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An der Tür wurde geläutet. Oscar tupfte sich mit einer Serviette die Lippen ab, gürtete den Hausmantel und schlüpfte in die Pantoffeln.

Donna war eingetroffen, mit haufenweise Gepäck und mehreren Koffern. In einem zweiten Taxi hatte sie zwei winterlich vermummte Bostoner Spitzenkosmetikerinnen mitgebracht. Die drei Frauen unterhielten sich gerade angeregt mit einem jungen Weißen. Oscar kannte den Mann – er kannte nicht seinen Namen, aber er kannte das Gesicht, den Gehstock und die Stützschuhe. Der Fremde war aus der Gegend.

Oscar öffnete die Tür. »Schön, dass Sie da sind. Sie können die Ausrüstung in den Ankleideraum hochtragen. Unsere Klientin kommt gleich nach.«

Donna geleitete ihre Mitarbeiterinnen nach oben, eifrig in einem spanisch-englischen Mischdialekt plappernd. Oscar sah sich nunmehr dem Mann mit dem Gehstock gegenüber. »Kann ich Ihnen vielleicht helfen, Sir?«

»Ja. Mein Name ist Kevin Hamilton. Ich verwalte den Wohnblock auf der anderen Straßenseite.«

»Ja, Mr. Hamilton?«

»Ich würde mich gern mal mit Ihnen über diese Leute unterhalten, die es auf Sie abgesehen haben.«

»Ich verstehe. Kommen Sie rein.« Oscar schloss die Tür hinter seinem Gast sorgfältig ab. »Gehen wir in mein Büro.« Er zögerte angesichts des Gehstocks und der orthopädischen Schuhe. »Aber wir können uns auch hier unten unterhalten.«

Er geleitete den humpelnden Hamilton ins Wohnzimmer. Plötzlich tauchte Greta auf, barfuss und im Bademantel.

»Also schön, wo soll ich hin?« fragte sie resigniert.

Oscar zeigte nach oben.

Hamilton hob grüßend den Gehstock.

»Hallo«, sagte Greta und stapfte die Treppe hoch.

Oscar führte Hamilton in den Medienraum und hob einen Aluminiumstuhl vom Stapel. Hamilton setzte sich mit offenkundiger Erleichterung.

»Sieht nett aus, die Kleine«, meinte er.

Oscar reagierte nicht und nahm ebenfalls Platz.

»Ich hätte Sie bestimmt nicht gestört heute Morgen«, sagte Hamilton, »aber in dieser Gegend gab es bisher keine Attentate.«

»Nein.«

»Gestern habe ich sogar eine E-mail bekommen, mit der Aufforderung, Sie umzubringen.«

»Ach! Was Sie nicht sagen.«

Hamilton kratzte sich im sandfarbenen Haar, aus dem eine Tolle und eine Art Blitzstrahl vorsprang. »Wissen Sie, wir sind uns noch nie begegnet, aber ich habe Sie häufiger hier gesehen, wie Sie kamen und gingen, mit unterschiedlichen Freundinnen. Als nun in dieser Junkmail behauptet wurde, Sie wären ein Kinderschänder, da wusste ich gleich, dass das nicht stimmt.«

»Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Oscar. »Bitte fahren Sie fort.«

»Also, ich habe ein paar Nachforschungen angestellt, den Relayserver in Finnland ausfindig gemacht, ihn geknackt und die Spur bis in die Türkei zurückverfolgt… Ich war gerade dabei, die türkischen Aktivitätsfiles runterzuladen, als ich Schüsse auf der Straße hörte. Natürlich überprüfte ich die Videoaufzeichnungen aus der Gegend, analysierte die Aufzeichnungen des Nachbarschafts-TV… Das war gestern, spät in der Nacht. Mittlerweile hatte ich Feuer gefangen. Deshalb hab ich die Nacht am Bildschirm durchgemacht.« Hamilton seufzte. »Und ich habe mich für Sie der Sache angenommen.«

Oscar riss erstaunt die Augen auf. »Sie haben sich ›der Sache angenommen‹?«

»Na ja, das Programm selbst konnte ich nicht lokalisieren, aber ich habe rausgefunden, woher die Daten eingespeist werden. Und da hab ich das System ausgetrickst. Ich habe gemeldet, ich hätte Sie umgebracht. Dann habe ich eine Mail verfasst, worin Ihr Tod bekannt gegeben wird, habe den Header gefälscht und die Mail eingespeist. Damit dürfte Ihr Problem behoben sein. Das Programm ist strohdumm.«

Oscar dachte darüber nach. »Möchten Sie etwas trinken, Kevin? Obstsaft? Oder einen Espresso?«

»Eigentlich bin ich völlig groggy. Ich glaube, ich leg mich gleich hin. Ich wollte Sie bloß mal ins Bild setzen.«

»Also, das ist eine gute Nachricht. Eine ausgezeichnete Nachricht. Sie haben mir einen großen Gefallen getan.«

»Ach, nicht der Rede wert«, meinte Kevin bescheiden. »Jeder gute Nachbar hätte das Gleiche getan. Das heißt, wenn er über die nötigen Programmierkenntnisse verfügt hätte. Was heutzutage natürlich niemand mehr tut.«

»Dürfte ich fragen, woher Sie die Programmierkenntnisse haben?«

Hamilton stützte das Kinn auf den Griff des Gehstocks. »Von meinem Dad, wenn ich ehrlich bin. Bevor die Chinesen die Infowirtschaft ruiniert haben, war mein Dad ein großes Tier im Silicon Valley.«

»Sind Sie von Beruf Programmierer, Kevin?«

»Sie machen wohl Witze. Es gibt keine Profiprogrammierer mehr. Diese Nieten, die sich heutzutage als Systemadministratoren bezeichnen, das sind doch gar keine richtigen Programmierer! Die klicken sich doch bloß irgendwelche Konserven von irgendwelchen privaten Sites runter und speichern sie ab.«

Oscar nickte aufmunternd.

Hamilton schwenkte den Stock. »Die Kunst des Programmierens hat sich seit zehn Jahren nicht mehr weiterentwickelt! Das kann sie auch gar nicht, weil kein kommerzieller Anreiz mehr dahintersteht. Die Euros haben sämtliche Netzprotokolle mühelos handhabbar gemacht, und die Chinesen kopieren alles, was publiziert wird… Daher sind die einzigen, die heute noch ernst zu nehmende Programme schreiben, ausgeflippte Computerwissenschaftler. Und die Nomaden – die haben Zeit genug. Und natürlich bestimmte weiße Hacker.« Hamilton gähnte. »Meine Füße machen mir schwer zu schaffen, wissen Sie. Das Programmieren hilft mir dabei, die Zeit zu vertreiben. Wenn man erst mal weiß, wie’s geht, ist die Arbeit wirklich interessant.«

»Kann ich wirklich nichts für Sie tun? Ich stehe in Ihrer Schuld.«

»Doch, ja, da wär was. Ich bin der Vorsitzende der Bürgerwache, und nach der Schießerei wird man mich sicherlich deswegen löchern. Es wäre schön, wenn Sie irgendwann mal vorbeikommen und mir helfen würden, die Leute zu beruhigen.«

»Es wäre mir eine Freude.«

»Also abgemacht.« Hamilton erhob sich, ohne sich an seinen offenkundigen Schmerzen zu stören.

»Ich bringe Sie hinaus, Sir.«

Als Hamilton hinausgehumpelt war, übertrug Oscar rasch den Inhalt seines Laptops in den Hauscomputer und machte sich sogleich an die Arbeit. Er schickte Avizienis und Bob Argow in Texas E-Mails und drängte sie, sogleich seine Nachbarschaft zu überprüfen. Nicht, dass er Kevin Hamilton misstraut hätte – Oscar hielt sich viel zugute auf seine offene Haltung gegenüber den Angloamerikanern –, doch die Neuigkeiten waren einfach zu schön, um wahr zu sein.

Um elf Uhr fünfzehn fuhren Oscar und Greta mit dem Taxi zu Bambakias’ Büro in Cambridge. »Weißt du was?« sagte Greta. »Das Kostüm ist gar nicht so steif, wie es aussieht. Eigentlich ist es sogar recht bequem.«

»Donna ist eben ein wahrer Profi.«

»Und es passt perfekt. Wie ist das nur möglich?«

»Ach, jeder smarte Überwachungsscanner kann auch die Körpermaße vermessen. Zunächst war das eine militärische Anwendung – es hat eine Weile gedauert, bis es seinen Weg in die Haute Couture gefunden hat.« Sie fuhren über die Longfellow Bridge und überquerten das Flussbecken des Charles River. Der Schnee von gestern hatte sich auf den Hängen der Greenhouse-Deiche bereits zur Hälfte in Matsch verwandelt. Greta blickte zu den fernen Gebäuden des Wissenschaftsparks hinüber. Donnas Helferinnen hatte ihr die Augenbrauen gezupft. Die geschwungenen Brauen verliehen Gretas schmalem Gesicht eine einschüchternde intellektuelle Ausstrahlung. Das Haar hatte jetzt richtig Form und einen Mit-mir-ist-nicht-zu-spaßen-Glanz. Greta strahlte Kompetenz aus. Sie sah wirklich aus wie jemand, auf den es ankam.