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Der finstere Blick kehrte zurück und nistete sich in ihren Augenbrauen ein, als wäre er eintätowiert. »Man kann nicht ernsthaft forschen und an den Wochenenden Geschäftsmann sein. Wenn man es ernst meint, hat man keine freien Wochenenden.«

»Heute ist Wochenende, Greta.«

»Oh.« In ihrem Blick lag eine alkoholgespeiste Mischung aus Überraschung und Bedauern. »Also, ich kann nicht das ganze Wochenende hier bleiben. Morgen um neun findet ein hochinteressantes Seminar statt. ›Cytoplasmatische Domänen‹.«

»Cytoplasma klingt umwerfend.«

»Aber heute Nacht bleibe ich hier. Lass uns etwas trinken.« Sie öffnete die Handtasche. »O nein. Ich habe den Gin vergessen. Der ist in meiner Reisetasche.« Sie blinzelte. »O Gott, Oscar, ich habe die Reisetasche vergessen! Ich habe sie im Hotel gelassen…«

»Außerdem hast du vergessen, dass ich nicht trinke«, sagte Oscar.

Sie presste sich die Handballen gegen die Stirn.

»Ist ja gut«, sagte Oscar. »Vergiss mal einen Moment die Arbeit. Ich habe Mitarbeiter. Wir können dir alles beschaffen, was du brauchst.«

Sie hatte gerade einen Durchhänger: Zweifel und Bitterkeit. »Komm, ich zeige dir das Haus«, meinte Oscar munter. »Das macht Spaß.«

Er geleitete sie ins Wohnzimmer. Möbliert war es mit einem elliptischen Tisch von Piet Heim, Freischwingersesseln aus Stahlrohr und Birkenholz und einem aufblasbaren Sofa aus Polyvinyl.

»Du hast ja moderne Kunst.«

»Das ist mein Kandinsky. Komposition VIII, von 1923.« Er berührte den Rahmen, rückte ihn um eine Haaresbreite zurecht. »Keine Ahnung, weshalb man das immer noch als ›moderne Kunst‹ bezeichnet, obwohl es mittlerweile hundertzwanzig Jahre alt ist.«

Greta betrachtete eingehend die farbenprächtige Leinwand, schaute nachdenklich Oscar an, wandte sich wieder dem Gemälde zu. »Weshalb bezeichnet man das überhaupt als ›Kunst‹? Ich sehe da bloß ein großes Durcheinander von Dreiecken und Farbklecksen.«

»Ich verstehe, dass es diese Wirkung auf dich hat, aber das liegt daran, dass du keinen Geschmack hast.« Oscar verkniff sich ein Seufzen. »Kandinsky war mit allen bedeutenden Künstlergruppen seiner Zeit bekannt: mit dem Blauen Reiter, den Surrealisten, Suprematisten, Futuristen… Kandinsky war ein Großer.«

»Hast du viel Geld dafür bezahlt?«

»Nein, hab’s billig bei einem Ramschverkauf des Guggenheim Museums bekommen. Die ganze Kunst aus der Zeit zwischen 1914 und 1989 – die kommunistische Ära weißt du, die Essenz des zwanzigsten Jahrhunderts – ist jetzt völlig aus der Mode. Kandinsky ist das genaue Gegenteil der heutigen ›modernen Kunst‹, aber ich halte ihn noch immer für unbedingt relevant, weißt du. Wassily Kandinsky spricht mich wirklich an. Wenn er heute noch leben würde… Ich glaube, er hätte dies alles verstanden.«

Sie schüttelte etwas benommen den Kopf. »Moderne Kunst… Wie sind sie damit bloß durchgekommen? Das ist doch ein einziger Beschiss.« Plötzlich musste sie niesen. »Entschuldigung. Meine Allergien machen sich bemerkbar.«

»Komm mit.«

Er führte sie zu seinem Mediencenter. Auf diesen Raum war er besonders stolz. Es war ein moderner Einsatzraum im zeitgenössischen Stil. An der Wand waren Stühle aus gelochtem Aluminium vor modularen Speichereinheiten mit Flachbildschirmen gestapelt. Dänische Regale, ein Handwagen, bunte Plastikbürokörbe von Kartell. Hübsche Mailänder Lampen… Kein Firlefanz, nichts Überflüssiges. Alles zurückgestutzt, ganz und gar effizient und nüchtern.

»Das gefällt mir«, sagte Greta. »Ich könnte mir vorstellen, in einer solchen Umgebung zu arbeiten.«

»Das freut mich. Ich hoffe, die Gelegenheit ergibt sich.«

Sie lächelte. »Warum nicht? Es gefällt mir hier. Der Raum entspricht dir.«

Er war gerührt. »Das ist nett, dass du das sagst, aber ich sollte wohl ehrlich sein… Die Ausstattung ist nicht von mir. Ich meine, den Kandinsky habe ich schon ausgesucht, aber nachdem ich meine Start-up-Firma verkauft hatte, habe ich das Haus gekauft und eine Innenarchitektin angestellt… Damals habe ich mich sehr aufs Haus konzentriert. Wir waren Monate damit beschäftigt. Giovanna hat hervorragende Arbeit geleistet, wir haben die Antiquitätenmärkte abgegrast…«

»Giovanna«, sagte sie. »Ein hübscher Name. Sie war bestimmt sehr elegant.«

»Das war sie, aber es hat nicht geklappt.«

Greta musterte die Kontrolllampen und die funkelnden gestapelten Stühle mit plötzlichem Misstrauen. »Und dann war da noch diese andere Frau – die Journalistin. Sie hat den Medienraum bestimmt sehr gemocht.«

»Clara hat hier gewohnt! Das war ihr Zuhause.«

»Und jetzt ist sie in den Niederlanden?«

»Ja, sie ist fortgegangen. Das hat auch nicht geklappt.«

»Wieso klappt es bei dir nicht, Oscar?«

»Keine Ahnung«, sagte er. Er steckte die Hände in die Hosentaschen. »Das ist eine gute Frage, nicht wahr?«

»Na ja«, meinte sie, »die Frage mag schon gut sein, aber vielleicht hätte ich sie nicht stellen sollen.«

»Nein, Greta, ich mag es, wenn du betrunken und gereizt bei mir auftauchst.«

»Das soll ich dir glauben?«

Er verschränkte die Arme. »Dann will ich dich mal richtig auf die Palme bringen. Weißt du, ich bin das Produkt ungewöhnlicher Umstände. Ich bin in einer ganz besonderen Umgebung aufgewachsen. In Logan Valparaisos Traumhaus. Eine klassische Hollywoodvilla. Mit Tennisplätzen. Palmen. Alles mit Monogrammen versehen, Zebrafelle und vergoldete Wasserhähne. Eine große Spielwiese für Logans Freunde, für all diese Millionäre, die in Mexiko reich geworden sind, und die Dopezaren aus dem amerikanischen Süden. Mein Dad hatte den denkbar schlechtesten Geschmack. Ich wollte, dass es hier anders aussieht.«

»Und was ist daran anders?«

»Nichts«, antwortete er bitter. »Ich wollte, das mein Zuhause einzigartig ist. Aber dieses Haus ist unwirklich. Weil ich keine Familie habe. Hier hat nie eine Frau gewohnt, der so viel an mir gelegen hätte, dass sie geblieben wäre. Ich selbst bin auch nur selten hier. Ich bin ständig unterwegs. Deshalb ist das Haus ein einziger Schwindel. Eine leere Fassade. Ich habe alles versucht, aber es war bloß eine törichte Phantasie, es ist alles gescheitert.« Er zuckte die Achseln. »Willkommen zu Hause.«

Sie schaute betreten drein. »Hör mal, das hab ich nicht gesagt.«

»Aber du hast es gedacht.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt nicht, was ich denke.«

»Mag sein, du bist mir geistig überlegen. Aber ich weiß, wie du empfindest.«

»Das weißt du auch nicht.«

»Doch, das weiß ich. Natürlich weiß ich das. Das entnehme ich deinen Worten. Deinen Gesten. Deiner Mimik.« Er lächelte. »Schließlich bin ich Politiker.«

Sie schlug sich die Hand vor den Mund.

Dann umarmte sie ihn unvermittelt und drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Oberlippe. Er schlang die Arme um ihren schlanken Leib. Sie fühlte sich magnetisch an, hypnotisch, einfach umwerfend.

Sie beugte sich lachend in seiner fester werdenden Umarmung zurück.

Er zog sie zum aufblasbaren Sofa. Es quietschte, als sie darauf niedersanken. Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals.

Sie schob ihm ihre schmale Hand unter den Hemdkragen. Er erkundete mit der Zunge ihr Kinn. Die wundervollen Höhlungen unter den Ohrläppchen. Die gestrafften Halssehnen.

Ihre Lippen lösten sich nur mühsam voneinander, als klebten sie aneinander. Greta wich einen Handbreit zurück. »Ich bin eifersüchtig«, sagte sie. »Das ist alles neu für mich.«

»Ich könnte dir alles erklären, weißt du.«

»Keine Erklärungen. Ich wette, im Schlafzimmerschrank sind noch Clares Kleider.« Sie lachte. »Zeig sie mir. Ich möchte sie sehen.«

Oben angelangt, drehte sie sich im Kreis und schwang leicht torkelnd die Handtasche. »Also, das Zimmer ist wirklich erstaunlich. Deine Kleiderschränke sind größer als mein Schlafzimmer.«