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»Mir ist schlecht!« jammerte sie. »Ich werd gleich ohnmächtig!«

»Ich hole Ihnen was. Brandy? Eine Magentablette?«

An der Tür würde mehrmals laut geklopft. Moira schreckte zurück und verlor dabei einen Schuh. »O mein Gott! Nein! Nicht aufmachen!«

Oscar schaltete die Videoüberwachung ein. Auf dem Bildschirm sah man ein funkelndes Polizeimotorrad und eine Bostoner Polizistin mit Rangabzeichen, Helm und blauer Wolljacke. Oscar drückte auf den Knopf der Sprechanlage. »Kann ich Ihnen helfen, Officer?«

Die Polizistin sah auf den Bildschirm ihres Notepads. »Spreche ich mit Mr. Valparaiso?«

»Ja, Officer.«

»Bitte machen Sie auf. Polizei.«

»Dürfte ich bitte Ihre Dienstmarke sehen?«

Die Polizistin zeigte eine holografische Ausweiskarte vor, die sie als Sergeant Mary Elizabeth O’Reilly auswies.

Oscar öffnete die Tür, die gegen Moiras Kniescheibe stieß. Moira zuckte heftig zusammen und rappelte sich mit geballten Fäusten hoch.

»Bitte kommen Sie herein, Sergeant O’Reilly. Danke, dass Sie so rasch gekommen sind.«

»Ich war gerade in der Gegend«, sagte die Polizistin und trat ein. Sie schwenkte den behelmten Kopf und nahm die Diele auf Video auf. »Gibt es Verletzte?«

»Nein.«

»Die Überwachung hat die Projektile geortet. Offenbar hat man auf Sie gezielt. Ich habe mir die Freiheit genommen, die Aufzeichnungen zu überprüfen. Sie und diese Frau hatten einen Streit.«

»Das ist nicht ganz zutreffend. Ich bin Senatsangestellter, und es handelt sich um einen Mordversuch.« Oscar deutete auf Moira. »Unser so genannter Streit war rein privater Natur.«

»Würden Sie mir bitte Ihren Ausweis zeigen.«

»Natürlich.« Oscar zückte die Brieftasche.

»Nein, nicht Sie, Mr. Valparaiso. Ich meine die hier nicht wohnhafte Weiße.«

Moira tastete reflexhaft nach der Handtasche. »Er hat in die Tasche geschossen…«

Oscar versuchte es mit sanfter Überredung. »Aber der Ausweis ist doch bestimmt noch drin? Sie müssen der Bitte der Sicherheitsbeamtin nachkommen. Sie müssen ihr den Ausweis zeigen.«

Moira starrte ihn mit geröteten Augen an. »Sie sind ja komplett wahnsinnig. Sie sind komplett wahnsinnig!«

Oscar wandte sich an die Polizistin. »Ich bürge für sie, Officer. Sie heißt Moira Matarazzo, sie ist mein Gast.«

»So können Sie nicht reagieren!« kreischte Moira. Sie versetzte ihm einen Schubs, drückte gegen seine Schulter. »Er wollte sie umbringen!«

»Aber der Schuss ging daneben.«

Moira schwenkte beidhändig die Handtasche und drosch auf ihn ein. »Zeigen Sie gefälligst Angst, Sie Blödmann! Zeigen Sie Angst, wie ich! Reagieren Sie normal!«

»Schluss damit«, sagte die Polizistin befehlend. »Hören Sie auf, ihn zu schlagen.«

»Sind Sie denn ganz aus Eis? Das ist unmöglich! So schnell kann niemand reagieren!« Sie schlug wieder mit der Handtasche auf ihn ein. Oscar wich zurück und hob schützend die Arme vors Gesicht.

»Schluss damit«, sagte die Polizistin in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Hören Sie auf, ihn zu schlagen.«

»Sie ist hysterisch«, keuchte Oscar. Er wich einem weiteren Hieb aus.

Die Polizistin zog die Sprühpistole und schoss. Hochdrucknebel zischte. Moiras Lider ruckten nach oben wie elektrisch betriebene Rollläden. Sie brach zusammen.

»Sie ist wirklich mit den Nerven fertig«, sagte Oscar und massierte sich die Ellbogen. »Sie sollten ein wenig Nachsicht mit ihr haben.«

»Mr. Valparaiso, ich verstehe Ihren Standpunkt«, sagte Officer O’Reilly. »Aber die Helmkamera überträgt live in die Zentrale. Sie hat zwei Aufforderungen missachtet, mit dem Schlagen aufzuhören. Das ist nicht hinnehmbar. Die Stadtpolizei hat hinsichtlich häuslicher Gewalt strikte Anweisungen. Wenn wir bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung zum Eingreifen gezwungen sind, muss der Aggressor die Nacht im Kittchen verbringen. Haben Sie mich verstanden, Sir? Das ist bei uns Vorschrift. Kein Wenn und Aber. Sie ist festgenommen.«

»Man hat eben auf sie geschossen. Sie war sehr aufgeregt.«

»Dessen bin ich mir bewusst, aber das müssen Sie mit der Abteilung für Spezialwaffen und Taktik klären. Ich bin von der Motorradstreife.« Sie zögerte. »Keine Sorge, die ST ist schon unterwegs. Die haben eine schnelle Eingreiftruppe, die bei Zwischenfällen mit Handfeuerwaffen tätig wird.«

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Oscar. »Bitte glauben Sie nicht, ich wäre undankbar. Es war sehr tapfer von Ihnen, sich geradewegs in eine Schießerei zu begeben. Das ist sehr löblich.«

Officer O’Reilly lächelte kurz. »Ach, kaum dass die Schussbahnen analysiert waren, hatten die Drohnen den Täter auch schon gestellt. Er befindet sich bereits in Gewahrsam.«

»Ausgezeichnete Arbeit.«

Die Polizistin musterte ihn nachdenklich. »Sind Sie sicher, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist?«

»Weshalb sagen Sie das?« Er stockte. »Oh. Ja, natürlich. Also, ich bin sehr aufgeregt. Das ist schon der vierte Anschlag innerhalb von drei Wochen. Ich muss den Behörden klarmachen, in welcher Lage ich mich befinde – dabei bin ich erst vor einer Stunde in der Stadt eingetroffen. Ich habe das Zeitgefühl verloren.«

Moira regte sich leise stöhnend auf dem Boden.

»Soll ich Ihnen helfen, sie in den Beiwagen zu schaffen?«

»Schon gut, Mr. Valparaiso. Ich glaube, wir kommen auch so zurecht.«

Die Stadtpolizei war ausgesprochen höflich. Höflich, aber unnachgiebig. Als Oscar seine Story zum dritten Mal erzählt hatte, entspannte er sich.

Er hatte sich vorübergehend in einer Art von geistigem Ausnahmezustand befunden. Dies war natürlich nicht das erste Mal – dergleichen war ihm von Kindesbeinen an schon häufiger passiert. Nichts Lebensbedrohendes, aber nach normalen Maßstäben doch eine ungewöhnliche Reaktion.

Bisweilen stellte Oscar sich vor, er sei unter Druck brillant, doch das war eine Täuschung. Er war nicht brillant. Er war bloß extrem reaktionsschnell. Er war kein Genie. Er brannte bloß schneller, sein interner Chip war höher getaktet. Jetzt, da der Anfall nachließ, fühlte er sich zitterig – obwohl ihm ein besorgter Polizeibeamter zusätzliche Überwachungsmaßnahmen und Motorradpatrouillen zugesichert hatte.

Dem Attentäter – ein Opfer von Altersparanoia – wäre es beinahe gelungen, ihn zu erschießen. Oscar fiel es schwer, dies zu begreifen. Die Fakten sanken bei ihm nicht ein. Er war wie benommen.

Er stieg zu seinem Büro im zweiten Stock hoch. Er schloss den Schreibtisch auf und holte sein spezielles Krisennotizbuch heraus. Und einen erlesenen Waterman-Füllhalter. In Zeiten wie diesen fand er es hilfreich, eine Liste anzulegen. Nicht auf dem Bildschirm. Handschriftlich. Er legte das Notizbuch auf den Schreibtisch von Eero Saarinen und begann zu schreiben.

Priorität A: Bambakias’ Stabschef werden.

B: Das Laboratorium reformieren. Interner Umsturz. Säuberung. Die ganze alte Garde entfernen. Das Budget drastisch kürzen, die Finanzen reformieren. Anmerkung: Mit etwas Glück würde im Erfolgsfall eine zweite Berufung in den Ausschuss obsolet werden.

C: Huey. Ist eine Übereinkunft möglich? Die ganze Bandbreite von Gegenmaßnahmen in Betracht ziehen.

D: Den persönlichen Mitarbeiterstab verstärken. Schluss mit den Desertionen. Anmerkung: Das Hotel in Buna muss unbedingt Gewinn abwerfen. Anmerkung: Unverzüglich neuen Sicherheitsbeauftragten einstellen. Der Mann muss unbedingt verlässlich sein.

E: Den Bus an die Demokraten zurückgeben, die neue Lackierung bezahlen.