»Werfen Sie einen Blick auf das Display. Haben Sie schon alle eine Kopie des Dokuments vorliegen? Bruder Lump-Lump, beam den French-Boys da hinten noch ein paar Regierungsakten rüber! Okay! Ladies und Gentlemen, dieses Dokument ist eine amtliche Liste der amerikanischen Luftwaffenstützpunkte. Sie können sich die Budgetzahlen auch selbst vom Ausschussserver runterladen, wenn Sie mir nicht glauben. Schauen Sie sich die offiziellen Zahlen an. Die fragliche Basis existiert nicht einmal.«
»Aber, Ma’am«, wandte ein Journalist ein, »wir sehen den Stützpunkt doch über Livekamera.«
»Dann sollten Sie wissen, dass es sich um herrenloses Gebiet handelt. Niemand ist dafür zuständig, es gibt keinen Treibstoff, kein fließendes Wasser, keine Nahrungsmittel. Das ist kein Luftwaffenstützpunkt mehr. Sehen Sie hier irgendwelche Flugzeuge rumfliegen? Das einzige, was hier fliegt, sind Ihre Helikopter. Und unsere harmlosen Ultraleichtflugzeuge. Sie sollten also alle Fehlinformationen über eine so genannte bewaffnete Belagerung ad acta legen. Das ist pure Desinformation. Wir sind unbewaffnet. Wir brauchen bloß Unterkünfte. Wir sind Heimatlose, die für den Winter ein Dach über dem Kopf brauchen. Dieses große, herrenlose Gebiet hinter dem Stacheldraht ist ideal für uns. Deshalb warten wir hier vor den Toren, bis man unsere Menschenrechte achtet.«
»Wie viele Kämpfer haben Sie in die Schlacht geschickt, Ma’am?«
»Keine ›Kämpfer‹, das sind bloß Personen. Bislang neunzehntausenddreihundertundzwölf. Wir sind optimistisch. Unsere Moral ist ausgezeichnet. Wir erhalten von überall her Zulauf.«
Ein britischer Journalist erhielt das Wort. »Es wurde berichtet, Sie hätten illegale elektromagnetische Impulskanonen in Ihren Guerillalagern.«
Die stellvertretende Kommandantin schüttelte ungeduldig den von der Skimaske bedeckten Kopf. »Hören Sie, Impulswaffen können wir nicht ausstehen, die legen unsere Laptops lahm. Wir verurteilen Impulsangriffe. Eventuelle Impulsangriffe aus unseren Reihen sind Provokateuren zuzuschreiben.«
Der britische Journalist, schick herausstaffiert mit gebügelten Khakihosen, wirkte ziemlich skeptisch. Die Briten hatten mehr Kapital in den USA angelegt als jede andere Nation. Das spezielle anglo-amerikanische Verhältnis weckte noch immer tiefe Gefühle, zumal dann, wenn es um Kapitalerträge ging. »Wie steht es mit den Anti-Personen-Waffen, die Sie in Stellung gebracht haben?«
»So kann man das nicht nennen. Das sind Grenzsicherungsanlagen. Sie dienen der Sicherheit größerer Menschenansammlungen. Wir haben hier viele Leute versammelt, deshalb müssen wir Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Auf welche Weise? Mit Stacheldraht? Ja, natürlich! Schlagstöcke mit Adhäsionsgiften, ja klar, die haben wir schon immer. Schaumbarrikaden und Tränengas, klar, das ist alles ein alter Hut, das kann man überall kaufen. Was noch? Superkleber? Ja, sicher, von dem Zeug haben wir ein paar Tanklastwagen voll. Superkleber herzustellen ist kinderleicht.«
Ein deutscher Korrespondent ergriff das Wort. Er hatte eine ganze Mediencrew mitgebracht, zwei Bänke voll europäischer alter Hasen, die vor optischem Präzisionsgerät nur so strotzten. Die Deutschen waren das reichste Volk auf Erden und hatten die höchst ärgerliche Angewohnheit, stets besonders erwachsen und verantwortungsbewusst aufzutreten. »Weshalb zerstören Sie die Straßen?« fragte der Deutsche und rückte seine Designersonnenbrille zurecht. »Ist das nicht ökonomisch kontraproduktiv?«
»Mister, die Straßen sind zum Untergang verurteilt. Das staatliche Straßenaufsichtsamt hat sie auf dem Gewissen. Teer verschmutzt die Umwelt. Daher räumen wir den Straßenbelag im Dienst der Öffentlichkeit ab. Teer besteht aus Kohlenwasserstoffen, daraus lässt sich Treibstoff gewinnen. Und das Öl brauchen wir, damit unsere kleinen Kinder nicht erfrieren. Okay?«
Oscar drückte die Stummtaste und stellte den Ton ab. »Hey, Jimmy«, rief er, »wie viel Sprit haben wir noch?«
»Reicht noch eine Weile«, antwortete Jimmys Stimme.
Oscar sah zu den Kojen hinüber. Lana, Donna und Moira schliefen. Der Bus wirkte auf einmal wie eine halb geleerte Sardinenbüchse. Die Mannschaft schrumpfte immer mehr. Die meisten Leute hatte er in Texas zurücklassen müssen, und nun fehlten sie ihm. Es fehlte ihm, sich um sie zu sorgen, sie aufzumuntern und anzuspornen. Es fehlte ihm, sie scharf zu machen und auf ein verwundbares Ziel zu hetzen.
Moira war fest entschlossen zu gehen, doch es fiel ihr nicht leicht. Fontenot war endgültig von der Bildfläche verschwunden; Handy und Laptop hatte er in einen Sumpf geworfen. Jetzt lebte er in seiner neuen Hütte und fuhr mit dem Boot angeln. Bambakias’ Wahlkampfteam war das Beste gewesen, was er je aufgebaut hatte, und nun gehörte es der Vergangenheit an und zerstreute sich in alle Richtungen. Diese Erkenntnis erfüllte Oscar mit tiefer, irrationaler Sorge.
»Was halten Sie davon?« rief er zu Jimmy nach vorn.
»Hören Sie, ich fahre«, entgegnete Jimmy vernünftig. »Ich kann nicht fahren und gleichzeitig auf die Nachrichten achten.«
Oscar ging nach vorn und senkte die Stimme. »Ich meinte die Nomaden, Jimmy. Ich weiß, dass Sie schon Erfahrungen mit denen gemacht haben. Ich wüsste halt gern, was Sie von dieser Entwicklung halten. Eine Regulatoren-Guerilla, die einen Luftwaffenstützpunkt stranguliert.«
»Jetzt, wo alle schlafen, wollen Sie mit mir reden, wie?«
»Sie wissen doch, dass ich immer Wert auf Ihren Beitrag gelegt habe. Sie haben eine ganz eigene Sichtweise.«
Jimmy seufzte. »Hören Sie, Mann. Ich leiste keinen ›Beitrag‹. Ich fahre bloß den Bus. Ich bin Ihr Busfahrer. Lassen Sie mich fahren.«
»Nur zu, fahren Sie! Ich wüsste bloß gern… ob Sie die Nomaden für eine ernste Bedrohung halten.«
»Klar sind die eine erste Bedrohung… Sicher. Ich meine, bloß weil jemand ein Nomade ist und Zugang zu einem Reputationsserver hat und Gras frisst und dieses ganze komische Biozeugs zusammenbraut… Deswegen ist er noch lange nichts Besonderes.«
»Nein.«
»Trotzdem sind ein paar von den Typen sehr ernst zu nehmen, weil, na ja, es könnte passieren, dass man sich irgendwann mal mit so einem heimatlosen Looser anlegt, der völlig abgerissen und durchgeknallt wirkt, und dann stellt sich heraus, dass er überall superharte Netzfreunde hat, und aus blauem Himmel passieren einem auf einmal seltsame Sachen… Aber Scheiße, Oscar, das brauche ich Ihnen doch nicht zu erzählen. Mit den Power-Netzwerken kennen Sie sich doch aus.«
»Sicher.«
»Sie beschäftigen sich doch selbst damit, auf diese Weise haben Sie Ihrem Kandidaten zum Sieg verholfen.«
»Hmmm.«
»Sie sind ständig auf Achse. Sie sind selbst ein Nomade, genau wie die. Sie sind ein Anzug-Nomade. Die meisten Leute, die Sie treffen – und die nicht genau wissen, was wir machen – halten Sie für einen richtig gefährlichen Burschen, Mann. Vielleicht sind ein paar von den nomadischen Netzgöttern ja gefährlicher als Sie, aber viele sind’s bestimmt nicht. Mann, Sie sind reich.«
»Geld ist nicht alles.«
»Ach, kommen Sie! Hören Sie, ich bin nicht smart genug, um mit Ihnen zu reden, okay?« Jimmy zuckte gereizt die Achseln. »Sie sollten sich lieber schlafen legen. Die andern schlafen auch alle.« Jimmy las eine Anzeige ab und packte das Steuer.
Oscar wartete schweigend.
»Wenn’s sein muss, kann ich achtzehn Stunden am Tag fahren«, meinte Jimmy schließlich. »Macht mir nichts aus. Scheiße, mir gefällt’s. Aber Ihnen brauche ich bloß zuzuschauen, und schon werd ich müde. Allein schon vom Zugucken schlaffe ich ab. Mit Ihnen kann ich nicht mithalten. Ich spiele nicht in Ihrer Liga. Ich bin ein ganz normaler Typ, okay? Ich will keine staatlichen Wissenschaftsstützpunkte erobern. Ich bin bloß ein Arbeiter aus Boston, Mann. Ich bin Busfahrer.«