Er zog die Schuhe aus. Er streifte die Socken ab. Er machte sich an den Manschettenknöpfen zu schaffen. Weshalb dauerte es immer so lange, sich auszuziehen? Warum verschwanden Kleider nicht einfach, damit man gleich zur Sache kommen konnte? In Filmen verschwanden die Kleider immer.
»Ist das echtes Wildleder? Du hast Ledertapeten?«
Er sah zu ihr hin. »Soll ich dir beim Ausziehen helfen?«
»Es geht schon. Dass du mir einmal die Kleider vom Leib gerissen hast, reicht völlig.«
Sechs endlose Minuten später lag er keuchend in den Laken. Sie zog sich ins Bad zurück; ihr Haar war verwuschelt, ihre Wangen gerötet. Er hörte, wie sie erst das Bidet und dann alle anderen Wasserhähne anstellte – die Dusche, die Badewanne, das weiße und das schwarze Waschbecken. Greta experimentierte, sie testete die Ausrüstung. Er lag da, atmete tief und fühlte sich eigentümlich zufrieden, etwa wie ein kleines, aber brillantes Kind, das mit einem Stecken ein Bonbon unter einer Tür hervorgefischt hat.
Greta kam vom Duschen zurückgetappt, das schwarze Haar glatt anliegend und tropfnass, die Augen so glänzend wie die eines Wiesels. Sie schlüpfte ins Bett und umarmte ihn, feucht, mit kalten Füßen und nach teurem Shampoo duftend. Sie hielt ihn schweigend in den Armen. Er fiel in den Schlaf wie in eine Grube.
Als er mit brummendem Schädel erwachte, stand Greta vor dem geöffneten Kleiderschrank und betrachtete sich in der Spiegeltür. Bekleidet war sie mit Slip und Socken, die sie sich verkehrt herum über die schmalen, kalten Füße gestreift hatte.
Sie hielt sich ein Kleid an den Körper und ließ es auf sich wirken. Plötzlich erkannte Oscar das Kleid wieder. Er hatte Clare das Strandkleid gekauft, weil ihr Gelb so gut stand. Clare hatte es nicht gemocht, wie ihm jetzt wieder einfiel. Sie hatte das Kleid nicht ausstehen können. Clare mochte nicht einmal Gelb.
»Was war das eben für ein Lärm?« krächzte er.
»Irgendein Idiot hat unten gegen die Tür gehämmert«, antwortete Greta. Sie ließ das Kleid auf den Boden fallen, auf einen Haufen mit einem Dutzend anderer Kleider. »Die Polizei hat ihn festgenommen.« Sie wählte ein perlenbesetztes Abendkleid aus. »Schlaf weiter.«
Oscar wälzte sich herum, presste das Kissen an sich, suchte den Schlaf und fand ihn nicht. Er wurde wieder munter und beobachtete Greta verstohlen. Es ging auf fünf Uhr morgens zu.
»Bist du nicht müde?« fragte er.
Sie fing seinen Blick im Spiegel, verwundert darüber, dass er noch immer wach war. Sie schaltete die Schrankbeleuchtung aus, kam schweigend zu ihm herüber und schlüpfte ins Bett.
»Was hast du die ganze Zeit gemacht?«
»Ich habe das Haus erkundet.«
»Irgendwelche bedeutsamen Entdeckungen?«
»Ja, ich habe herausgefunden, was es heißt, mit einem reichen Mann befreundet zu sein.« Sie seufzte. »Kein Wunder, dass so viele scharf auf den Job sind.«
Er lachte. »Und was ist mit mir? Ich bin das Spielzeug einer Nobelpreisträgerin.«
»Ich habe dich im Schlaf beobachtet«, sagte sie versonnen. »Du hast richtig süß ausgesehen.«
»Warum sagst du das?«
»Wenn du schläfst, hast du einen leeren Terminkalender.«
»Also, jetzt steht was in meinem Terminkalender.« Er schob ihr die Hand über die knochige Hüfte und hielt sie mit festem, intimem Griff. »Termine sind mein Leben. Ich werde dein Leben verändern. Ich werde dich transformieren. Ich werde dich mächtig machen.«
Sie wand sich ein wenig. »Und wie willst du dieses kleine Wunder bewirken?«
»Morgen stelle ich dich meinem geschätzten Freund Senator Bambakias vor.«
Yosh Pelicanos, Oscars Majordomus, ließ um acht Uhr morgens Lebensmittel anliefern. Yosh ließ sich durch den Umstand, dass er hundert Meilen vom Ort des Geschehens entfernt war, nicht beirren. Er hatte eine Tastatur und eine Liste mit Oscars Wünschen, und so hatte die elektrische Hand der Netzökonomie vier in teure Plastikfolie eingeschweißte Pakete vor Oskars Tür abgestellt.
Oscar stellte den neuen Luftreiniger in der Frühstücksecke auf. Damit war Gretas Allergieproblem behoben. Allergien waren bei den Laborwissenschaftlern weit verbreitet; die gefilterte Luft war so rein, dass das Immunsystem unterfordert war, was eine Überempfindlichkeit zur Folge hatte.
Dann band Oscar sich eine Schürze über den Hausanzug und machte sich in der Küche ans Werk. Das Ergebnis war äußerst zufriedenstellend. Oscar und Greta arbeiteten sich durch geräucherten Lachs, Bagels und Waffeln hindurch und spülten mit Fruchtsaft und Kaffee nach. Als ihr Heißhunger gestillt war, labten sie sich noch an dreieckigem Roggentoast und Seehasenkaviar.
Oscar musterte Greta liebevoll über die geblümte Arbeitsplatte hinweg. Alles lief gut. Er glaubte ans Frühstücken. Ein Frühstück am Morgen danach war intimer und verbindlicher als ein romantisches Abendessen. Er hatte schon alle möglichen Frühstücke erlebt: verkaterte, beschämte Frühstücke voller unausgesprochener Ängste oder voll zum Zerreißen angespannter Höflichkeit; das Frühstück mit Greta aber war ein voller Erfolg. Wie sie da blitzsauber in dem weißen Frotteebademantel auf dem Stuhl von Saarinen saß, wirkte sie wie ein Mutantenschwan.
Sie strich sich schwarzen Kaviar auf den Toast und leckte sich einen Klecks von der Fingerspitze. »Es wird mir noch leid tun, nicht am Cytosplasma-Forum teilgenommen zu haben.«
»Nur keine Angst, ich habe dir die Konferenzvideos besorgt. Zu Mittag sind sie da. Du kannst die langweiligen Passagen im Medienraum überspringen.«
»Man nimmt nicht an Konferenzen teil, um sich die Videos anzusehen. Es geht um das Geschehen auf den Gängen und um die Schautafeln. Ich muss wieder hin. Ich muss mich mit meinen Kollegen treffen.«
»Nein, Greta, das brauchst du heute nicht. Du hast etwas Wichtigeres vor. Du musst mit mir nach Cambridge fahren und mit einem US-Senator konferieren. Donna wird jeden Moment kommen; sie war einkaufen und wird dich neu einkleiden.«
»Wer ist Donna?«
»Donna Nunez gehört zu meinem Team. Sie ist Imageberaterin.«
»Ich dachte, du hättest dein Team in Texas im Labor zurückgelassen.«
»Nein, Donna habe ich mitgenommen. Außerdem stehe ich ständig in Verbindung mit dem Team. Sie sind auf sich gestellt, sie sind dort sehr beschäftigt – sie bereiten den Boden. Und was Donna betrifft, so macht sie sich viele Gedanken über das Projekt. Du bist bei ihr in guten Händen.«
Greta legte den Toast entschlossen weg. »Also, so etwas mache ich nicht. Für mein Image habe ich keine Zeit.«
»Rita Levi-Montalcini hatte sie.«
Sie machte die Augen schmal. »Was weißt du über sie?«
»Du hast mir mal erzählt, diese Frau wäre sehr wichtig für dich gewesen. Deshalb habe ich meine Rechercheure auf sie angesetzt. Jetzt bin ich über dein Vorbild Dr. Rita im Bilde. Rita war Nobelpreisträgerin, in der Hirnforschung tätig und spielte eine bedeutende Rolle in der Forschungspolitik. Dr. Rita verstand es jedoch, mit ihrer Rolle umzugehen. Sie kleidete sich täglich wie eine Mailänder Schönheit.«
»Man kommt nicht dadurch zu Forschungsergebnissen, dass man sich herausputzt.«
»Nein, aber so managt man Wissenschaft.«
»Aber das will ich nicht! Ich will überhaupt nichts managen! Ich will bloß in meinem Labor arbeiten! Kapier das endlich! Warum lässt man mich nicht mehr arbeiten? Wenn man mich nur machen lässt, bin ich wirklich gut, dann brauchte ich das alles nicht mitzumachen!«
Oscar lächelte. »Ich wette, das hat dir Spaß gemacht. Können wir uns jetzt wie Erwachsene unterhalten?«
Sie schnaubte.
»Glaub ja nicht, ich wäre frivol. Du bist frivol. Du bist eine nationale Berühmtheit. Du bist keine abgerissene frischgebackene Doktorin, die sich in ihrem hübschen Riesenreagenzglas verstecken kann. Rita Levi-Montalcini trug maßgeschneiderte Laborkittel, ließ sich das Haar frisieren und hatte richtige Schuhe an. Und so wirst du das auch machen. Entspann dich und iss deinen Kaviar.«