterworfen wurden, und schauen zu, wie ein Haufen großkopferter Fachidioten versucht, uns AUSZUBOOTEN? Uns verdammt noch mal AUSZUBOOTEN? Ins Auge geschissen, Schwester!«

»Mit Bewusstseinsforschung habe ich nichts zu tun, Etienne. Ich bin bloß Neuraltechnikerin.«

»Sie haben den Nobelpreis für Ihre Entdeckung der zellulären Grundlagen der Wahrnehmung bekommen, und Sie wollen behaupten, Sie beschäftigten sich nicht mit dem Bewusstsein?«

»Ich befasse mich mit Neuronen und Zellen der Neuroglia. Nicht aber mit dem Bewusstsein. Das ist kein wissenschaftlicher Begriff. Das ist Metaphysik.«

»Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das ist doch keine Metaphysik, wenn es vor Ihnen auf dem Tisch sitzt und einen Apfel im Mund hat. Hören Sie, wir kennen einander schon eine ganze Weile. Sie kennen doch den alten Huey, nicht wahr? Sie sind Hueys Freund, Sie können alles von ihm haben. Was immer Sie sich wünschen!«

»Ich will bloß in meinem Labor arbeiten.«

»Eben! Her mit den Spektrografen! Was wollen Sie haben, luftdichte Arbeitsbedingungen? In einer Meile Tiefe haben wir Schwefel- und Salzminen, Höhlen, die größer sind als das Stadtzentrum von Baton Rouge. Machen Sie dort unten, was Sie wollen! Versiegeln Sie hinter sich die Türen. Wissenschaft, die unerforschte Grenze, Schätzchen! Etwas Besseres kann Ihnen niemand bieten! Unterschreiben Sie nie wieder ein Gutachten zur Bewertung der Folgen! Forschen und veröffentlichen Sie, mehr verlange ich gar nicht! Forschen und veröffentlichen Sie einfach.«

Oscar und Greta kehrten um vier Uhr morgens zum Strandhaus zurück. Von der Veranda aus schauten sie zu, wie die Scheinwerfer der aus sechs Wagen bestehenden Polizeieskorte kehrtmachten und in der Dunkelheit verschwanden.

Das von Fontenot alarmierte Team hatte das Haus in der Zwischenzeit sorgfältig bewacht. Niemand hatte es betreten und durchsucht. Das immerhin war ein Trost. »Unglaublich, dass die Leute ihm die Hände geküsst haben«, sagte Oscar.

»Es waren bloß drei.«

»Sie haben ihm die Hände geküsst! Sie haben geweint und ihm die Hände geküsst!«

»Er hat für die Einheimischen einiges zum Besseren gewendet«, meinte Greta gähnend. »Er hat ihnen wieder Hoffnung gemacht.« Sie ging mit der Reisetasche ins Bad und schloss hinter sich die Tür.

Oscar betrat die Kochnische. Er öffnete den Kühlschrank. Seine Hände zitterten. Huey hatte ihn nicht geknackt. Er hatte nicht die Beherrschung verloren, doch er war entsetzt über Hueys Reaktionsschnelligkeit und den unerwarteten Preis, den er dafür hatte entrichten müssen, dass er im Einflussbereich des Gouverneurs leichtsinnig ein Risiko eingegangen war. Geistesabwesend nahm er einen Apfel aus dem Kühlschrank. Dann ging er ins Wohnzimmer und nahm in dem scheußlichen Lehnstuhl Platz. Gleich darauf stand er wieder auf. »Es wimmelte nur so vor bewaffneten Idioten, und die Leute haben ihm die Hände geküsst!«